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Digitaler Bärendienst

Big Data Leben unter den Bedingungen der digitalen Ausforschung: die „Nervöse Systeme“-Schau im HKW

von Tilman Baumgärtel

Geschmack hat er ja, der Julian Assange. In der Ecke seines etwa 20 Quadratmeter großen ecuadorianischen Exils in London steht ein Paar teuer aussehender Herrenschuhe, auf dem Tisch eine Flasche mit edlem Brandy, auf dem Schreibtisch mit Blick auf ein schmales Fenster ein flacher silberner Laptop.

So sieht es aus, das Zimmer, das dem Chef von WikiLeaks in der Botschaft von Ecuador eingerichtet worden ist – jedenfalls wenn man der detailfreudigen Rekonstruktion der Quasizelle durch die Schweizer !Mediengruppe Bitnik glauben darf, die in der Ausstellung „Nervöse Systeme – Quantifiziertes Leben und die soziale Frage“ im Haus der Kulturen der Welt (HKW) zu sehen ist.

Seit den Snowden-Enthüllungen erscheint das Internet als ein riesiges Panoptikum, das so umfassende Überwachungsmöglichkeiten bietet wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit. Was bedeutet es, wenn in der Cloud gespeicherte private Informationen, die wir durch Internet- und Smartphone-Nutzung, durch Fitness-Tracker und Computeruhren, zunehmend auch via Sensoren und Sendern des „Internets der Dinge“ – freiwillig oder auch nicht – über uns preisgeben, unser Leben zu steuern beginnen?

Es sind komplexe Fragen, um die es in dieser Ausstellung geht, und damit ist auch schon ein zentrales Problem der Schau angesprochen: so wirkungsmächtig diese Technologien auch sein mögen, sehr anschaulich sind diese Prozesse nicht. Das Assange-Zimmer ist eins der Exponate mit dem höchsten Schauwert in der Ausstellung. Wie bei dieser Installation bedeutet die künstlerische Bearbeitung des Themas oft die Reproduktion von Dingen, von Architektur, von technischer Infrastruktur als Platzhalter dieser Prozesse.

Die Videokünstler Andree Korpys und Markus Löffler filmen kommentarlos die Baustelle des Bundesnachrichtendienstes in Berlin ab, Emma Charles hat die Serverregale und die Leitungen eines Rechenzentrums des Telekommunikationsunternehmens Verizon in New York aufgenommen. Unwillkürlich denkt man an Brechts Feststellung, dass auch die genaueste Abbildung einer Fabrik nicht deren innere Struktur zeigt.

Mit der bloßen Abbildung von Infrastruktur begnügen sich natürlich bei Weitem nicht alle der etwa fünfzig Arbeiten, die in der zweiteiligen Ausstellung zu sehen sind, welche von Anselm Franke vom HKW und Stephanie Hankey und Marek Tuszynski vom Tactical Technology Collective kuratiert wurde: Der größte Teil der Ausstellungshalle wird von einer Struktur mit dem Titel „The Grid“ eingenommen, in der Installationen, Videoarbeiten, Fotografien und Gemälde zu sehen sind. Interpunktiert werden diese Werke von „Triangulationen“, eine Art glasloser Ausstellungsvitrine, in denen Zitate – fast wie im Technik- oder Wissenschaftsmuseum – mit Objekten konfrontiert werden.

Neben Ausführungen über die Interpretationsbedürftigkeit von digitalen Daten ist etwa ein Wasserkocher zu sehen, der durch eine Lampe anzeigt, wann der Strom im Leitungsnetz besonders reichlich fließt. Na ja. Die Ausstellung will weder Dystopien noch Utopien darstellen, heißt es in der Ankündigung (warum eigentlich nicht?), sondern sich lieber mit der „sozialen Frage“ unter Bedingungen von Big Data beschäftigen. Letztlich führt das zu einer etwas flauen Veranstaltung, die die Möglichkeiten von Widerstand gegen die digitale Ausforschung schon abgeschrieben und sich ins Unvermeidliche gefügt zu haben scheint.

Nervöse Systeme

Die Ausstellung „Nervöse Systeme – Quantifiziertes Leben und die soziale Frage“ ist bis 9. Mai im Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10, zu sehen. Mi.–Mo. 11–19 Uhr, der White Room 12–18 Uhr. Montags freier Eintritt.

Im Rahmen der Ausstellung gibt es Führungen, Gespräche und Workshops: Am Sonntag kann man sich um 16.30 Uhr mit Peng! mit Taktiken der Guerillakommunikation vertraut machen: „Wie man das Böse mit einem Lächeln abschießt“. Am Montag heißt es ab 14 Uhr ­„De-Googlize Your Life“.

Programm: www.hkw.de

Aktivistischer geht es bei den kleinen Arbeiten, Objekten und Gadgets zu Sache, die das Tactical Technology Collective im „White Room“ an der Stirnseite der Ausstellungshalle zeigt: eine Installation in der Art eines Apple-Stores, wo man auf kleinen Pads Webvideos, Apps und Software-Miniaturen zu sehen bekommt. Lobenswert dabei ist der Einsatz von in weiße Overalls gekleideten Assistenten, die sonntags die Besucher mit den oft nicht sofort zugänglichen Arbeiten vertraut machen.

Im White Room gibt es unter anderem die Assemblage „Unfitbits“ von Tega Brain und Surya Mattu: ein Metronom mit am Zeiger aufgespießtem Fitnesstracker. Der bekommt so einen tüchtigen Work-out verpasst, ohne dass sich sein Besitzer selbst plagen muss. Merke: Man kann durch Datenüberproduktion „Nebel werden“, wie es die französische Künstlergruppe Tiqqun in ihrem Buch „Kybernetik und Revolte“ empfohlen hat.

Die hier gezeigten Arbeiten weisen wenigstens gelegentlich auf Möglichkeiten der Obstruktion gegen die scheinbar alternativlose digitale Vermessung der Welt hin. Und dafür gibt es auch ganz praktische Handreichungen: bei Praxisseminaren, bei denen man erfährt, wie man sein Leben „ent-googelt“ oder seinen Internetbrowser so konfiguriert, dass er nicht unerwünschte Informationen über seinen Nutzer weitergibt. Das zeigt, dass Widerstand gegen den Popanz der allumfassenden Datenerhebung und -analyse nach wie vor eine Option ist und der Kampf um Privatsphäre, Netzneutralität, quelloffene Software und Kryptografie kein vergebliches Projekt.

Deswegen kann man zum Schluss noch einmal auf den Neubau des BND zurückkommen, von dem die Videoarbeit von Korpys/Löffler so wahnsinnig viele Details zeigt, ohne selbst irgendeinen Standpunkt zu beziehen: Als dort im März des vergangenen Jahres Wasserhähne gestohlen wurden und als Folge mehrere Etagen unter Wasser standen, wurde ganz nebenbei demonstriert, dass solche Überwachungsapparate gelegentlich mit einfachsten Mitteln desavouiert werden können – egal, ob das nun ein Kunstprojekt, Aktivismus oder schlichter Buntmetalldiebstahl gewesen ist. Etwas mehr von dieser Chuzpe hätte auch dieser Ausstellung gutgetan.

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