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Gegen den Flächenfraß

Wachsende Stadt Umweltverbände sorgen sich um das grüne Hamburg. Siedlungsdruck, auch durch Flüchtlingsunterkünfte, dürfe die Stadtnatur nicht zerstören

von Sven-Michael Veit

Ein Bild des Grauens ist für Alexander Porschke ein einstöckiger Supermarkt mit einem Parkplatz so groß wie ein Fußballfeld. „Dieser Flächenfraß muss der Vergangenheit angehören“, fordert der Vorsitzende des Naturschutzbundes (Nabu) .

Dafür präsentierte er am Freitag ein „Strategiepapier Hamburger Stadtentwicklung in Zukunft“, das am Abend zuvor von der Vollversammlung des mit 22.000 Mitgliedern größten Hamburger Naturschutzverbandes beschlossen wurde. Zusammen mit dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) will Porschke, der von 1997 bis 2001 grüner Umweltsenator war, mit dem Senat über „Lösungen für eine langfristige Stadtentwicklung, die nicht zu Lasten der Natur geht“ verhandeln.

Das könnte schwierig werden: Am Dienstag hatte Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) angekündigt, wegen der Knappheit auf dem Mietmarkt das Wohnungsbauprogramm auszuweiten. Statt wie bisher 6.000 Baugenehmigungen pro Jahr sollen künftig 10.000 erteilt werden, kündigte sie an. Flüchtlingsunterkünfte sind darin nicht einkalkuliert. Sie sollen zusätzlich entstehen.

Grund für die Erhöhung sei der Bevölkerungszuwachs, sagte Stapelfeldt. Nach Schätzungen des Statistischen Bundesamtes kommen bis 2030 zusätzlich rund 103.000 Menschen in die Hansestadt, das ergäbe ein Plus von etwa 70.000 Haushalten (siehe Kasten).

Um die Wohnungsnachfrage befriedigen zu können, sollen „Quartiere maßvoll verdichtet und Baulücken geschlossen“ werden. Auch solle höher und vielgeschossiger gebaut werden, sagte Stapelfeldt. Daneben müssten aber auch neue Wohnbauflächen entwickelt werden: „Wer astronomischen Mietpreisen vorbeugen will, weil Wohnraum immer knapper wird, muss bereit sein, auch über neue Siedlungsgebiete nachzudenken.“ Die Stadt müsse rasch Flächen für 150.000 Wohnungen identifizieren und für diese schrittweise Planrecht schaffen.

Der BUND warnte deshalb vor „einer Bauwut zu Lasten von Natur und Lebensqualität“. Bereits für die laufenden Planungen sollen fast 200 Hektar Fläche in Landschaftsschutzgebieten geopfert werden. Der BUND befürchte, dass die Ankündigung von „Mehr Stadt an neuen Orten“ vor allem die Inanspruchnahme wertvoller Freiflächen bedeute, sagte Landesgeschäftsführer Manfred Braasch.

Immer mehr Hamburger

In Hamburg lebten am 31. Dezember 2015 exakt 1.746.342 EinwohnerInnen. Das sind 12.000 oder 0,7 Prozent mehr Menschen als ein Jahr zuvor.

Der Höchststand der Einwohnerzahl war am 31. Dezember 1964 mit 1.857.431 Menschen erreicht worden, der niedrigste Stand seit Gründung der Bundesrepublik am 31. Dezember 1986 mit 1.571.267 Menschen.

Die Prognose des Statistik­amtes Nord sagt 1.814.000 EinwohnerInnen für 2020 voraus. Die Bertelsmann-Stiftung prognostiziert zum selben Zeitpunkt 1.873.500 EinwohnerInnen und 1.900.000 für 2030.

Die Wohnfläche pro EinwohnerIn beträgt aktuell zehn Quadratmeter mehr als Mitte der 1960er Jahre. Die Zahl der Haushalte soll von 981.000 im Jahr 2009 auf 1.078.000 in 2030 steigen.

Er erinnerte daran, dass laut rot-grünem Koalitionsvertrag die Landschaftsachsen und die „Grünen Ringe“ Hamburgs sowie Flächen des Biotopverbunds und Pufferzonen von Naturschutzgebieten nicht für den Wohnungsbau genutzt werden sollen. Trotzdem seien in mehreren Bebauungsplanverfahren mehr als 130 Hektar Fläche in Landschaftsschutzgebieten für Wohnungsbau vorgesehen und weitere Flächen für Flüchtlingsunterkünfte, so Braasch.

Jahr für Jahr würden, hat der Nabu errechnet, Grünflächen von der Größe der Außenalster für Wohnen, Verkehr und Gewerbe versiegelt. Zusätzlich würden Grünanlagen vermehrt „eingekapselt“, rügt Porschke. Dadurch verlören sie ihre Vernetzungsfunktion für Tiere und Pflanzen sowie ihre Klima verbessernde Wirkung als Kalt- und Frischluftschneisen.

Am Freitag demonstrierten der Nabu Bergedorf und die Bürgerinitiative „Integration Ja, Ghetto Nein“ gegen eine Flüchtlingsunterkunft am Mittleren Landweg. Das Projekt nehme keine Rücksicht auf die geschützten Tiere und Pflanzen auf diesem Areal. Die Flüchtlinge müssten besser verteilt werden.

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