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Hart wie ein Stein

Indizienprozess Der linke Hansa-Fan Kristian S. wird zu mehr als vier Jahren Haft verurteilt. Er soll mit Steinen auf Polizisten geworfen haben. Seine Anwälte und Unterstützer sind entsetzt und sprechen von Gesinnungsjustiz

Aus Rostock Hannes Stepputat

Es ist ein hartes Urteil, das Kritik hervorruft: Nach einem Indizienprozess soll der linke Hansafan Kristian S. wegen gefährlicher Körperverletzung für vier Jahre und fünf Monate hinter Gitter, weil er bei einem Spiel gegen Dynamo Dresden Steine auf Polizisten geworfen haben soll. Anwälte und Unterstützer kritisieren das Urteil als „Gesinnungsjustiz“.

Zur Urteilsverkündung am Montag wird es laut im Großen Saal des Landgerichts Rostock. Die Publikumsplätze sind voll besetzt mit etwa 80 Freunden des Angeklagten, Hansafans und linken Aktivisten. In der letzten Stuhlreihe sitzen breitbeinig Polizisten. Anders als seine Freunde, die ihn „Schubi“ nennen, nimmt der Rostocker Kristian S. das Urteil ohne erkennbare Regung auf und arbeitet weiter an seinem Laptop. Die harte Entscheidung des Gerichts war allgemein erwartet worden.

Trotzdem kochen im Publikum die Emotionen hoch: „Du spinnst doch!“, „Super, ganz große Klasse!“ und höhnischer Applaus übertönen immer wieder die Worte des vorsitzenden Richters Peter Goebels. Fast ein Jahr und 33 Prozesstage hatten er und die 3. Große Strafkammer gebraucht, dann sahen sie es als erwiesen an, dass Kristian S. im November 2014 beim Drittligaspiel Hansa Rostock gegen Dynamo Dresden Steine auf Polizisten geworfen und dabei zwei Beamte verletzt hatte. Sie verurteilten ihn in drei Anklagepunkten wegen gefährlicher Körperverletzung.

Den Vorwurf des versuchten Totschlags reduzierte das Gericht auf eine gefährliche Körperverletzung. Für zwei weitere Anklagepunkte, die das Spiel Hansa Rostock gegen RB Leipzig im April 2014 betrafen, sprach das Gericht ihn aus Mangel an Beweisen frei. Kristian S. hatte die Vorwürfe zu Prozessbeginn durch seine Anwälte bestreiten lassen und ansonsten geschwiegen.

Streit hatte es immer wieder um den Hauptbelastungszeugen gegeben. Der verurteilte Drogendealer Thomas C. hatte sich an den Verfassungsschutz gewandt, und dort angegeben, S. habe die Vorwürfe in der Haft ihm gegenüber zugegeben. Eine psychologische Gutachterin hatte C. nach Angaben der Verteidiger als „pathologischen Lügner“ bezeichnet, in seiner Aussage vor Gericht kam es immer wieder zu Widersprüchen. Das Gericht hatte jedoch keinen Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit.

Bevor Richter Goebels die Urteilsbegründung verliest, wendet er sich an S. und das Publikum. Polizisten anzugreifen sei dasselbe, wie Feuerwehrleute zu attackieren, die gerade ein brennendes Flüchtlingsheim löschen, sagte der Richter und wendet sich gleichermaßen gegen „linke und rechte Hetze“. Der Staat müsse unangreifbar sein. Das Publikum reagiert mit einem beachtlichen Lärmpegel. Der 33-jährige ehemalige Schiffsoffizier habe aus „Hass gegen den Staat“ gehandelt. Als Beleg führt der Richter dessen Zugehörigkeit zur Antifa an und dass er sich bis zu seiner Verhaftung im Dezember 2014 aktiv in der Fanhilfe von Hansa Rostock, der Blau-Weiß-Roten-Hilfe (BWRH) engagiert habe.

Krisenklub Hansa Rostock

Investorenplan: Der Klassenerhalt in der Dritten Liga scheint zwar gesichert, doch wirtschaftlich steht der Verein weiter ex­trem unter Druck. Unter anderem fordert der Betrieb des Rostocker Ostseestadions, immerhin eine erstligawürdige Arena, seinen finanziellen Tribut. Die vorläufige Rettung kam in Gestalt des Immobilienfinanzierers Rolf Elgeti, der den Verein 2015 mit einer Finanzspritze vor dem Ruin rettete. Nächster Schritt zur Konsolidierung ist die Ausgliederung der Profiabteilung in eine eigene Gesellschaft. An ihr wird Investor Elgeti 45 Prozent der Anteile bekommen, den Rest behält der Verein. Mit dem Elgeti-Plan reduzieren sich Hansas Schulden nach Vereinsangaben um 10 Millionen Euro. Für diesen Weg hatten auf einer Versammlung im April 95 Prozent der Mitglieder gestimmt. Es war bereits der dritte Anlauf, da die Entscheidung zuvor wegen vereinsinternen Turbulenzen immer wieder verschoben werden musste.

In der Materie offenbar nicht ganz sattelfest, bezeichnete Goebels diese als eine Rechtshilfeorganisation für „Linksextremisten“, was aus den Reihen der Hansafans mit dem Zwischenruf „Das ist ja Rufmord!“ quittiert wurde. „Wir glauben, dass Schubi wegen seines Linksseins so hart verurteilt wurde“, sagt eine Aktivistin der „Soligruppe Free Schubi“, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Die Gruppe organisiert Solidaritätsaktionen, schreibt Berichte und sammelt Spenden für die Prozesskosten. Verteidiger Michael Noetzel sieht das ebenso: „Wir haben sonst bei vergleichbaren Fällen Strafen unter einem Jahr und keine U-Haft.“

S. war im Januar nach über einem Jahr U-Haft freigekommen, weil das Oberlandesgericht den Beschleunigungsgrundsatz bei der Prozessführung des Gerichts verletzt sah. Der zweite Verteidiger hatte in seinem Plädoyer neben einem Freispruch auch eine Entschädigung für die U-Haft gefordert und vor einer „Jagd auf eine bestimmte Gesinnung“ gewarnt. Die Herleitung eines politischen Motivs des Verurteilten nahm für einen Fußballprozess ungewöhnlich viel Raum ein. Bei einer Hausdurchsuchung gefundene Antifa-Shirts und linke Plakate zog das Gericht für diese Bewertung ebenso heran wie einen Vorfall, der mit den in der Anklage vorgeworfenen Taten nichts zu tun hatte.

In seinem früheren Job als Offizier auf einer Fähre soll S. versucht haben, eine Abschiebung zu verhindern. Er habe versucht, eine Frau, die von der Polizei an Bord gebracht wurde, um sie nach Schweden abzuschieben, in einem Terminalbus aus dem Hafenbereich zu schaffen. Als der Bus von Beamten angehalten wurde, habe er gesagt „Ich unterstütze keine Abschiebungen.“ Als der Richter dies vorliest, applaudiert das Publikum im Saal lange.

Nach der Urteilsverkündung zeigte sich Oberstaatsanwalt Reinhard Krüger zufrieden. Zwar hatte er vier Monate Freiheitsstrafe mehr gefordert, allerdings für alle fünf Anklagepunkte. Seine Behörde werde das Urteil prüfen, er gehe aber nicht von einer Revision aus. Der Anwalt des Nebenklägers, eines Polizisten der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) von Mecklenburg-Vorpommern, zeigte sich dagegen enttäuscht. Sein Mandant hatte von einem Treffer durch einen Stein Rippenprellung davongetragen.

Die Mitglieder seiner Einheit gelten als „die Harten“, und er habe nicht als „Weichei“ dastehen wollen, weshalb er auf eine Krankschreibung verzichtete. Mit dem Strafmaß sei er zufrieden, nicht jedoch mit der Höhe des Schmerzensgeld, das die Hauptmotivation des Beamten für die Nebenklage gewesen sei. S. soll 300 Euro an den Polizisten zahlen.

Vor der Urteilsverkündung hatte der Bochumer Kriminologe Thomas Feltes als Sachverständiger zu Polizeitaktik und Fanverhalten ausgesagt. Er berichtete, dass Gewalt im Stadion ein eher seltenes Phänomen sei und häufig aus dynamischen Situationen mit gegnerischen Fans oder der Polizei heraus entstehe. Insbesondere die BFE, der auch der Nebenkläger angehört, habe einen „extrem schlechten Ruf. Wo immer die auftreten, gibt es starke Aversionen seitens der Fans.“ Er berichtete auch, dass das Betreten der Fanblöcke durch die Polizei ein „No-Go“ für die Fans sei. Dies wisse auch die Polizei. Tue sie es dennoch, werde dies als provokatives „Eindringen in ihr Wohnzimmer“ verstanden.

Er bewertete die Polizeieinsätze bei beiden Spielen, bei denen auch Unbeteiligte mit Pfefferspray verletzt wurden, als teilweise „Lehrbeispiel dafür, wie man es nicht machen sollte“. Ob das Vorgehen aber auch die Ursache für die Steinwürfe gewesen sei, konnte Feltes nicht sagen. Klar sei aber, dass den Würfen beim Dresden-Spiel eine längere Vorgeschichte vorausgegangen sei.

Die Verteidigung kündigte an, Revision einzulegen. Dann muss sich der Bundesgerichtshof mit dem Fall befassen. „Aufgabe eines Urteils ist es auch, Akzeptanz und Rechtsfrieden herzustellen. Das Urteil ist völlig überzogen und tut dies nicht“, sagt Noetzel.

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