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Aufstieg der Kleinbrötchenbäcker

WUNDER Der FC Erzgebirge Aue kehrt in die 2. Bundesliga zurück. Nach dem Abstieg im vergangenen Jahr lag der Klub am Boden.Nun will sich der Klub modernisieren, ohne das in der ehemaligen Bergbaustadt so gerne gepflegte Kumpel-Image zu gefährden

Feuriger Empfang: 3.000 Fans feiern die Aufsteiger, als die am Sonntag kurz nach Mitternacht von ihrem Auswärtstrip nach Köln zurückkehren Foto: imago

von Fabian Held

Die Überraschung ist perfekt. Überraschung, das ist ein Wort, das Helge Leonhardt noch zu klein ist. Er spricht von „einer Sensation“, die es „so im Profifußball noch nicht gab“. Es hat tatsächlich geklappt mit dem Aufstieg. Seit dem 2:0-Erfolg bei Fortuna Köln am vergangenen Samstag, steht fest, dass der FC Erzgebirge Aue zum dritten Mal den Sprung ins Bundesliga-Unterhaus, in die zweite Liga, geschafft hat. Ein Spiel muss noch gespielt werden – am kommenden Samstag zu Hause gegen Preußen Münster. Egal, wie es ausgehen wird, die Sensation kann gefeiert werden, mit der, so sieht es nicht nur Klubpräsident Leonhardt, vor elf Monaten noch niemand rechnen konnte.

Rückblende: Sommer im vergangenen Jahr. Ein Tor fehlte den Sachsen zum Klassenerhalt. Abstieg. Der Verein stand vor dem Nichts. Trainer weg, Spieler weg, Geld weg. Präsident Leonhardt verglich den Abstieg aus finanzieller Sicht mit dem Sprung vom ICE auf den Güterzug. Er stand vor den Ruinen seiner Arbeit. Etwa 6 Millionen Euro Fernsehgelder gingen verloren, die Sponsoren zahlten weniger, der Etat schrumpfte massiv zusammen.

Abstiegs-Trainer Tommy Stipic ließ den Verein im Stich – so empfanden es zumindest die Fans. Die Mannschaft löste sich auf. Vier Spieler des Abstiegskaders blieben, einer davon (Nils Miatke) schwer verletzt, ein anderer (Mike Könnecke) meist nur Ersatzspieler. Einzig Kapitän und Vereins-Idol Martin Männel bekannte sich zum FCE und dem Wiederaufbau.

Als neuer Sportdirektor übernahm Steffen Ziffert das Aufsammeln der Scherben. Mit wenig Geld musste er eine neue Mannschaft zusammenstellen, er verpflichtete unbekannte Spieler vor allem aus unteren Ligen und den zweiten Mannschaften der großen Clubs. Als Trainer wagte sich Pavel Dotchev an diese Herkulesaufgabe. Als Ziel wurde ein gesicherter Mittelfeldplatz ausgegeben.

Das Wort „Aufstieg“ stand erst mal auf dem Index. Der FC Erzgebirge Aue hätte Skeptikern als gutes Beispiel für das Auslaufmodell des „romantischen Fußballvereins“ dienen können. Das Stadion marode, die Infrastruktur nicht zu vergleichen mit den Fortuna Düsseldorfs, 1. FC Nürnbergs oder gar RB Leipzigs dieser Zweitliga-Welt. „Hier kannst du den zweiten Teil von ‚Good Bye, Lenin!‘ drehen“, sagte Leonhardt gerne über das Erzgebirgsstadion. Niemand hätte sich gewundert, wenn der Verein wie zahlreiche andere Traditionsvereine dauerhaft in den unterklassigen Ligen verschwunden wäre.

Doch jetzt im Mai, ein knappes Jahr später, ist das Grau des Abstiegs dem Veilchenlila der plötzlichen Auer Aufstiegseuphorie gewichen. Der FC Erzgebirge hat nicht nur den Wiederaufstieg geschafft, es wurden auch wichtige Infrastruktur-Projekte angeschoben. Das Stadion, größtenteils finanziert vom Landkreis Erzgebirge, wird endlich zu einer modernen Arena umgebaut. Die sächsische Konkurrenz hatte da schon lange vorgelegt. Dazu wurde ein kleines Internat für das Jugendleistungszentrum eröffnet. „Das ist ein enormer Kraftakt“, betont Präsident Leonhardt.

Der Wunderverein

Die Stadt: Die sächsische Stadt, die bis zum Untergang der DDR vor allem vom Uranbergbau lebte, hatte 1990 26.000 Einwohner. Heute leben 10.000 Menschen weniger in Aue.

Der Klub: 1949 wurde der Verein als BSG Pneumatik Aue gegründet. Als SC Wismut Karl-Marx-Stadt holte der Klub zwischen 1956 und 1959 drei Mal die DDR-Meisterschaft. Von 1963 bis 1990 gehörte der Verein als BSG Wismut Aue der DDR-Oberliga an. Seit 1993 heißt der Klub FC Erzgebirge Aue und spielte von 2003 bis 2008 sowie von 2010 bis 2015 in der 2. Bundesliga.

Die Fans: In Block P des Erzgebirgsstadions versammelt sich die Ultragruppe „Fialova Sbor“ (tschechisch für „lila Chor“). Bundesweite Aufmerksamkeit wurde den Ultras zuteil, als die den österreichischen Limomilliar­där und Mäzen von RB Leipzig mit Hitler verglichen haben. Der Zuschauerschnitt in der laufenden Saison liegt bei 8.200.

Sportlich erwies sich die Verpflichtung von Dotchev als Volltreffer. Ihm gelang es in kürzester Zeit, aus einem Haufen zusammengewürfelter Spieler eine echte Mannschaft zu formen. Reibereien gibt es nicht. Auch die Ersatzspieler reihen sich ohne Murren ein. Dotchev setzte zu Beginn der aktuellen Saison vor allem auf eine kompakte Defensive, mannschaftliche Geschlossenheit und viel Kampf.

Attraktiv war das nicht, denn vorne fehlte die Durchschlagskraft. Sieben Partien spielte der FCE 0:0. Aber die Statistik lässt sich auch anders lesen: Die „Veilchen“, wie die Auer wegen ihrer lila Trikots im Fanvolksmund genannt werden, haben in etwa zwei Dritteln ihrer Partien kein Gegentor hinnehmen müssen – die Defensive stand von Anfang sehr sicher. In der Rolle des totalen Underdogs, der als komplette Wundertüte in die Saison startet, fanden sich die Kicker aus dem Erzgebirge gut zurecht. Nach und nach entwickelten sie sich zu einem ernsthaftem Aufstiegskandidaten.

Vielleicht liegt das aber auch eben genau an dieser Rolle. Die des Underdogs, der Überraschungsmannschaft. Wie einst, in der DDR, als der Verein noch BSG Wismut Aue hieß. Die Bergmannskultur, die zwei gekreuzten Hammer und das große W sind geblieben. Schon damals fühlten sich die Auer oft benachteiligt. Die besten Spieler, erzählen sich die Fans, wurden zu Gunsten der von der Staatsregierung gepäppelten Clubs wie dem BFC Dynamo aus der Hauptstadt abkommandiert. Aue blieb der Underdog.

Noch heute wittern die Zuschauer im zugigen Erzgebirgsstadion schnell eine Verschwörung, wenn ein Schiedsrichter ein paar Situationen anders bewertet als sie. „Bist du ein Wessi, oder was“, schallt es dann gerne von den Rängen. In der zweiten Bundesliga ist der FC Erzgebirge immer Underdog, wird es immer sein. Zwei Mal sind sie bislang aufgestiegen, blieben jeweils fünf Jahre im Bundesliga-Unterhaus.

„Ein Aufstieg ist für Aue ist immer eine Sensation“, sagt Gerd Schädlich, der als Trainer 2003 den ersten Aufstieg in die zweite Liga schaffte. Die bislang erfolgreichste Saison spielten die Sachsen 2010/11, als sie überraschend Herbstmeister und später Fünfter wurden. Ansonsten gab es vor allem: Abstiegskampf. Nach dem nun vollbrachten Aufstieg ist die Marschrichtung in Aue deshalb auch klar. Weiter kleine Brötchen backen, den Klassenerhalt anpeilen. Etwas anderes verbieten die Umstände. Ein paar Ergänzungen, ein paar wenige Abgänge soll es im Kader geben. Viel spannender für den FCE wird die Frage: Wo stehen wir?

In der Rolle des ewigen Underdogs fühlen sie sich ganz wohl bei Erzgebirge Aue

Mit den großen Playern im modernen Profifußball kann Aue aus wirtschaftlicher Sicht nicht mithalten. Gleichzeitig kann er sich den Gesetzen ebenjener Fußballwelt nicht vollkommen verschließen. Ohne wettbewerbsfähige Infrastruktur, größere Sponsoren und eine gute Vermarktung geht es eben nicht mehr. Gleichzeitig muss sich der Verein sein Underdog-Image, das familiäre Umfeld, die Geschichte erhalten, um seine Identität nicht zu verlieren. Ein Spagat, den die Verantwortlichen da vollführen müssen.

Über einen ersten Schritt denken sie bereits nach. Vielleicht verzichten sie weiterhin auf einen Trikotsponsor, der sicherlich einen mittleren sechsstelligen Betrag einbrächte. Stattdessen soll weiterhin der Slogan „Kumpelverein“ samt stilisierten Bergbaukumpel die Brust zieren. Mit diesem Slogan hat der Verein in dieser Saison für mehr Mitglieder geworben, quasi als Crowdfunding für das Vereinsbudgets.

Bislang ging die Rechnung auf. Seit Mai, seit der Phase, als Aue am Boden zu liegen schien, hat sich die Zahl der Mitglieder fast verdoppelt. Die Aktion „Kumpelverein“ steht damit für alles, was den Verein ausmacht: der Weg der vielen kleinen Schritte, solides Wirtschaften und Zusammenhalt. Vielleicht bald auch wieder in der zweiten Liga.

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