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Hetzjagd per Partysound

Dilemma Kann man über die schwulenfeindlichen Texte mancher Reggae- und Dancehall-Stars hinwegtanzen oder sollte man sie boykottieren? Darum ging es im Vortrag von Patrick Helber in der Neuköllner Bar Laika

von Andreas Hartmann

Patrick Helber ist Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter für Transcultural Studies an der Universität Heidelberg. Außerdem ist er Reggae-und Dancehall-Fan. So lag es nahe, dass seine Dissertation den Titel „Dancehall und Homophobie – Postkoloniale Perspektiven auf die Geschichte und Kultur Jamaikas“ trägt.

Die Rastalocken, die er auf dem Foto der Homepage seiner Fakultät noch trägt, sind inzwischen ab, doch er sieht sich immer noch als Teil der Reggae-Szene, die seit ein paar Jahren auch in Deutschland ziemlich groß ist und die erfolgreiche Stars wie Gentleman und Seeed hervorgebracht hat.

Es gibt aber ein Problem in der Musikrichtung, die Helber so liebt: Schwulenfeindliche Texte, homophobes Gebären und Sexismus überhaupt gehören dort teilweise anscheinend mit dazu. Dancehall, eine Art digitaler Reggae, der heute vorwiegend auf Jamaika gehört wird und der auch hierzulande beliebter Partysound ist, unterscheidet sich da kaum von so manchen Ausprägungen innerhalb der HipHop-Szene. Nur sind die Texte mitunter noch krasser und menschenverachtender. Zur Hetzjagd auf Schwule wird da schon mal aufgerufen, Dancehall-Stars wie Beenie Man oder Sizzla haben so manchen Gassenhauer geschrieben, der recht unverblümt ihre Verachtung Schwuler zum Ausdruck bringt.

Ist diese Schwulenfeindlichkeit jamaikanischer Dancehallstars nun ein hinzunehmendes Übel einer Musikrichtung, die man trotzdem toll findet, weil man den Sound gut findet? Kann man nicht einfach auch über die schrecklichen Texte hinwegtanzen? Oder sollte man solche Stars mit zweifelhaften Ansichten lieber boykottieren? Darüber wollte Helber bei seinem Vortrag in der Neuköllner Bar Laika diskutieren. Geladen wurde er von der Berliner Kampagne „Make Some Noise – Sexism & Homophobia out of my music“, die seit ein paar Jahren versucht, eine Sensibilität in der hiesigen HipHop- und Dancehall-Szene für diese Probleme zu entwickeln.

Die Texte sind mit­unter noch menschenverachtender als mancher HipHop

Die Kampagne versteht sich als Netzwerk gegen Sexismus in der Musik, organisiert Partys, verteilt Flyer, klärt auf. Nicht didaktisch von oben her­ab, sondern sich selbst als Teil der Szene verstehend. Nur Zeigefinger bringen ja nichts. Das kennt man ja auch vom HipHop, wo Rapper erst recht textlich unter die Gürtellinie rappen, wenn sie gesagt bekommen, das sei ja ganz schlimm, was sie da so Frauenverachtendes ­zusammenreimen.

Das Publikum im Laika ist zum Großteil selbst in der Dancehall-Szene unterwegs. „War schon mal jemand auf Jamaika?“, fragt Helber. Und: „Wer geht regelmäßig auf Dancehall-Partys?“ Bei beiden Fragen gehen viele Finger in die Höhe. Das Thema, um das es geht, ist nicht einfach. Man merkt Helber an, dass er sich bei manchen Punkten selbst quält und dass er eine eindeutige Lösung bei der Frage, wie mit der teils immanenten Homophobie in der Dancehall-Kultur umzugehen ist, nicht parat hält.

Bislang, so erklärt Helber, war es oft so, dass LGBTI-Organisationen aus Europa und den USA auf die Missstände in Jamaika hinwiesen. Was auf der Insel, die eine lange postkoloniale Geschichte hat, dazu führte, dass jamaikanische Intellektuelle derartige Interventionen von außen ablehnten. Helber weist zudem darauf hin, dass es auch auf Jamaika LGBTI-Gruppierungen gibt, die sich mit den Problemen vor der eigenen Haustür beschäftigen, was im Diskurs außerhalb Jamaikas zu wenig berücksichtigt werde.

Andererseits macht er klar, dass der Boykott jamaikanischer Dancehall-Stars, zu dem es auch mehrfach in Deutschland kam, zumindest dafür geführt habe, dass so manche Sänger des Genres heute vorsichtiger in ihren Äußerungen seien. Die Gründe hierfür sieht Helber jedoch weniger in Läuterungsprozessen, sondern darin, dass so manche einfach erkannt haben, dass homophobe Texte zumindest außerhalb Jamaikas schlecht fürs Geschäft sein können.

Für ein mindestens genauso großes Problem wie die fragwürdigen Texte selbst hält Helber aber immer noch den Umgang der deutschen Szene mit so manchen zweifelhaften Sprachrohren der jamaikanischen Dancehallkultur. Auch diese reagiere auf Kritik von außen noch zu oft mit Trotz und kulturalisiere schwulenfeindliche Äußerungen der Jamaikaner zu sehr. Helber plädiert jedoch dafür, auf der nächsten Party darauf zu achten, dass Tunes mit sexistischem Inhalt einfach mal nicht aufgelegt werden.

Dancehall, so die Message, ist auch eine wunderbare Musik, wenn es nicht darum geht zu diskriminieren. Wie das gehen kann, will er selbst als DJ demonstrieren, bei der nächsten Party von „Make some noise“ im Tommy Weisbecker Haus. Dort wird auch MSOKE auftreten, ein in Berlin lebender Reggaesänger, der als erster offener Transgender-Dancehall-Künstler gilt. MSOKE ist auch bekannt durch seine Teilnahme bei „Voice of Germany“, einem nach Szene-Maßstäben eher uncoolen Format. Doch „Make Some Noise“ geht es um Respekt, und der gilt auch gegenüber jemandem, der bereits in einer Castingshow aufgetreten ist.

Make-Some-Noise-Party. Mit MSOKE. 28. Mai im Tommy Weisbecker Haus

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