: Missliebige Fremdherrschaft
Biathlon Der unangefochtene Star der Biathlon-WM am Holmenkollen ist zum Leidwesen der gastgebenden Norweger ein fescher Franzose: Martin Fourcade. Immerhin konnten die Gastgeber am Samstag die Staffel für sich entscheiden
Aus Oslo Andreas Morbach
Am Samstagnachmittag nahm sich der ältere Herr in der blauen Winterjacke besonders viel Zeit. Hinter der schlichten Betonmauer in der Biathlonarena am Holmenkollen, seinem Stammplatz der letzten zehn Tage, begrüßte König Harald V. Norwegens Staffelsieger. Vor Ole Einar Björndalen, der mit feuriger Unterstützung der Bö-Brüder Tarjei und Johannes Thingnes sowie Emil Hegle Svendsen gerade sein 20. WM-Gold abgeräumt hatte, zog der unauffällige Monarch seine blaue Mütze, wollte gar nicht aufhören, mit dem ewigen Skijäger zu plaudern. Schließlich genossen die Gastgeber und ihr Staatsoberhaupt neben dem Triumph im prestigeträchtigen Teamwettbewerb auch eine schöne Abwechslung.
Denn erstmals bei einem Männerrennen der Osloer Biathlon-WM schaute jemand anders als Martin Fourcade zum Sieger-Smalltalk beim König vorbei. Nach einer Hundert-Prozent-Quote in Mixed-Staffel, Sprint, Verfolgung und Einzel verfehlte der bärtige Dauergewinner auch die Medaillenränge klar, kam als Schlussläufer der französischen Staffel nur als Neunter, fast zwei Minuten hinter den Norwegern, ins Ziel. Ein ungewohntes Schattendasein für Fourcade. Doch dessen mutmaßlichen Konter beim finalen Massenstart am Sonntag (war bei Andruck dieser Ausgabe noch nicht beendet) wollten vor allem die adrenalingesteuerten Skandinavier verhindern.
„Martin hat schon so viel gewonnen – noch mal muss vielleicht nicht sein“, äußerte der Schwabe Simon Schempp seine Vorbehalte gegen das fünfte Fourcade-Gold eher schüchtern.
Das emotionale Gegenstück dazu lieferte der viermalige Olympiasieger Svendsen. Der 30-Jährige aus Trondheim und Fourcade pflegen seit einigen Jahren eine intensive Rivalität. Deshalb ergriff Svendsen auch sofort das Wort, als er und die drei Mitstreiter auf den psychologischen Effekt ihres Erfolgs angesprochen wurden – und betonte grimmig: „Die Staffel war noch nicht das Ende. Wir wollen ihn unbedingt schlagen.“
Die Alleinherrschaft des französischen Skijägers aus dem 8.000-Seelen-Städtchen Céret am Fuße der Pyrenäen missfiel den stolzen norwegischen Biathleten eben sehr. Das zeigten sie auch deutlich – etwa, als die geschlagenen Svendsen und Björndalen vor der Siegerehrung zum Verfolgungsrennen eine auffallend intensive Unterhaltung führten. Sodass Gewinner „Fabulous“ Fourcade leicht deplatziert neben ihnen im Schnee stand.
In dem Moment half es ihm auch nichts, den Juli und August 2015 zur WM-Vorbereitung in der norwegischen Hauptstadt verbracht zu haben. Bei der zweimonatigen Fortbildung lernte der professionelle Monsieur einige spezielle Ecken Oslos kennen. Zu seiner Lieblingsecke avancierte in dieser Zeit aber nicht der Holmenkollen, sondern: Grefsenkollen, ein Vorort im Nordosten der Stadt, von wo aus man einen weiten Blick auf die City, den Fjord und seine vielen Inseln hat.
Dort oben bummelte Fourcade im vergangenen Sommer in der Freizeit gern herum. „In Grefsenkollen hat es mir am besten gefallen“, erzählte er während der WM, offenbarte damit zwischendurch auch mal seine menschliche, private Seite. Doch die unerbittliche Art, mit der er seine Widersacher beim Doppelwettkampf mit Ski und Gewehr in Schach hält, ruft bei allen Beteiligten neben Bewunderung auch Argwohn hervor. Denn zu viel Einseitigkeit schadet auf Dauer jeder Sportart.
Während er auf dem berühmten Hausberg von Oslo von Titel zu Titel eilte, sackte er nebenbei auch die Krone im Weltcup ein. Es war sein fünfter Sieg in der Gesamtwertung am Stück. „Das habe ich in meinen besten Träumen nicht erwartet“, kommentierte der Dominateur die bemerkenswerte Serie. Eine anhaltende Erfolgslawine, welche die französische Sport-Tageszeitung L’Équipe umgehend zu einem Aufruf an ihre Leser veranlasste. Gesucht: ein passender Spitzname, der all die Superlative, die Fourcade umkreisen, vereint.
Die Norweger mussten angesichts der anhaltenden Fremdherrschaft auf ihrem heiligen Wintersportterrain lange mit den Füßen scharren. Da konnte Björndalen seinen x-ten Frühling als Skijäger erleben, Lautsprecher Svendsen die in ihm schlummernden Energien noch so punktgenau freilegen – beim Duell Mann gegen Mann war Martin Fourcade am Ende immer besser als sie.
Immerhin: Der Staffelsieg vom Samstag linderte den Verdruss der Norweger schlagartig. Zuvor aber musste selbst Björndalen einräumen, was ihn und den über dem Rest thronenden Mann aus dem Hexagone unterscheidet. „Das ist nichts anderes als in den letzten Jahren. Auch da dominierte er – jetzt kann er hier alle vier Einzelwettbewerbe gewinnen“, kommentierte Björndalen mit Blick auf den Massenstart skeptisch. Zudem lieferte der Skijäger aus dem nahegelegenen Simostranda noch einen Vergleich: „Fourcade ist in allem gut, ich gewinne in bestimmten Disziplinen. Das ist total verschieden.“
Und so marschierte der freundlich-reservierte Alleskönner in der ersten Märzhälfte regelmäßig hinauf zu der Betonmauer, hinter der König Harald V. auf ihn wartete. Und wo es zu manch schmerzhaftem Dialog kam. So wie jenen, den der 79-jährige König und der Doppelolympiasieger von Sotschi nach dem Jagdrennen führten. „Ich sagte zu ihm: Bis Donnerstag zum Einzel. Er erwiderte: Lieber bis Sonntag nach dem Massenstart. Worauf ich antwortete: Lassen Sie uns sagen – bis Samstag“, erzählte Fourcade, den abseits des unterschiedlichen Erfolgs in der sonnabendlichen Staffel noch etwas von Björndalen unterscheidet.
Der 42-jährige Norweger möchte gerne mal Kinder haben, der 15 Jahre jüngere Franzose ist bereits Papa. Im vergangenen September kam die kleine Manon zur Welt – und auf die Frage, ob er die Skijägerei so lange betreiben werde wie Björndalen, antwortete Fourcade scherzhaft: „Das kann ich mir nicht vorstellen. Denn wenn ich bis 40 weitermache, bringt mich meine Tochter um.“
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