Anja Krüger über die aktuelle Rentenpolitik: Bizarre Doppelmoral
Die Renten in Deutschland steigen zum Juli so stark wie seit 23 Jahren nicht – um 4,25 Prozent im Westen, um 5,95 Prozent im Osten. Das ist zweifellos richtig – so werden die Rentnerinnen und Rentner am guten Wirtschaftswachstum und steigenden Löhnen beteiligt. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) sieht bestätigt, dass das umlagefinanzierte Rentensystem prima funktioniert – vor allem in Zeiten niedriger Zinsen.
Das stimmt. Trotzdem klingt es wie Hohn. Denn es war ausgerechnet ihre Partei, die mit der Rentenreform 2000 die künftigen Altersbezüge der jetzt Erwerbstätigen erheblich gesenkt hat – und die Beschäftigten in genau die Zinsfalle getrieben hat, in der sie jetzt stecken. Mit privater und betrieblicher Altersvorsorge sollen die Beschäftigten jene Lücken füllen, die SPD und Grüne mit der Absenkung des künftigen Rentenniveaus gerissen haben. Aber in Zeiten niedriger Zinsen wirft das nicht viel ab.
Kurz nachdem Nahles in Berlin die Rentenerhöhung präsentiert hat, begannen in Potsdam die Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst. Auch dort geht es um Alterseinkünfte. Die öffentlichen Arbeitgeber wollen die künftigen Zusatzrenten für die Beschäftigten senken – also ihre Betriebsrenten. Mit dem Staat will ausgerechnet jene Instanz Kürzungen bei der Altersversorgung für über zwei Millionen Menschen durchsetzen, die gleichzeitig Beschäftigte zur Vorsorge mahnt.
Diese Doppelmoral ist bizarr. Heutige Durchschnittsverdiener mit einem Einkommen von 2.500 Euro im Monat brutto werden eine Rente auf dem Niveau der Grundsicherung bekommen. Und es gibt eine Menge Menschen, die weniger verdienen.
Wenn Nahles die Altersarmut der künftigen Rentnerinnen und Rentner verhindern will, muss sie eine große Reform in Angriff nehmen. Dazu gehört nicht nur die Anhebung der Rentenansprüche, sondern vor allem die Mindestrente in vernünftiger Höhe – und zwar für alle.
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