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„Hoffnung ist sehr hartnäckig“

Roman Für Jenny Erpenbeck gehören die Geschehnisse rund um den geräumten O-Platz zu den „großen Tragödien der Jetztzeit“. Ihren jüngsten Roman hat sie den Geschichten der Flüchtlinge gewidmet

Jenny Erpenbeck

Schriftstellerin und Regisseurin wurde 1967 in Ostberlin geboren. Ihr jüngst erschienener Roman „Gehen, ging, gegangen“ (Knaus Verlag, München 2015, gebunden, 19,99 Euro) befasst sich mit den Flüchtlingen vom O-Platz.

INTERVIEW Alke Wierth

taz: Frau Erpenbeck, in Ihrem jüngsten Roman „Gehen, ging, gegangen“ geht es teils recht realitätsnah um die Flüchtlinge, die den Oranienplatz besetzt hatten. Was hat Sie bewogen, sich damit zu befassen?

Jenny Erpenbeck: Ich fand es ist Zeit, zur Kenntnis zu nehmen, dass Leute ihr Leben riskieren, um hierherzukommen. Dass man sich dem zuwenden muss. Ich fand es seltsam, dass dieses Thema sogar für die Intellektuellen und Künstler so weit weg zu sein schien.

Warum?

Weil da Dinge im Gange sind, die uns betreffen. Die großen Tragödien der Jetztzeit spielen sich auf diesem Feld ab. Die Parallelwelt der Flüchtlinge in unseren Städten existiert doch schon seit mehreren Jahren. Und vom Wegschauen wird ja nichts besser. Also bin ich losgegangen und habe zu recherchieren begonnen.

Wie?

Ich bin zuerst zum Brandenburger Tor gegangen, wo ein Hungerstreik einiger Flüchtlinge stattfand. Von da dann zum Oranienplatz. Als der Oranienplatz wenig später geräumt wurde und die Männer für einige Monate in Heimen untergebracht wurden, habe ich begonnen, mit den Flüchtlingen Gespräche zu führen, über lange Zeit hinweg.

… deren Geschichten teils in Ihrem Buch zu lesen sind.

Ja, und mir ging es dabei nicht nur um die Fluchtgeschichten, sondern auch um das Leben, das diese Menschen vor der Flucht geführt haben, den Alltag vor der Flucht. Die Menschen, die hier bei uns ankommen, waren ja noch vor einigen Jahren ganz normale Leute, hatten Arbeit, hatten Freunde, Familien. Aber darüber zu sprechen, fiel den Männern oft am schwersten, weil das die Dinge betraf, die für immer verloren sind.

Es geht in Ihrem Buch auch um das Bemühen der Flüchtlinge, sichtbar zu werden mit ihren Anliegen und ihren Geschichten. Das hat in der Realität ja leider nicht so gut geklappt. Woher kam Ihr Interesse?

Vielleicht aus meiner eigenen Erfahrung beim Übergang von der DDR zum Westen, der ja sehr schnell und gründlich vor sich ging. Innerhalb weniger Monate war mein Land ein anderes Land. Glücklicherweise blieb es hier friedlich, aber die Erfahrung, dass so ein radikaler Umbau überhaupt möglich ist und wie sich das anfühlt, sitzt jedem Ostler in den Knochen. Und auch mit der bundesdeutschen Gesellschaft ist das Ende der Geschichte sicher noch lange nicht erreicht.

Es gibt ja Flüchtlinge, die viel Aufmerksamkeit und auch Unterstützung bekommen, die Syrer. Warum gilt das für die Flüchtlinge aus Afrika nicht?

Bei einem Afrikaner ist sofort die Assoziation da: ein Armutsflüchtling, einer, von dem wir hier nicht profitieren können. Die Leute vom Oranienplatz waren über dieses Klischee hinaus noch durch zwei Dinge schlechter gestellt: Zum einen war es der vom Westen zunächst bejubelte sogenannte „arabische Frühling“, der sie zu Flüchtlingen gemacht hat. Sie gehörten zur Gruppe der schwarzen Gastarbeiter in Libyen, die nach Gaddafis Sturz 2011 in pogromartigen Aktionen von den Einheimischen gejagt und zum Teil umgebracht – oder eben auf die Boote nach Europa gezwungen wurden. Das passte politisch nicht ins Bild. Und bis heute wissen nur wenige Berliner, dass die meisten von den Oranienplatz-Leuten gar nicht freiwillig nach Europa gekommen sind. Zum Zweiten sind sie hier politisch aktiv geworden mit dem Protest gegen die deutschen Asylgesetze. Die Syrer dagegen seien uns näher, heißt es oft. Viele sind tatsächlich sehr gebildet, haben gute Englischkenntnisse, Berufsabschluss, Studium. Sie bewegen sich souverän durch eine Großstadt wie Berlin. Und sie haben, das muss man eben auch sagen, einfach eine hellere Haut.

Vielleicht ist es auch schwerer, Menschen zu helfen, deren Lage hoffnungslos erscheint. Denn das ist ja die Lage der meisten Flüchtlinge vom Oranienplatz.

Die Aussichtslosigkeit der Existenz dieser Menschen ist für mich genauso tragisch wie die Geschichten, die sie durch Krieg und Flucht hinter sich haben. Selbst mit Spenden wird ja immer nur der Zwischenzustand verlängert, weil die gesetzlichen Grundlagen für eine legale Existenz in Deutschland nach wie vor fehlen.

Was macht das mit Ihnen, persönlich?

Ich bin natürlich immer noch mit diesen Flüchtlingen befreundet, ich kenne sie gut und weiß, wen wir da verlieren. Das sind junge, arbeitswillige Menschen, die einfach nur einen Platz auf der Welt suchen, wo ein Neuanfang möglich wäre. Lange Zeit habe ich ihnen Hoffnung gemacht. Und Hoffnung ist sehr hartnäckig. Aber irgendwann ist sie sogar mir ausgegangen. Hoffnung systematisch zu vernichten, ist ja wohl auch die Absicht einiger Politiker. Aber was macht ein Mensch, der keine Wahl hat und irgendwann auch keine Hoffnung mehr? Er wird kriminell, verrückt oder geht zugrunde.

Arbeits-und Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) hat die Einigung mit den Flüchtlingen damals ausgehandelt, Innensenator Frank Henkel (CDU) hat sie dann zunichtegemacht. Beide kommen in Ihrem Buch nicht vor. Haben Sie je mit ihnen gesprochen?

Henkel ist für mich keine literarische Figur. Es gab die Hardliner unter den Flüchtlingen, die von Anfang an gesagt haben, Kompromisse bringen nichts, und es gab die Verzweifelten, die sich auf die Vereinbarung eingelassen haben. Dass man dann gerade diese so hat auflaufen lassen, ist bitter. Das war ein ganz übles Manöver.

Sie sind richtig sauer auf Henkel?

Dass er sich nicht einmal mit ihnen an einen Tisch gesetzt hat, um sozusagen von Mann zu Mann mit ihnen zu sprechen, ist in meinen Augen einfach schäbig, vom Christentum ganz zu schweigen. Er selbst ist als Jugendlicher mit seinen Eltern aus der DDR ausgereist und feiert seither den Jahrestag seiner Ankunft im Westen als zweiten Geburtstag. Und dann kommen Leute aus echten Kriegsgebieten – die sollen in Deutschland kein zweites Leben haben dürfen. Das ist doch aberwitzig.

Worauf hoffen Sie noch?

Auf ein Wunder.

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