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„Mit dem Ende des Kriegs wäre das Problem nicht gelöst“

Perspektive In Genf verhandelt das Regime Assads mit der Opposition über eine politische Lösung des Syrienkonflikts. Doch was wird aus Baschar al-Assad? Ein Gespräch mit zweien, die sich über Wege seiner Entmachtung nicht einig sind

Interview Jannis Hagmann

taz: Herr Hayyan al-Yousouf, Frau Kefah Ali Deeb, hätten Sie vor fünf Jahren gedacht, dass Sie im Jahr 2016 immer noch über Baschar al-Assad reden würden?

Al-Yousouf: Niemals! Weder ich noch irgendein anderer Syrer hätte gedacht, dass sich Baschar al-Assad an der Macht hält – nicht einmal sechs Monate.

Ali Deeb: Ich hätte nicht gedacht, dass ich mit einer deutschen Tageszeitung sprechen würde. Dass wir zu dem Punkt kommen, an dem wir heute sind, dass so viele Syrer in Deutschland leben würden, das war unvorstellbar.

Erinnern Sie sich an die Märztage 2011, als alles begann?

Ali Deeb: Ich habe in Damaskus gelebt, als in Deraa die Probleme losgingen und die Stadt von Sicherheitskräften belagert wurde. Es gab erste Protestaktionen vor der ägyptischen, tunesischen und libyschen Botschaft, Solidaritätsbekundungen für die Aufstände dort. Das allein war für die Sicherheitskräfte schon ein Grund, uns anzugreifen. Wir reagierten mit einem Plakat: „Wer sein Volk abschlachtet, ist ein Verräter.“ Damals wurde ich auch zum ersten Mal verhaftet.

Zum ersten Mal?

Ali Deeb: Viermal haben sie mich verhaftet. Einmal blieb ich 18 Tage lang in Haft.

Al-Yousouf: Als die Revolutionen begannen, haben wir, das syrische Volk, uns bereit gemacht. Wir dachten, wenn es in Ägypten möglich ist, den Präsidenten in 18 Tagen zu stürzen, können wir das vielleicht auch. Gleichzeitig hat aber auch das Regime die Lage in der Region genau beobachtet. Es gibt einen berühmten Satz von Baschar al-Assad. Er sagte, dass Syrien nicht Tunesien oder Ägypten ist …

Ali Deeb: … das war in seiner ersten Rede, kurz nachdem bei Protesten ein Kind in Deraa getötet wurde. Diese Rede hat uns damals schon die Hoffnung genommen. Statt den Angehörigen Beileid auszusprechen, saß er da und lachte. Wir waren entsetzt. Er hatte sich schon für den Krieg entschieden. Ein Freund, der unter Baschar al-Assads Vater Hafis 15 Jahre im Gefängnis gesessen hatte, sagte mir an diesem Tag: Kefah, Baschar al-Assad wird nicht gehen, solange in Syrien noch ein Stein auf dem anderen liegt.

Wenn die internationale Gemeinschaft wirklich etwas für das syrische Volk tun wollte, hätte sie es längst getan. Wir sind ein Spielball der internationalen GemeinschaftHayyan al-Yousouf über die SyrienVerhandlungen in Genf

In Genf verhandeln in diesen Tagen Vertreter von Regime und Opposition miteinander. Allerdings ist die Verhandlungsposition der Opposition nach den heftigen russischen Luftschlägen in Syrien sehr geschwächt. Kann Assad in einer wie auch immer gearteten Übergangszeit noch eine Rolle spielen?

Al-Yousouf: Undenkbar. Es gibt keine politische Lösung mit Baschar.

Ali Deeb: Die Frage ist, was man möchte und was möglich ist. Politik verwirklicht keine Wünsche. Was in Syrien passiert, war für mich eine Revolution, jetzt nenne ich es Krieg. Eine Übergangslösung mit Baschar al-Assad in einer Übergangsregierung ist momentan wohl der internationale Plan. Ich kann dem zustimmen, aber nur unter bestimmten Bedingungen: dass man die Menschen rettet, die noch zu retten sind, dass die Vertriebenen zurückkehren können, und – ein sehr zentrales Problem – dass alle Gefangenen freikommen. Was aber die Zukunft Syriens angeht: Es ist ausgeschlossen, dass Assad nach der Übergangszeit im Amt bleibt …

Al-Yousouf: … er ist ein Kriegsverbrecher …

Ali Deeb: … er hat sein Volk niedergemetzelt. Aber ganz unabhängig von moralischen Gesichtspunkten: Assad ist nicht fähig, langfristig im Amt zu bleiben. Als Regierungschef ist Baschar al-Assad gescheitert. Er hat es nicht geschafft, das, was er „die Krise“ nennt, in den Griff zu bekommen und den Krieg zu stoppen.

Al-Yousouf: Aber auch in einer Übergangsregierung kann Baschar keine Rolle spielen. Es gäbe keinerlei Garantie, dass er die Interessen des syrischen Volks berücksichtigen würde. Assad wird jeglichen Wandel verhindern. Das syrische Volk will den Militärapparat abschaffen. Baschar al-Assad wird genau das verhindern.

Eine Übergangsregierung, eine neue Verfassung und Neuwahlen bis Mitte 2017 sind der grobe Fahrplan, auf den sich die internationale Gemeinschaft geeinigt hat. Die Rolle Assads wurde dabei stets ausgeklammert. In Genf weigern sich die Vertreter des Regimes nun weiter, über Assads Präsidentschaft zu verhandeln. Ergeben die Syriengespräche dann überhaupt Sinn?

Al-Yousouf: Nicht wirklich. Das Problem ist, mit einer Übergangszeit mit Baschar al-Assad, die mit Neuwahlen endet, hätten wir überhaupt nichts gewonnen. Dann bliebe alles beim Alten. Wir Syrer wissen, was Wahlen bedeuten. Wahlen werden gefälscht und gelenkt.

Die Wahlen müssten im Rahmen des UN-Friedensplans stattfinden, unter strenger internationaler Aufsicht.

Al-Yousouf: Das syrische Volk vertraut der internationalen Gemeinschaft nicht. Wenn sie verspricht, dass morgen etwas passiert, zweifeln wir schon daran. Aber wenn es heißt, Wahlen sollen innerhalb von 18 Monaten stattfinden, glauben wir es erst recht nicht. Wenn die internationale Gemeinschaft wirklich etwas für das syrische Volk tun wollte, hätte sie es längst getan. Wir sind ein Spielball der internationalen Gemeinschaft.

Der Krieg in Syrien ist aber kein syrischer, sondern ein internationaler Konflikt. Wenn nicht die internationale Gemeinschaft, wer soll ihn beenden?

Al-Yousouf: Die internationale Gemeinschaft könnte den Krieg sofort beenden. Die Frage ist aber, ob das Ende des Krieges dazu führt, dass die Syrer das bekommen, was sie wollen: Freiheit und Würde.

Sie glauben noch an die Revolution?

Al-Yousouf: Natürlich!

Ali Deeb: Ich auch. Ohne Optimismus könnte ich nicht leben. Trotzdem ist es höchste Zeit, dass der Krieg in Syrien gestoppt wird. Ich glaube, die internationale Gemeinschaft kann das schaffen. Der Krieg wird wahrscheinlich gestoppt werden und es kann sein, dass Baschar al-Assad abgesägt wird.

Der Krieg wird wahrscheinlich gestoppt werden? Glauben Sie das auch, Herr al-Yousouf?

Al-Yousouf: Vielleicht. Aber wie gesagt, das Problem wäre damit noch nicht gelöst.

Kefah Ali Deeb

Die 33-Jährige kam 2014 nach Deutschland. Sie musste Syrien verlassen, nachdem sie sich für die Opposition gegen das syrische Regime engagiert hatte. Wegen ihres politischen Aktivismus wurde sie mehrfach inhaftiert. Vor ihrer Flucht nach Deutschland war Kefah Ali Deeb unter anderem Mitglied des Exekutivkomitees des Nationalen Koordinationsrats für Demokratischen Wandel (NCC). Ali Deeb ist Kinderbuchautorin, Künstlerin und Kolumnistin der taz.

Ali Deeb: Ja, es kann sein, dass Assad sich als Diktator wieder festsetzt. Das hat es ja schon oft gegeben. Zum Beispiel in Spanien. Die Revolution scheiterte, Franco blieb an der Macht und regierte das Volk mit noch eisernerer Hand als zuvor. Ein weiteres Problem an den Genfer Gesprächen ist, dass eine Neuplanung des Nahen Ostens stattfindet. Die ganze Region wird neu geplant, neu aufgeteilt, neu gestaltet.

Unter anderem gibt es die Idee, Syrien zu einem föderalen System zu machen. Einzelne Regionen würden mehr Eigenständigkeit bekommen und nicht mehr zentral von Damaskus aus regiert werden. Ist das eine Option für ein Nachkriegssyrien?

Al-Yousouf: Alle Lösungen, die im Moment diskutiert werden, richten sich gegen die Einheit Syriens. Der Plan des Föderalismus bedeutet eine Aufteilung Syriens: die Kurden im Norden, die Alawiten an der Küste, die Drusen im Süden und die Sunniten im Westen, also mit Daisch (dem IS; die Red.).

Warum ist das Wort Föderalismus ein solches Reizwort? Föderalismus ist nicht gleich Teilung. Deutschland ist auch ein föderaler Staat.

Al-Yousouf: In Deutschland haben sich die Deutschen für den Föderalismus entschieden. In Syrien würde er uns aufgezwungen.

Ali Deeb: Ich habe mit Föderalismus kein solches Problem. Wenn Föderalismus bedeutet, dass es viele Provinzregierungen unter einer Zentralregierung gibt, bin ich absolut dafür. Die einzelnen Bundesstaaten hätten mehr Freiheiten und könnten ihren Etat selbst verwalten. Im alten System waren die reichsten Gouvernements die ärmsten. Rakka und Deir al-Zor haben die meisten Bodenschätze und Produkte, aber ihnen wurde alles weggenommen. In einem föderalen System könnten sie sich selbst versorgen. Der Überschuss könnte verteilt werden. Wenn Föderalismus aber bedeutet, dass Syrien in Kleinstaaten aufgeteilt wird, zwischen denen keine Verbindung mehr besteht, dann bin ich dagegen.

Al-Yousouf: Die Syrer wollen keine Teilung Syriens, abgesehen von den Kurden. Die haben ja zu Beginn der Revolution auch nicht an den Demonstrationen teilgenommen. Aber jetzt, im Schatten des Konflikts, bauen sie offenbar ihre eigene Infrastruktur auf. Sie nennen Nordsyrien Westkurdistan. Während Syrien verfällt, verwirklichen sie ihren eigenen Traum.

Ali Deeb: Das ist ungerecht. Vielleicht kennst du Kurden, die nicht mitgemacht haben. Ich kenne Kurden, die mitgemacht haben. Die Kurden sind kein monolithischer Block. Man kann nicht einfach sagen, dass die Kurden abtrünnig sind. Und „die Kurden“ gibt es genauso wenig wie „das syrische Volk“. Es gibt Kurden, die hängen stärker an ihrem Syrien als manche Araber …

Al-Yousouf: Okay, warum hört man von denen nichts?

Ali Deeb: … und was die offizielle Rhetorik angeht: Ich habe viele Broschüren und Flugblätter von Kurden gesehen und nicht ein Mal das Wort Westkurdistan gelesen. Sie reden von den kurdischen Gebieten.

Al-Yousouf: Auch das ist ja schon ein Problem. Was sie die kurdischen Gebiete nennen, dort stellen die Kurden dreißig Prozent der Bevölkerung. In Nordsyrien leben Armenier, Assyrer, Christen, Araber, alle möglichen Gruppierungen. Ich habe ein Problem damit, dass sie das als kurdische Gebiete bezeichnen.

Ali Deeb: Ich glaube, wir müssen ein eigenes Interview allein zum Thema Kurden führen.

Hayyan al-Yousouf

Der 36-Jährige machte an der Universität von Deir al-Zor einen Abschluss als Agraringenieur. Nach Ausbruch der syrischen Revolution im Jahr 2011 wurde Hayyan al-Yousouf Fotojournalist und dokumentierte den Alltag der Kämpfe und Konflikte in seiner Heimatstadt Deir al-Zor. Außerdem baute er dort ein Medienzentrum auf und arbeitete mit den oppositionellen Lokalen Koordinationskomitees zusammen. Seit 2014 lebt er in Deutschland. Seine Flucht von Syrien nach Europa ist unter taz.de/!5025444/ nachzulesen.

Frau Ali Deeb, Sie stören sich aber auch daran, dass Herr al-Yousouf vom syrischen Volk spricht?

Ali Deeb: Wir können nicht sagen, dass das ganze syrische Volk die gleichen Ziele verfolgt, dass das ganze Volk den Sturz des Regimes will. Es gibt viele Syrer, die keine Freiheit, Demokratie und Unabhängigkeit wollen und den Sturz Baschar al-Assads nicht herbeisehnen. Wir müssen die Existenz dieser anderen anerkennen. Es gibt genug Syrer, innerhalb und außerhalb Syriens, die immer noch hinter Baschar al-Assad stehen.

Könnten Sie sich vorstellen, dass wir in fünf Jahren wieder hier zusammensitzen und noch immer über Baschar al-Assad reden?

Ali Deeb: Knappe Antwort: nein!

Al-Yousouf: Ich befürchte schon. Das kann sein.

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