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Währung Verbraucher fürchten um ihre Ersparnisse: Europäische Zentralbank senkt Leitzins erstmals auf null Prozent. Damit will sie die Inflation anheizen und die Wirtschaft ankurbeln. Scharfe Kritik aus Deutschland

EZB-Turm in Frankfurt am Main: Die Währungshüter wollen der Wirtschaft helfen, treiben aber die Immobilienpreise hoch Foto: Paul Langrock/Zenit

von Richard Rother

BERLIN taz | Wenn die Medizin nicht mehr wirkt, muss die Dosis erhöht werden. Weil die Politik des billigen Geldes bislang weder die Inflation auf die angepeilte Marke von 2 Prozent gehoben noch die Wirtschaft in den Ländern der Eurozone angekurbelt hat, verschärft die Europäische Zentralbank (EZB) ihren Kurs: Der Leitzins wird um 0,05 Punkte auf erstmals 0,0 Prozent gesenkt. Zugleich wurde der Strafzins für Bankeinlagen von 0,3 auf 0,4 Prozent verschärft. Ferner wird das Anleihenaufkaufprogramm von derzeit 60 Milliarden Euro monatlich auf 80 Milliarden Euro ausgeweitet. An den Börsen sorgte die EZB-Entscheidung zunächst für steigende Aktienkurse.

„Mit dem heutigen umfassenden Paket geldpolitischer Entscheidungen liefern wir erhebliche Anreize, um den erhöhten Risiken für das EZB-Preisstabilitätsziel entgegenzuwirken“, erklärte EZB-Chef Mario Draghi in Frankfurt am Main. „Die Zinsen werden für eine sehr lange Zeit niedrig bleiben.“ Im Februar lag die Inflation im Euro-Raum bei minus 0,2 Prozent.

Was: Leitzinsen sind die wichtigsten Instrumente von Zentralbanken: Dabei handelt es sich um die Zinssätze, zu denen Kreditinstitute mit der Zentralbank Geschäfte machen. Die Banken geben diese Zinsen an ihre Kunden weiter. Floriert die Wirtschaft, bremst die Zentralbank tendenziell die Konjunktur durch hohe Zinsen ab. Bei Flaute senkt sie die Zinsen, damit sich die Unternehmen günstiger Geld bei den Banken leihen können, um zu investieren.

Nebeneffekt: Wegen der im Euroraum derzeit extrem niedrigen Leitzinsen tendieren auch die Zinsen für Sparguthaben gegen null. Gleichzeitig steigen die Aktien- und Immobilienpreise, weil Anleger neue Renditeziele suchen. Die EZB hält den Leitzins, zu dem sich Banken bei ihr frisches Geld beschaffen können, bereits seit Jahren niedrig, um die Konjunktur anzukurbeln. Da dieses Instrument nicht wirkt, hat die Zentralbank andere Maßnahmen wie den Strafzins ergriffen. (ksc)

Fallende Preise – auch Deflation genannt – gelten als gefährlich, weil sich Konsumenten dann in der Hoffnung zurückhalten, Produkte bald noch günstiger zu bekommen. Die Firmen machen dann weniger Gewinn und schieben Investitionen auf. So entsteht eine Abwärtsspirale. Draghi erklärte, die jüngsten Schritte der EZB sollten verhindern, dass es zu sogenannten Zweitrundeneffekten komme, etwa bei den Löhnen. Zugleich sollten sie der Konjunktur helfen.

In der deutschen Wirtschaft stieß die EZB-Entscheidung auf Kritik. „Das ist eine gute Nachricht für die Börsianer und für die Schuldenländer im Süden“, sagte der Präsident des Außenhandelsverbandes BGA, Anton Börner. „Für die deutsche Bevölkerung ist das katastrophal, die Sparer werden enteignet.“ Es handele sich um eine gigantische Umverteilung in Europa von Norden nach Süden.

Was: Die Währungshüter der EZB senkten den sogenannten Einlagensatz erneut von minus 0,3 auf minus 0,4 Prozent. Banken haben eine Art Girokonto bei der Zentralbank. Dort „parken“ sie ihre Geldvorräte. Nun müssen die Geldinstitute einen höheren „Strafzins“ zahlen, wenn sie überschüssiges Geld bei der EZB anlegen.

Wozu: Mit dem Schritt will die Notenbank die Institute noch stärker dazu drängen, überschüssige Liquidität in Form von Krediten an die Wirtschaft weiterzureichen, anstatt das Geld auf dem Konto zu bunkern. Damit soll die Konjunktur angefacht werden. Der Zinssatz klingt klein, tatsächlich hat die EZB dadurch zuletzt schon mehrere hundert Millionen Euro eingenommen.

Die Kehrseite: Banken holen sich das Geld über erhöhte Gebühren an anderer Stelle zurück vom Kunden. Auch in der Schweiz, Japan, Dänemark und Schweden nutzen Zentralbanken den Strafzins – mit unterschied­lichen Erfahrungen. (taz)

Die EZB-Entscheidung sei unnötig, sagte Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer des deutschen Bankenverbands. „Die Notenbank überzeichnet die Deflationsrisiken.“ Aktuell präge vor allem der Ölpreis die Teuerungsrate. Doch der Ölpreis sei im Jahr 2015 nicht nur um 60 Prozent gesunken, sondern in den letzten vier Wochen auch schon wieder um 40 Prozent gestiegen. „Wirtschaftsreformen sowie die Sanierung von Bankbilanzen werden verschleppt.“

Für die Verbraucher ändert sich durch die EZB-Entscheidung zunächst nicht viel: Ein Leitzins von 0,05 Prozent ist nur unwesentlich höher als 0,0 Prozent. Bei einer Sparbucheinlage von tausend Euro beträgt der Unterschied des jährlichen Zinsertrages gerade einmal 50 Cent – für die Katz. Bedeutsam wird die Entscheidung der Zentralbank aber durch ihre hohe Symbolkraft: Sparen lohnt nicht, und zwar auf Dauer!

Was: Seit einem Jahr steckt die EZB bereits 60 Milliarden Euro pro Monat in den Kauf von Staatsanleihen und anderen Wertpapieren. Diese Summe soll ab April auf 80 Milliarden Euro aufgestockt werden. Nun sollen auch Firmenanleihen aus der Eurozone gekauft werden.

Wozu: Die Zentralbank will den Markt noch stärker mit Geld fluten. Mit dem Instrument – QE oder Quantitative Easing genannt – will die EZB erreichen, dass die Renditen für Anleihen der Euroländer fallen. Diese Bonds sollen so für Banken als Investment weniger attraktiv werden. Sie sollen lieber mehr Kredite an Unternehmen vergeben. Die nationalen Notenbanken führen QE durch.

Wie viel: Zunächst war es auf 1,14 Billionen Euro angelegt und sollte bis Ende September 2016 laufen. Im Dezember verlängerte es die EZB bis Ende März 2017, wodurch der Gesamtumfang auf 1,5 Billionen Euro anstieg. Nun sollen es sogar 1,74 Billionen Euro werden. (taz)

Viele Verbraucher in Deutschland fürchten nun um den Wert ihrer Ersparnisse und ihrer Altersvorsorge. Viele, die Aktien wegen ihrer Schwankungsanfälligkeit meiden, investieren lieber in Betongold – und kaufen sich Immobilien oder bauen diese aus, zumal die Hypothekenzinsen ebenfalls niedrig sind. Was aber oft verschwiegen wird: Weil die Nachfrage nach Immobilien und Bauleistungen in vielen Regionen Deutschlands wächst, steigen die Immobilien- und Baupreise. Entlastungen an der Zinsfront werden für den normalen Verbraucher dadurch aufgefressen.

Noch schlimmer sieht es für Mieter in Ballungszentren aus: Weil Investoren nicht wissen, wo sie ihr Geld renditesicher anlegen können, kaufen sie sich in Wohnhäuser ein. Diese gestiegene Nachfrage – Experten warnen bereits vor einer Immobilienblase – treibt die Preise und letztlich die Mieten nach oben. Die Politik des lockeren Geldes fördert diese Entwicklung.