Ernährung

Mit der neuen Gentechnikmethode CRISPR/Cas lassen sich Pflanzen leichter und genauer verändern als bisher

„Die neue Gentechnik hat großes Potenzial“

Landwirtschaft Urs Niggli ist der wichtigste Wissenschaftler der Bioszene, die jede Genmanipulation ablehnt. Nun macht er eine innere Wende öffentlich: Die neue Methode CRISPR/Cas biete auch für Ökobauern große Chancen. Ist das Verrat an alten Idealen?

Auch die Reben von Biowein könnten mit der neuen Methode besser gegen Krankheitserreger geschützt werden, sagt Niggli Foto: Helene David/Picturetank/Agentur Focus

Interview Jost Maurin

taz: Herr Niggli, Sie haben lang gegen die Gentechnik in der Landwirtschaft gekämpft. Jetzt kann man mit der Gentechmethode „CRISPR/Cas“ Pflanzen und andere Lebewesen einfacher und genauer manipulieren als mit den bisherigen Verfahren. Müssen Sie Ihre Haltung zur Gentechnik ändern?

Urs Niggli: CRISPR/Cas hat großes Potenzial. Sie hat aber wie jede Technologie auch Risiken und kann falsch verwendet werden. Das sollte man für jede Anwendung einzeln bewerten, statt diese Technik generell abzulehnen. Ich weiß jetzt schon Anwendungen, die Sinn machen. Man muss schauen, wie die Risiken im Vergleich zu denen anderer Lösungen für die Probleme sind, bei denen man sie einsetzen will.

Welche Anwendungen wären denn sinnvoll?

Man kann zum Beispiel Gene für Krankheitsanfälligkeit ausschalten oder Resistenzgene aus der verwandten Wildpflanze wieder in moderne Sorten einführen. Das sind Eigenschaften, die zum großen Teil durch die Züchtung auf Ertrag oder Qualität in den letzten hundert Jahren verloren gegangen sind. Da könnte man tatsächlich in großem Maßstab Pestizide einsparen.

Pflanzen, die sich besser gegen Krankheitserreger wehren – das wäre doch auch etwas für die Ökolandwirtschaft, oder?

Ja, im Biolandbau ist zum Beispiel die Pilzkrankheit Falscher Mehltau ein ungelöstes Problem. Sie reduziert bei der Kartoffel, der Weinrebe, bei vielen Gemüsen oder beim Hopfen die Erträge und erhöht die Kosten. Wenn wir Ökobier trinken, dann wurde der Hopfen mit einem kupferhaltigen Pestizid behandelt. Das Ende der EU-Zulassung für Kupfer ist aber absehbar, weil es ein Schwermetall ist, das im Boden nicht abgebaut wird, und weil es dort Bakterien und Pilze hemmen kann. Wir arbeiten am Forschungsins­titut für biologischen Landbau an Pflanzenextrakten, um Kupfer zu ersetzen, doch es ist noch ein langer Weg bis zur Vermarktung.

Die Bioverbände lehnen CRISPR/Cas ab. Was sagen Sie zu deren Argument, man könnte durch traditionelle Kreuzung krankheitsresistente Sorten züchten?

Das würde vermutlich 30, 40 Jahre Züchtungsarbeit und große Geldmittel voraussetzen. Ich bezweifle, dass die Gesellschaft bereit ist, das zu finanzieren. Es dauert in der Regel 20 Jahre, eine Apfelsorte zu züchten, die gegen die Schorfkrankheit resistent ist. Oft verändert sich der Erreger dann schon nach 5 Jahren so, dass er die Früchte doch wieder schädigen kann.

Empfehlen Sie der Ökobranche, CRISPR/Cas zu akzeptieren?

Die Biobauern entscheiden das selber, und es überwiegt eine ablehnende Skepsis. Für den Ökolandbau sind nicht nur technische Überlegungen relevant, es geht auch um die Natürlichkeit und die Authentizität der Lebensmittel. Da könnte CRISPR/Cas bereits ein Schritt zu viel sein.

Welche Folgen hätte es, bliebe die Branche bei ihrer Ablehnung von CRISPR/Cas-Pflanzen?

Ich gehe davon aus, dass die Biobranche konsequent bleibt, die Technik grundsätzlich ­ablehnen und keiner Fall-zu-Fall-Beurteilung jeder einzelnen Anwendung zustimmen wird. Das bedeutet, dass die Ökoszene ihre Anstrengungen für die ­eigene Züchtung vervielfachen muss. Es wäre unschön, wenn der konventionelle Bauer eine Kartoffelsorte hätte, die ohne Pestizide auskommt – und der Biobauer eine Kartoffelsorte, die er mit Kupfer spritzen muss.

Die alte Gentechnik wird vor allem dazu genutzt, Pflanzen resistent gegen chemische Pestizide zu machen und konventionelle Monokulturen zu erleichtern. Warum glauben Sie, dass die neue Gentechnik nun Sinnvolleres schaffen kann?

Die alte Gentechnik ist getrieben durch die großen Konzerne, denn sie ist sehr teuer – unter anderem wegen all der Sicherheitsauflagen, die zu Recht da sind. Diese Unternehmen haben eine industrielle Landwirtschaft im Blick und das Interesse, nicht nur Saatgut, sondern auch dazu passende Unkrautvernichtungsmittel zu verkaufen. CRISPR/Cas können auch kleine Züchter anwenden: Sie ist technisch ex­trem einfach, und eine Anwendung kostet nur ungefähr 50 bis 60 Euro.

Auch Monsanto und andere Saatgutkonzerne sind an CRISPR/Cas dran. Bauen sie mit der Methode ihre jetzt schon große Marktmacht aus?

Das sehe ich nicht so. CRISPR/Cas ist eine demokratische Methode. Mittlerweile nutzen sie ja Tausende von staatlichen Labors.

Urs Niggli

Foto: FIBL

62, ist Pflanzenwissenschaftler und seit 1990 Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (Fibl) in der Schweiz. Die Organisation ist die wichtigste Wissenschaftsinstitution für die Ökolandwirtschaft. Zudem lehrt der Professor ökologische Agrarwissenschaften an der Uni Kassel-Witzenhausen.

Könnten nicht auch Pflanzen der neuen Gentechnik patentiert werden, sodass Züchter sie nur mit Genehmigung der Patentinhaber weiterentwickeln dürfen?

Die Patentsituation ist zurzeit völlig unklar. Bei dem Einsatz, wie ich ihn mir vorstelle, wird nur ein winziger Teil des Erbguts verändert: weniger als 20 Basenpaare, von denen eine Pflanze insgesamt etwa 70 Milliarden hat. Und die Mutation ist nicht von einer natürlichen zu unterscheiden. Da dürfte es schwierig werden, eine Patentverletzung nachzuweisen.

Wie sollte man Saatgut und Lebensmittel aus CRISPR/Cas-Pflanzen kennzeichnen?

Ich unterstütze das Anliegen der Bioverbände, dass die Züchtungsmethode gekennzeichnet wird. Wenn man aber „gentechnisch verändert“ draufschreibt, ist die Methode gestorben, bevor man sie kennt. Denn kaum jemand in Europa würde solche Lebensmittel kaufen. Vielleicht könnte man eine neue Kennzeichnung einführen, zum Beispiel „CRISPR/Cas“.

Sollen CRISPR/Cas-Pflanzen nach den gleichen Regeln zugelassen werden wie Produkte der alten Gentechnik?

Nein. Ich plädiere für ein neues, sehr differenziertes Prüfverfahren. Es wird Eigenschaften wie Krankheitsresistenzen geben, die sich durch kleinste Änderungen des Genoms etwa von einer amerikanischen Rebsorte auf eine europäische übertragen lassen und vermutlich risikoarm sind. Da sollten die Anforderungen nicht so streng sein, wie wenn zum Beispiel artfremde Gene eingeführt werden.

Warum ein „Zulassungsverfahren light“ für manche CRISPR/Cas-Pflanzen?

Sonst müssten die Züchter für jedes CRISPR/Cas-Produkt bei der Zulassung ein gigantisches Dossier mit Versuchsergebnissen und Analysen vorlegen. Das werden sich dann vor allem die großen Konzerne leisten können. Die Zulassung muss transparent sein, es muss auch auf Risiken geprüft werden. Aber wenn jede CRISPR/Cas-Pflanze genauso wie eine Sorte der alten Gentechnik behandelt wird, dann wird das die vernünftigen Anwendungen und die kleinen Züchter abwürgen.

Was genau bei CRISPR/Cas im Erbgut passiert, wissen wir nicht – damit besteht sehr wohl ein Risiko, oder?

Das weiß man auch bei einer traditionellen Züchtung nicht. So kann auch ein Apfel ein leicht erhöhtes Allergiepotenzial haben, der aus einer Kreuzung einer modernen Sorte mit dem schorfresistenten Japanischen Wildapfel entstanden ist.

Ein weiteres Gegenargument ist, dass auch die neue Methode CRISPR/Cas manchmal ungewollte Mutationen produzieren würde und deshalb ein unkalkulierbares Risiko sei.

CRISPR/Cas ist zurzeit der bekannteste Trend in der Gentechnik: Viele Wissenschaftler sind geradezu euphorisch, weil sie mit der 2012 erstmals verwendeten Methode Erbanlagen gezielter, schneller und billiger verändern können als bislang.

Bei älteren Gentechnikverfahren wie der Genkanone schossen die Forscher artfremde Gene in das Erbgut und zerstörten dabei mitunter auch funktionstüchtige Teile. Zudem mussten bei diesen Methoden aus technischen Gründen auch Gene eingebaut werden, die eigentlich nicht gewollt waren.

Bei CRISPR/Cas dagegen schneidet ein Protein das Erbgut an einer mit hoher Genauigkeit bestimmten Stelle. Anschließend bauen die Reparatursysteme der Zelle die DNA wieder zusammen – nach einer von den Wissenschaftlern erstellten Vorlage. So können Bauteile nach Wunsch abgeschaltet, entfernt oder neue geschaffen werden.

Dass wir eine Nullrisikostrategie verfolgen sollen, finde ich weltfremd. Jäger begannen vor 10.000 Jahren, die Kuh zu züchten, und sahen, dass mit ­Kuhmist die Gräser auf ihren Äckern viel besser wachsen. Wenn die nach dem Maßstab Nullrisiko vorgegangen wären, hätten die den Kuhmist nie aufs Feld getan.

Was halten Sie denn davon, die Technik bei Bio-Tieren anzuwenden?

Die Probleme in der Tierhaltung kann man komplett auf dem normalen Züchtungsweg lösen. Da sehe ich keine Notwendigkeit. Da stellen sich bei mir im Gegensatz zu den Pflanzen größere ethische Probleme.

Die Biolobby kämpft dafür, dass CRISPR/Cas-Pflanzen wie Pflanzen der alten Gentechnik eingestuft werden. Ist Ihr Plädoyer für ein neues Zulassungsverfahren da nicht Verrat?

Ich habe bereits vor 25 Jahren an vorderster Front gegen Gentechnik gekämpft und geholfen, dass die Schweiz ein Anwendungsmoratorium für gentechnisch veränderte Pflanzen hat. CRISPR/Cas unterscheidet sich stark von der damaligen Gentechnik und berücksichtigt zahlreiche Kritikpunkte von damals. Mit einer differenzierteren Betrachtung gebe ich meine Ideale also nicht auf.

Lehnen Sie die Kampagne der Biobranche gegen CRISPR/Cas ab?

Nein. Es ist klar, dass man jetzt politisch Druck machen muss, damit eine Kennzeichnungspflicht kommt und die Wahlfreiheit bestehen bleibt. Aber die Gefahr ist, dass man völlig überreagiert und irrationale Ängste schürt.