piwik no script img

„Musik kann die Welt verändern“

Gesangskunst Die Sängerin Mahsa Vahdat hat ein reines Gesangsalbum aufgenommen.Sie singt alte persische Poeme. Doch im Iran kann sie damit nicht öffentlich auftreten

INTERVIEW Daniel Bax

taz: Frau Vahdat, was hat Sie bewogen, ein reines Gesangsalbum aufzunehmen?

Mahsa Vahdat: Ich hatte mich schon länger mit dieser Idee getragen. Als ich meinem Produzenten davon erzählte, entschieden wir uns, es an unterschiedlichen Orten aufzunehmen. Wir haben mit den Aufnahmen in Istanbul begonnen und sind von dort aus nach Polen und bis Spanien gereist.

Was reizte Sie daran?

Es ging uns darum, verschiedene Orte und ihre Akustik zu erspüren. Es war eine Pilgerreise zur Schönheit, die sich auch in der Architektur dieser Orte spiegelt. Ich wollte komplette künstlerische Freiheit, ohne jedes musikalische Korsett. Ein Gefühl der Nacktheit, ohne Schutz.

Warum haben Sie hauptsächlich in Kirchen aufgenommen?

Ich hätte auch gerne in Moscheen oder Synagogen aufgenommen. Es gibt in Isfahan wunderschöne Moscheen, aber weiblichen Sängerinnen stehen im Iran große Hindernisse im Weg.

Welche Auflagen gibt es?

Es ist im Iran grundsätzlich nicht erlaubt, als Solosängerin öffentlich aufzutreten – nur im Chor oder vor einem rein weiblichen Publikum. Das ist der Grund, warum ich nur außerhalb des Irans auftrete, denn ich möchte diese Diskriminierung nicht legitimieren. Ich werfe es aber niemandem vor, der es tut. Immerhin gibt es überhaupt Auftrittsmöglichkeiten.

Also kommen Iraner gar nicht in den Genuss Ihres Gesangs?

Nur durch das Internet und meine CD’s, von denen in vielen Läden Raubkopien verkauft werden. Es ist illegal, aber sie werden unter dem Tisch verkauft. Die Behörden drücken da wohl ein Auge zu. Sie können ja auch nicht alles kontrollieren.

Aus Los Angeles kommt ja auch eine Menge persische Popmusik ins Land, oder?

Die Leute haben immer einen Weg gefunden, an diese Musik heranzukommen. Vor den Zeiten von Satellitenfernsehen und Internet zirkulierten unter der Hand die Popkassetten. Aber auf der Bühne duldet man keine Sängerinnen. Die Atmosphäre bei Konzerten ist im Iran deshalb absolut männlich dominiert.

Gibt es eine spezifisch weibliche Gesangstradition im Iran?

In der Zeit der Kadscharen durften Frauen nur hinter einem Schleier und am Hof singen. Auch heute werden Frauen als Bürger zweiter Klasse angesehen. Aber sie haben viel Kraft, und trotz der Restriktionen gibt es immer mehr Musikerinnen. Ich selbst habe viele Studentinnen, die bei mir Gesangsunterricht nehmen. Sie lernen diese Techniken, die über Jahrhunderte tradiert und bewahrt wurden, und sehen es als ihre Aufgabe an, sie weiterzutragen. Denn diese Musik ist zeitlos.

Und vor der Revolution von 1979 gab es weibliche Stars wie die Sängerin Googoosh, die heute 65 ist und seit 15 Jahren in den USA lebt …

Ja, damals gab es Divas wie Marzyieh und Delkasch. Und wenn wir zurückblicken in die 1920er Jahre, dann gab es damals eine sehr wichtige Sängerin, Ghamar, die ohne Schleier im Grand Hotel von Teheran auftrat. Es war eine Zeit des Wandels, als die Dynastie der Kadscharen von jener der Pahlewi abgelöst wurde. Sie erhielt Todesdrohungen und gelobte, mit Schleier aufzutreten, aber das hat sie nicht getan. Viele ihrer Lieder hatten soziale und politische Botschaften und sie hat viele Sängerinnen ermutigt, in ihre Fußstapfen zu treten.

Neben Gedichten von Rumi und Hafis haben Sie auch eines von Forugh Farrochsad vertont: eine Dichterin und Regisseurin, die 1967 bei einem Autounfall starb, mit 32 Jahren. Wer war sie?

Sie ist jung gestorben, aber sie hat die persische Dichtung revolutioniert und viele Künstler inspiriert. Sie vermochte es, ihre Weiblichkeit in einer poetischen Weise auszudrücken. Die aktuellen Machthaber mögen sie weniger, deshalb wurde ihr Name aus der offiziellen Liste der nationalen Poeten entfernt. Aber es ist unmöglich, ihr Andenken aus dem Gedächtnis der Menschen zu streichen. Ich verehre sie sehr, ihr unkonventioneller Ansatz ist sehr inspirierend. Es ist keine einfache Aufgabe, ihre Texte auf eine Art und Weise zu vertonen, die zufriedenstellt.

Rumi und Hafis zählen zum nationalen Kulturerbe. Was verbinden Sie mit Ihnen?

Auch diese Dichter waren Rebellen und wurden zu ihrer Zeit der Häresie bezichtigt. Hafez kritisierte die Bigotterie bestimmter frommer Leute, und Rumi war ein Prediger, der Tabus gebrochen hat. Wenn sie heute leben würden, hätten sie sicher Probleme mit den aktuellen Autoritäten. Ihre Gedichte sind 800 Jahre alt, aber ihre Botschaft ist so frisch und spricht zu dir, unabhängig von deiner Herkunft, deiner Religion oder deines Geschlechts. Sie haben viele Ebenen, und man kann immer etwas Neues in ihnen entdecken. Es ist eine Möglichkeit, mit der Vergangenheit Kontakt aufzunehmen.

Hat sich die Situation im Iran nach dem Atomdeal entspannt?

Ich hoffe, dass sich die Atmosphäre der Öffnung und des Dialogs auch auf das Feld der Kultur erstreckt. Ich glaube nicht, dass es möglich ist, nur den Geschäftsleuten die Türen zu öffnen, aber den Kulturschaffenden weiter Steine in den Weg zu legen.

Hat sich die Situation für Künstler unter Präsident Rohani denn verbessert?

Natürlich. Aber es geht nicht darum, wer Präsident ist. Das ganze System muss sich ändern, und diese paranoide Sicht auf Frauen und die Künste. Es ist doch absurd, einem ganzen Geschlecht einen wichtigen physischen Ausdruck zu verbieten. Es ist, als würde man sagen: Lache nicht, weine nicht! Die weibliche Stimme aus dem öffentlichen Raum zu verbannen, entfernt nicht nur eine Farbe, sondern unterbindet auch gewisse Gefühle und Emotionen. Diese Restriktionen sind ein Ausdruck der Angst. Denn Musik hat die Macht, eine Gesellschaft zu verändern.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen