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Wer wir sein wollen

Analytische Empathie Der Friedenspreis geht an Carolin Emcke

Vor ziemlich genau einem Jahr, die Flüchtlingskrise war da, diskutierte Carolin Emcke in einem taz-Streitgespräch mit Otto Schily. Unter den vielen Argumenten, mit denen die 1967 geborene Publizistin für einen offenen, hilfsbereiten Umgang mit Flüchtlingen warb, fiel eines auf. „Für viele zeigt sich im Umgang mit den Flüchtlingen, wer wir sein wollen“, sagte Carolin Emcke.

Wer immer „wir“ hier ist – in diesem Satz ist ein Motiv erkennbar, das die freie Autorin insgesamt umtreibt, von ihren Reportagen aus Kriegsgebieten, mit denen sie bekannt wurde, bis zu ihren essayistischen Texten, derzeit etwa die wöchentliche Kolumne in der SZ. Der Antrieb besteht darin, dass unsere offene, auch wohlhabende Gesellschaft sich erstens nicht abschotten kann von den Krisen dieser Welt und zweitens sich in ihrem Kern daran messen lassen muss, wie sehr sie sich für die Menschen engagiert, denen der Würfelbecher der Geburt kein so gutes Los beschert hat.

Carolin Emcke engagiert sich zu vielen Themen. Es wird ihrer öffentlichen Rolle keineswegs gerecht, sie auf Krisengebiete und Flüchtlingsfragen zu reduzieren. So hat die freie Autorin ihre publizistische Arbeit immer ausführlich reflektiert, etwa in „Weil es sagbar ist: Über Zeugenschaft und Gerechtigkeit“. In dem autobiografischen Essay „Wie wir begehren“ denkt sie über ihre Homosexualität und deren gesellschaftlichen Rahmen nach. Vor dem Horizont der Flüchtlingsfrage wird aber die Richtungsentscheidung, die die Preisvergabe an sie bedeutet, besonders deutlich.

Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ist auch deshalb so wichtig, weil durch ihn mit gesetzt wird, welche Rolle Intellektuelle in unserer Gesellschaft spielen sollen. Im vergangenen Jahr wurde Navid Kermani ausgezeichnet. In diesem Jahr nun also Carolin Emcke. Das spricht beides für Weltoffenheit und Engagement und für einen ungebrochenen Glauben daran, das man durch die Kraft des Wortes gesellschaftlich wirken kann.

In der Würdigung zum Preis heißt es: Mit analytischer Empathie appelliere Emcke an das Vermögen aller Beteiligten, zu Verständigung und Austausch zurückzufinden. Ihr Werk werde somit Vorbild für gesellschaftliches Handeln in einer Zeit, in der politische, religiöse und kulturelle Konflikte den Dialog oft nicht mehr zulassen. Am 23. Oktober wird ihr der Preis feierlich in der Frankfurter Paulskirche verliehen. drk

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