piwik no script img

„Beleidigungen lösche ich sofort“

ARMENIEN Lamara Samsonians Familie ist wegen des Genozids aus der Türkei geflohen. Was sie fühlt, wenn Menschen den Völkermord leugnen

Lamara Samsonian, 20, fordert die Anerkennung des Genozids Foto: privat

Oft bekomme ich auf Facebook Nachrichten von Leuten, mit denen ich nicht befreundet bin. Sie sehen meinen armenischen Nachnamen und beleidigen mich grundlos. Ich lösche die dann sofort. Wenn ich mit ihnen reden möchte, kommen nur Beleidigungen zurück. Einmal hat einer geschrieben, dass es richtig ist, alle armenischen Frauen zu vergewaltigen.

Ich war noch nie in Armenien. Ich bin in Georgien geboren. Mit sechs Jahren bin ich nach Deutschland gekommen. Leider spreche ich kein Armenisch. Erst spät habe ich erfahren, dass ich Armenierin bin, mit etwa 15 Jahren. Ich fing an mich zu informieren. Da habe ich auch von dem Völkermord erfahren. Meine Vorfahren sind aus der Türkei, aus Samsun, wegen des Genozids geflohen. Das Massaker dort vor 1915 hat mein Uropa als einziger in seiner Familie überlebt.

Ich hatte eine Freundin. Wir waren zehn Jahre lang befreundet, bis wir auf das Thema Völkermord zu sprechen kamen. Zuerst war sie geschockt. Als ich sie wieder traf, sagte sie, ihre Mutter habe ihr was anderes erzählt. Die Armenier hätten die Türken angegriffen.

So war das auch in der Schule. Ich hatte einen Vortrag über den Völkermord gehalten. Am nächsten Tag kam ein Mädchen zu mir und meinte: „Lamara, ich muss mit dir reden, ich respektiere dich und so, aber ich habe mit meinem Papa darüber geredet und es stimmt so nicht, wie du es sagst“. Und dann sagte sie Dinge wie, „wir mussten euch deportieren, ihr wart eine Gefahr für die Türkei. Ihr seid in unsere Moscheen eingedrungen und habt unsere Frauen vergewaltigt. Natürlich ist es schlimm, dass armenische Frauen und Kinder deportiert wurden, aber es musste halt sein.“ Das tut mir natürlich sehr weh.

Für uns ist es wichtig, dass der Genozid anerkannt wird, um eines Tages damit abschließen zu können. Die Resolution war der erste große Schritt. Vielleicht wird der Genozid auch eines Tages in der Türkei anerkannt. Ich hoffe das sehr.

Protokoll: Ronya Othmann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen