Nach der Parlamentswahl im Iran: Die politische Mitte ist zurück
Gemäßigte im Iran sind wieder deutlicher in wichtigen Institutionen vertreten. Viele hoffen nun auf eine Liberalisierung der Gesellschaft.
Dem Innenministerium zufolge ist die Entscheidung über 230 der 290 Parlamentssitze im ersten Wahlgang gefallen. Über die restlichen 60 Sitze entscheidet eine Stichwahl im April. Unter den 230 gewählten Abgeordneten werden 103 den Konservativen und 95 den Gemäßigten zugeordnet. Der Rest besteht aus Unabhängigen, von denen man nicht weiß, wie sie sich in Zukunft positionieren werden. Einen großen Sieg hat die Liste Omid (Hoffnung), bestehend aus Reformern, Gemäßigten und moderaten Konservativen, in Teheran errungen. Hier gelang der Liste, alle für Teheran vorgesehenen 30 Sitze zu gewinnen.
Überraschend ist auch, dass mehrere Ultras und Erzkonservative wie Mehdi Kutscheksadeh oder Ruhollah Hosseinian, die zu den schärfsten Gegnern der Regierung gehörten, unter den Verlierern sind. Kutscheksadeh hatte Außenminister Mohammed Dschawad Sarif, der für die Atomverhandlungen verantwortlich war, als „Verräter“ bezeichnet. Und Hosseinian wünschte der iranischen Verhandlungsdelegation den Tod.
Günstig für die Moderaten war die relativ hohe Wahlbeteiligung von etwa 60 Prozent. Hinzu kam die Popularität von Präsident Hassan Rohani und seiner Regierung, die infolge des Atomabkommens und der Aufhebung der Sanktionen enorm gestiegen ist. Die Iraner hoffen nun auf einen wirtschaftlichen Aufschwung, eine Öffnung nach außen, aber auch auf eine Liberalisierung des Landes. Rohani hatte vor seiner Wahl 2013 eine Öffnung nach innen angekündigt. Seine Regierung hat sich jedoch auf den Atomkonflikt und die Außenpolitik konzentriert. Nun hoffen die Iraner, dass die Regierung durch die Stärkung der Moderaten im Parlament eine größere Rückendeckung erhält, um endlich Reformen durchzusetzen.
Konservative auch im Expertenrat geschwächt
Die konservativen Blätter, die ebenfalls von den Erfolgen der Moderaten überrascht wurden, versuchen, die Euphorie in der Bevölkerung einzudämmen. Der Herausgeber der Tageszeitung Kayhan, die als Sprachrohr der Ultrarechten bezeichnet wird, schrieb: „Die Staatsordnung der Islamischen Republik ist derart gestaltet, dass keine Partei und keine Fraktion in der Lage ist, grundsätzliche Änderungen des Systems durchzusetzen. Die Richtlinien der Politik werden vom Revolutionsführer Chamenei bestimmt, und die meisten Institutionen stehen unter seiner Kontrolle.“
Auch bei der Wahl des Expertenrats konnten die Moderaten wichtige Erfolge erzielen. Der Rat hat 88 Mitglieder, die nur aus Geistlichen bestehen und für acht Jahre gewählt werden. Er hat die Aufgabe, den Revolutionsführer zu wählen. Hier wurde die Fraktion der Konservativen und Ultras, die bislang die absolute Mehrheit innehatte, geschwächt. Der erzkonservative Vorsitzende des Wächterrats, Ahmad Dschannati, steht als Letzter auf der Teheraner Liste. Im Expertenrat ist das Kräfteverhältnis nicht eindeutig. Sicher ist nur, dass die Mitte gestärkt aus den Wahlen hervorgegangen ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren