Kein Interesse am Rechtsstaat

Urteil Zwei Asylbewerber werden wegen Vergewaltigung zu harten Strafen verurteilt. Der Prozess stößt auf wenig Interesse, obwohl die Straftaten die ganze Stadt wochenlang in Atem gehalten und sogar für die Gründung von Bürgerwehren gesorgt haben

aus Magdeburg Thomas Gerlach

Gebeugt und in Handschellen werden die beiden afghanischen Asylbewerber von Justizvollzugsbeamten in den Sitzungssaal des Magdeburger Landgerichts geführt. In Jogginghosen Alimohamed H, in Jeans Abedin D. Mit der Prozesseröffnung am Dienstag nach Ostern beginnt die juristische Aufarbeitung einer Serie von Gewalttaten, die in Magdeburg im Oktober vergangenen Jahres Aufsehen erregt hat.

Die Straftaten, die Staatsanwältin Ruth Freitag verliest, und mit der sie insbesondere den 31 Jahre alten Alimohamed H. schwer belastet, lassen den Atem stocken. Nüchtern spricht Freitag von sexuellen Handlungen, Beischlaf, Eindringen in den Körper, Erniedrigung. Für die vier Frauen zwischen 19 und 24 Jahren waren es körperliche und seelische Torturen. Viermal suchte Alimohamed H. in den späten Abend- und Nachtstunden nach Opfern. Mit einem Messer habe dieser am 21. Oktober 2015 eine Frau bedroht, „Pst!“ und „Sex!“ geflüstert. Die Frau konnte sich losreißen und flüchten.

Angriffe in Serie

„Pst!“ habe H. auch einer weiteren Frau zugeraunt, sie dann in die Grünanlage eines Friedhofs gezerrt und vergewaltigt. Unmittelbar danach versuchte der 19-jährige Abedin D., der zweite Angeklagte, die Frau ebenfalls zu vergewaltigen. Wegen der heftigen Gegenwehr ließ er aber von ihr ab. Am 30. Oktober kam es in den frühen Morgenstunden in der Nähe des Opernhauses zu einem weiteren überaus brutalen Übergriff. Einer Polizeistreife gelang es dabei, Alimohamed H. festzunehmen.

Wegen der massiven Gewalttaten brodelte es im Herbst 2015 in Magdeburg. Bürgerwehren wollten sich gründen. Misstrauen gegen die Ermittlungsbehörden mischte sich mit Gerüchten, dass vergewaltigende Banden von Asylbewerbern durch die Stadt zögen. Dutzende Frauen wären bereits vergewaltigt worden und die Polizei würde mit Lautsprecherwagen durch die Straßen fahren und Frauen auffordern, abends die Häuser nicht zu verlassen.

Die Polizei dementierte vehement, doch die aufgeheizte Stimmung ließ sich nicht beruhigen – und hatte für völlig Unbeteiligte handfeste Folgen. Zwei Tage nach der letzten versuchten Vergewaltigung fielen am 1. November im Zentrum von Magdeburg Vermummte, etwa 20 bis 30 Personen, mit Baseballschlägern über eine Gruppe syrischer Asylbewerber her, drei Syrer wurden verletzt. Wegen des Eingreifens von Zivilbeamten der Polizei ließen die Angreifer von ihren Opfern ab.

Umso erstaunlicher ist das Desinteresse an dem Prozess. Magdeburger waren, bis auf die Journalisten, nicht unter den Zuschauern. Dabei hätten besorgte Bürger doch beobachten können, wie die – oft gescholtenen – Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden ihrer Arbeit nachgehen. Doch so schnell die Erregungskurve nach oben gegangen war, so schnell ist sie offenbar wieder abstürzt. Einzig ein Ehepaar aus Stuttgart hatte den Weg in den Gerichtssaal gefunden. Extra wegen des Prozesses? Der Mann schüttelt den Kopf. Er sei selbst Anwalt und stattete mit seiner Frau dem Landgericht einen Besuch ab, ihre Anwesenheit daher eher zufällig.

Der Anwalt von Alimohamed H. wartet am ersten Verhandlungstag mit einer Überraschung auf und verliest ein umfangreiches Geständnis seines Mandanten, der alle vier Übergriffe umstandslos einräumt und sich bei seinen Opfern entschuldigt. Mit dem Geständnis wolle er auch erreichen, „dass die vier Frauen nicht mehr aussagen müssen“. Kurz schildert Alimohamed H. auch seinen Lebensweg. Er sei Analphabet, habe nie in Afghanistan gelebt, sondern sei im Iran aufgewachsen. Zuletzt habe er sich in Dubai aufgehalten und sei von dort nach Afghanistan ausgewiesen worden. Dann habe er sich auf den Weg nach Deutschland gemacht.

Erst Haft, dann Abschiebung

Im Magdeburg hat Alimohamed H. wie der Angeklagte Abedin D. bis zur Verhaftung in der Asylbewerberunterkunft Münchenhofstraße gewohnt, unweit der Tatorte. Dennoch verneinte Alimohamed H. die Nachfrage, ob er den zweiten Angeklagten, Abedin D., kennen würde. Dieser wird während des ganzen Prozesses zum Vorwurf der versuchten Vergewaltigung schweigen.

Am Montag sind die Urteile ergangen. Alimohamed H. muss für acht Jahre hinter Gitter und Schmerzensgeld an zwei Frauen in Höhe von 7.800 Euro zahlen. Abedin D. wird zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren, drei Monaten verurteilt. Nach Verbüßung eines Teils der Strafe werden beide abgeschoben. Danach besteht Einreiseverbot.