: Der verurteilte Sieger
Kriegsverbrechen Das UN-Tribunal spricht den früheren Serbenführer Karadžić wegen Völkermord schuldig. Zu Hause gilt er trotzdem als Held
von Erich Rathfelder
Bei der Beurteilung des Urteils über den früheren bosnischen Serbenführer Radovan Karadžić kommt es auf den Blickwinkel an. Wenn der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki Moon, erleichtert darüber ist, dass ein für den Völkermord Verantwortlicher bestraft werden konnte, dann kann man ihm nur beipflichten. Das UN-Tribunal für Jugoslawien hat in Bezug auf Ruanda sogar Schule gemacht. Es sollten weitere folgen. Auch in Bezug auf Kriegsverbrechen der Großmächte. Es wäre ja schön, wenn die Weltgemeinschaft in der Lage wäre, alle Schlächter der Welt zur Verantwortung zu ziehen.
Im Fall von Radovan Karadžić hat das Gericht lange Jahre gebraucht, bis es endlich zu einem Urteil kam. Dass er zu nur 40 Jahren und nicht wie jeder x-beliebige kriminelle Mörder zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, stößt auf. Dennoch: Für die Zukunft ist es wichtig, dass er in 10 Anklagepunkten schuldig gesprochen wurde.
Der Massenmord in Srebrenica vom Juli 1995 ist nun unwiderruflich als Genozid definiert, und die Belagerung Sarajevos, die 11.000 Menschen das Leben gekostet hat, als Kriegsverbrechen. Radovan Karadžić wurde wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, darunter Mord, Ausrottung, Deportationen, Terror und Vertreibung, verurteilt. Das ist gut so.
Genozid definiert
Aus dem Blickwinkel von Bosnien und Herzegowina lässt das Urteil dennoch Fragen offen. Das Gericht hat in einem Anklagepunkt die „ethnischen Säuberungen“, das heißt die mit systematischen Morden und Massenvergewaltigungen verbundene gewaltsame Vertreibung der Nichtserben aus den im Jahr 1992 von serbischen Truppen eroberten Gebieten, juristisch nicht als Genozid definiert. Der Angeklagte wird zwar individuell für Ausrottung, Mord und Terror gegen die Zivilbevölkerung strafrechtlich verantwortlich gemacht, doch die Systematik der Verbrechen wird in dem Urteil deshalb nicht ausreichend berücksichtigt.
Zerstörte Völkervielfalt
Aus einem wissenschaftlichen Blickwinkel ist erwiesen: Das Ziel von Karadžić war vom Beginn des Krieges an, den Vielvölkerstaat Bosnien und Herzegowina zu zerschlagen und die jahrhundertelang miteinander verwobenen Bevölkerungsgruppen zu trennen. Die in Jugoslawien vorherrschende Ideologie von „Brüderlichkeit und Einheit“ sollte zerstört und durch ein nationalistisches Konzept des reinen Serbentums ersetzt werden. Das ist ihm mit seiner Politik des Krieges und der Verbrechen auch gelungen.
Im Abkommen von Dayton wurde im November 1995 mit dem Segen der internationalen Staatengemeinschaft das Land auf ethnisch-territorialer Basis getrennt. So gesehen können sich Karadžić und sein General Ratko Mladić als Sieger fühlen. Der Traum der serbischen Nationalisten, ein Großserbien zu schaffen, wurde zwar nicht völlig verwirklicht, doch eine Etappenziel erreicht. Folgerichtig werden beide bis heute als Helden verehrt. Die Reaktionen auf das Urteil in Serbien und der serbischen Teilrepublik Republika Srpska in Bosnien sprechen da eine eindeutige Sprache.
Anerkennung der Opfer
Indem das Gericht die blutigen Ereignisse von 1992 sozusagen in der zweiten Reihe aburteilte, wird vermieden, am Existenzrecht dieser Republika Srpska zu rütteln. Serbische Nationalisten hoffen nun sogar, in einem Revisionsverfahren auf weitere Konzession vonseiten des Internationalen Kriegsverbrechertribunals in Den Haag. Die Opfer, die damals Vertriebenen, die Hinterbliebenen der Ermordeten, die traumatisierten Lagerinsassen, sind lebenslänglich bestraft. Doch ihnen geht es nicht um eine härtere Strafe für den Serbenführer Karadžić, sondern vor allem um die Anerkennung ihres Schicksals durch die serbische Seite.
Doch die wird trotz des Urteils von Den Haag wohl nur von wenigen kommen.
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