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Scheue niemand

BewegtBilderschmuggel wider den Mainstream: die Filmemacherin und Autorin Jutta Brückner feiert am Samstag fünfundsiebzigsten Geburtstag. Eine Würdigung

von Claudia Lenssen

Vielleicht ist Jutta Brückner meine Hommage gar nicht recht. In aller Öffentlichkeit an einen Lebensabschnitt erinnert zu werden, der im Allgemeinen mit gut abgehangenen Ruhestandsgefühlen assoziiert wird, rührt unverblümt an ein peinlich aktuelles Tabu, das Frauen immer noch heftiger verfolgt als Männer. Künstlerinnen laufen eher Gefahr, vom Radar mächtiger Gremien und Netzwerke zu verschwinden, auch wenn sie jenseits der ewigen 39 spruchreife eigenwillige Projekte ins Rennen schicken können.

Oft hat sich Jutta Brückner in Filmen, Büchern, Essays und Reden mit exemplarischen weiblichen Biografien auseinandergesetzt, hat den Finger in die Wunden gelegt, die eine blinde Weitergabe von Normen und Verhaltensstereotypen, Ängsten und Zwängen zwischen Eltern und Kindern (vor allem Müttern und Töchtern) in der Geschichte des 20. Jahrhunderts geschlagen hat. Sie sieht die emotionalen Krisen und Katas­trophen ihrer Protagonistinnen, ihre Obses­sio­nen und Gewaltausbrüche, immer auch als Schlaglichter verquerer gesellschaftlicher Machtverhältnisse.

Das Private ist politisch, solange die politischen Verhältnisse es ungerecht und zunehmend prekär prägen – diese Haltung bringt die Filmemacherin, Buchautorin, ehemalige Filmprofessorin an der Universität der Künste und langjährige Direktorin der Sektion Film- und Medienkunst an der Akademie der Künste in Berlin nach wie vor in brillanter Klarheit und mit viel Verve vorgetragen in die aktuelle Debatte ein. Bei gemeinsamen Projekten habe ich ihre Gabe, kollegial im Team zu arbeiten und im entscheidenden Moment Ideen zuzuspitzen, mit viel Vergnügen miterlebt.

Endlich frei von größeren Ämtern und Pflichten, kann sie sich auf ihre Buch- und Filmprojekte konzentrieren und sich auf politische, ästhetische und filmkulturelle Streitfragen einlassen – was nicht ausschließt, dass auch eine alterslos elegante, vor Temperament sprühende Erscheinung wie Jutta Brückner dem heutigen Jubelgeburtstag mit einem Schuss Melancholie begegnet.

Die Gabe, im entscheidenden Moment Ideen zuzuspitzen

Geboren in Düsseldorf als Kriegskind einer kleinbürgerlichen Familie, gehört sie zu jener Frauengeneration, die unter der Last überkommener Frauenbilder litt, weil die autoritäre Zurichtung der Mütter und Großmütter im Schweigen und der Verklemmtheit der restaurativen Nachkriegsjahre fortwirkte. Wie da herausfinden?

Jutta Brückner eroberte zunächst zielstrebig mehr Wissen für sich, indem sie in Berlin, München und Paris politische Wissenschaft und Geschichte studierte und 1973 mit einer Dissertation über die politische Philosophie des 18. Jahrhunderts promovierte. Aber das Schreiben und Filmemachen faszinierte sie damals im Münchener Umfeld des neuen deutschen Films. Sie begann, Drehbücher zu schreiben, unter anderem gemeinsam mit Margarethe von Trotta das Script zu dem Film „Fangschuss“, den Margarethe von Trotta mit Volker Schlöndorff realisierte.

In ihrem Essay „Autobiografisch Filme machen“ schildert Jutta Brückner, wie sie als Autodidaktin ihren Beruf fand. „Unter dem Einfluss der Frauenbewegung und im Verlangen nach weiblicher Subjektivität“ von einem heißen Schreibwunsch erfüllt, scheiterte sie doch daran, Ich zu schreiben und verfing sich in einer pantomimischen dritten Person. Dieses Dilemma, „die Unvereinbarkeit von Sprache und Körper“ führte sie zum Autorenfilm, der damals „den Freistil erlaubte“.

1975 schließlich fand sie den Schlüssel in ihrem Erstling „Tue recht und scheue niemand“, einem Fotofilm, der auf einer einzigen Seite Exposé für das „Kleine Fernsehspiel“ des ZDF fußte. Archetypische Schwar-weiß-Porträts, darunter Fotografien von August Sander, montierte sie mit (auto)biografischen Skizzen, vor allem Bildern und Erinnerungen ihrer Mutter. Es ging darum, schreibt sie, „dass auch ein normales weibliches Leben der Autobiografie würdig sei. Heute eine Selbstverständlichkeit, reklamierte dies damals einen Anspruch, denn ‚die Frau‘ galt eher als Gattungswesen denn als Individuum.“

Die Kehrseite der Medaille, nämlich die schwierige Geschichte zwischen ihr und ihrer Mutter, erzählte Jutta Brückner fünf Jahre später in dem Spielfilm „Hungerjahre“, mit dem sie sich als international renommierte Autorenfilmerin eta­blier­te. Autobiografie als „erkaltete Herzensschrift“ im Sinne Rousseaus war der frühe Motor ihres Werks. Aber die Geschichte zieht weitere Kreise. In dem Buch „Bräute des Nichts“, einer Doppelmonografie über Magda Goebbels und Ulrike Meinhof, untersuchte Jutta Brückner zwei exemplarische Lebensentwürfe, in denen weibliche Destruktion und Gewalt explodieren.

In „Hitlerkantate“ (2006), ihrem vielleicht bestem Film, zeichnet sie am Beispiel einer jungen Frau die bislang nur ansatzweise erforschte Massenbegeisterung junger Hitler-Anhängerinnen nach. Weiblicher Fanatismus als die Kehrseite von Unterdrückung und Befreiungsfantasien – Jutta Brückners Perspektiven auf die Geschichte der Frauen verstehen sich als „Bilderschmuggel“ wider den Mainstream. Heute am Samstag feiert sie ihren 75. Geburtstag.

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