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Grüner wird’s nicht

Milieu Im Paulusviertel von Halle haben die Grünen ihre treueste Wählerschaft. 18 Prozent hat die Partei bei der Landtagswahl da geholt, wo sich Studierende, Akademiker und engagierte Bürger wohlfühlen. Ein Ortsbesuch

Die schmucken Häuser im Paulusviertel sind nicht nur bei den Bewohnern beliebt. Die Immobilienbranche hat sie längst für sich entdeckt Foto: Felix Abraham/imago

aus Halle Markus Lücker

Qualm steigt aus dem Auspuff auf, so dicht, dass er den Blick auf die restliche Straße nahezu unmöglich macht. „Luftverpestung!“, bellt eine Passantin und schaut dem vorbeifahrenden Motorroller noch lange hinterher. Dann ein Blick zur anderen Straßenseite. Ein Unbekannter muss sich in der Nacht am gegenüberliegenden Gründerzeitwohnblock vergriffen haben. „Neue Fußwege braucht die Stadt“ steht dort, mit weißer Kreide an die Fassade geschrieben. Dahinter drei Ausrufezeichen – für den emotionalen Nachdruck. Ein Ausbruch des zivilen Ungehorsams, der wahrscheinlich schon mit dem nächsten Regenschauer wieder abgespült sein wird.

Es ist nicht Kreuzberg, aber grüner als hier wird es in Sachsen-Anhalt momentan nicht: Wahlkreis 37, der Norden von Halle. Bei der Landtagswahl Mitte März kamen die Grünen in dieser Gegend auf 18 Prozent. Fast das Vierfache verglichen mit dem restlichen Bundesland. Nirgendwo war die Partei stärker. Und das nicht zum ersten Mal. Bei der Wahl 2011 reichte es für ein Fünftel der Stimmen. Im Jahr 2002 fielen die Grünen bei der Landtagswahl in ganz Sachsen-Anhalt durch. Nur im Norden von Halle reichte es zumindest noch für den Trostpreis: Sie kamen knapp über die Fünfprozenthürde.

In den Jahren dazwischen wurde viel saniert, Straßenzüge wurden aufgehübscht. Marketingslogans wie „Studieren in Fernost“ sollte westdeutschen Abiturienten den wilden Osten schmackhaft machen. Auch um die überfüllten Hörsäle im Westen zu entlasten. Und die Studenten kamen – angelockt von günstigen Mieten und ausbleibenden Studiengebühren. Vor vier Jahren überschritt die Universität Halle erstmals die Marke von 20.000 Studierenden. Zwanzig Jahre zuvor waren es nicht einmal die Hälfte. Die meisten davon zog es in den Norden der Stadt, ins Paulusviertel. Wenn möglich in die Nähe Ludwig-Wucherer-Straße, die an das Uni-Gelände anschließt. Die Bars dort wurden mehr, die Namensschilder über den Geschäften ironischer. Nur beim Straßennamen gingen ein paar Buchstaben verloren. Coole Kids sprechen mittlerweile nur noch von der Lu-Wu.

Auch die Grünen-Direktkandidatin für den Bezirk und Fraktionsvorsitzende, Claudia Dalbert, hat ihr Parteilokal auf der Lu-Wu. In der Nachbarschaft ein Friseurladen mit dem Namen „Wächst ja wieder!“, drei Yogastudios und die Bäckerei „Kaufmann’s Laden“, in der Dalbert an diesem Morgen sitzt. „Das ist natürlich eine Klientel, die uns sehr entgegenkommt: engagiertes Bürgertum“, betont Dalbert. Vor ihr auf dem Tisch steht ein Stück Käsekuchen. Daneben liegt ein Stapel Papiere mit Wahlergebnissen.

Dalbert ist 61, trägt schulterlanges blondes Haar. An anderen Tagen ist sie wahrscheinlich jemand, die viel lächelt, momentan jedoch kaum mehr Zeit dazu findet. Zu viele Termine, auf die sie sich vorbereiten muss. Sie wird gerne konkret, redet lieber von Zahlen und Projekten als von Visionen. Immer wieder schaut sie dafür in ihren Papierstapel.

Eine Stunde habe sie Zeit, dann müsse sie weiter. Nach Magdeburg. Verhandlungen im Landtag. Sie will nicht eingebildet erscheinen, will sich nicht selbst ins Zentrum des lokalen Erfolgs stellen. Lieber spricht sie von günstigen oder weniger günstigen Milieus. Das Paulusviertel mit seinen Akademikern und Bürgerinitiativen gegen Funkmasten – gute Wahlergebnisse. Die Plattenbauten im Westen von Halle – nicht so sehr. Nur weil man sich gegen Sozialkürzungen einsetzt, müsse das nicht zwangsläufig bei der Bevölkerung ankommen. „Der Hartz-IV-Empfänger denkt sich: Was soll ich mit Umweltschutz?“ So funktioniere eben die Politik, sagt Dalbert und pikst mit der Gabel in ihren Käsekuchen.

Wie steht es um ihren eigenen Beitrag zu dem Ergebnis? Natürlich, sie ist die Fraktionsvorsitzende im Landtag. Das gehe mit einem gewissen Renommee einher. Sicherlich, sie war bis 2011 an der Universität Halle aktiv. Vollständig müsste es eigentlich Prof. Dr. Claudia Dalbert heißen. Die große Hochphase ihrer Wahlkampftour hat sie gerade hinter sich. Nur für den 93. Geburtstag ihrer Mutter habe sie einen Tag Pause eingelegt. „So einer alten Dame kann man nicht absagen.“ Die Partei hatte Verständnis.

Welcome to Paulus-Viertel

Und selbstverständlich kenne sie jeden im Bezirk. „Es gibt hier keinen Geldadel, der vor der gesellschaftlichen Realität flieht.“ Im vergangenen Jahr kündigte die Stadtverwaltung an, dass eine Aufnahmestelle für 2.000 Flüchtlinge in Halle-Trotha errichtet werden soll. In einem Industriegebiet, versteckt am Rand der Stadt. Die Sorte von Ort, wo der Parkplatz des örtlichen Baumarkts das kulturelle Highlight ist. Als Reaktion demonstrierten auf der Lu-Wu 250 Menschen. Ihr Motto: „Refugees Welcome to Paulusviertel.“ Der Gedanke: Kommt zu uns, wir haben Platz, bei uns könnt ihr bleiben. Die Planungen zum Projekt in Trotha wurden Mitte Januar eingestellt. Aus dem Innenministerium Sachsen-Anhalt kam ein neues Konzept zur Flüchtlingsunterbringung. Die Massenunterkunft wurde nicht länger benötigt.

Umgekehrt kennt Dalbert das Viertel allerdings auch noch aus dem letzten Jahrtausend – als sie gerade frisch als Professorin nach Halle kam. Damals war die Stadt noch ein bisschen grauer. Und sehr viel brauner: 1998, als jeder Achte in Sachsen-Anhalt die rechtsextreme DVU wählte und jeder Fünfte ohne Job war. Auch im damals schon alternativ geprägten Paulusviertel lagen die Grünen nur fünf Prozentpunkte vor den Rechten. Ein Abstand von 200 Stimmen.

Grau und Braun sei Halle angeblich los. Zumindest oberflächlich. „Nazi sein, macht hier keinen Spaß mehr“, sagt Dalbert. Auch, weil man sich auf die antifaschistische Jugend verlassen könne. „Und NPD wählen finden die meisten Leute dann doch eher ekelig.“ Neu hingegen ist das Blau in der Stadt. 24,3 Prozent bekam die AfD bei der Landtagswahl und selbst in Claudia Dalberts Wahlkreis, dem grünen Norden Halles, wählt plötzlich wieder jeder Achte rechts. Immerhin, es sei das schlechteste Ergebnis der Rechtspopulisten in ganz Sachsen-Anhalt. „Die AfD finden die Leute dann aber doch schon sehr viel weniger eklig.“

Schulschluss. Vor der Lessing-Grundschule im Paulusviertel steht ein junger Familienvater mit Captain Ahab Bart und leckt sich seine selbstgedrehte Zigarette zurecht. Der dazugehörende Sohn wird derweil ungeduldig, will nach Hause. Mit immer wilderen Sprüngen hüpft er um den Vater herum, bis dem Jungen die Schirmmütze ins Gesicht rutscht. Vor einigen Jahren muss das Schulgebäude neu angestrichen worden sein. In Rostbraun. Darunter erkennt man immer noch die alte DDR-Architektur. Im März war die Schule eins der beiden Wahllokale im Bezirk. Die Grünen holten hier 24,3 Prozent – dasselbe Ergebnis wie die AfD auf Landesebene.

Der Junge richtet seine Schirmmütze. Zusammen brechen er und sein Vater auf. Der Heimweg führt sie vorbei an der Hausfassade mit dem weißen Kreideschriftzug. „Neue Fußwege braucht die Stadt“. Noch ist er da, dieser Ausbruch des zivilen Ungehorsams. Noch hat ihn der Regen nicht abgespült.

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