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„Den Klischees etwas entgegensetzen“

MÄRKISCHES VIERTEL Wie sich eine Großsiedlung vermarkten lässt, erklärt Irina Herz von der Gesobau

Das Märkische Viertel

Die Großsiedlung war die erste große Plattenbausiedlung Westberlins. Sie wurde von 1963 bis 1974 erbaut und gehört zum Bezirk Reinickendorf. Etwa 40.000 Menschen leben hier auf einer Fläche von 3,2 Quadrat­kilometern.

Dem städtischen Wohnunternehmen Gesobau gehören rund 15.000 der insgesamt 17.000 Wohnungen. Die durchschnittliche Dreiraumwohnung ist rund 70 Quadratmeter groß und kostet 600 Euro Warmmiete inklusive Betriebskosten. (akl)

Interview Anna Klöpper

Vor dem S-Bahnhof Wittenau steht ein Wegweiser für Radfahrer: Sieben Kilometer bis nach Mitte, steht darauf. Geht man den Wilhelmsruher Damm hinunter in Richtung Märkisches Viertel, markiert eine Trinkerbude auf der Kreuzung zum Eichhorster Weg das Ende der Einfamilienhäuser von Alt-Wittenau. Danach ragen auf der rechten Straßenseite Zehn- und Zwölfgeschosser in die Höhe, weiß und grau, die Fenster und Balkone mal gelb, mal blau. Sieben Kilometer zur Friedrichstraße sind nicht viel. Sieben Kilometer trennen manchmal Welten.

taz: Frau Herz, es gibt diesen Song des Rappers Sido, „Mein Block“, eine Hymne auf die vermeintliche Kaputtheit des Märkischen Viertels. Das Lied entstand vor über zehn Jahren. Wenn man heute sagt, man fährt ins Märkische Viertel, gehen trotzdem noch viele Augenbrauen hoch. Warum halten sich die Bilder von Kriminalität und Plattenbautristesse so hartnäckig – weil sie stimmen?

Irina Herz: Wenn Sie den Wilhelmsruher Damm entlanggehen, dann muss man wohl sagen: Hier möchte ich nicht sein. Aber sobald Sie links und rechts in das Wohngebiet hineingehen, haben Sie Grünflächen, kleine Parks, Wasserflächen. Im Norden liegen gleich die Wiesen von Lübars. Aber so wie die Gropiusstadt in Neukölln mit Christiane F. verbunden ist, so hat das Märkische Viertel eben den Sido-Song. Dabei taucht das Märkische Viertel übrigens überhaupt nicht als Brennpunkt in der Polizeistatistik auf. Und Tristesse? Also, Platte ist ja nicht gleich Platte.

Ach so?

Die Häuser hier im Viertel sind ganz anders als die Plattenbauten, die Sie im ehemaligen Ostteil der Stadt finden. Die Grundrisse sind großzügiger: Man hat damals nicht versucht, möglichst viele Wohnung in einem Gebäude unterzubekommen, sondern zum Beispiel Platz für einen extra Essbereich eingeplant. Auch von außen ist nicht alles gleich.

Dennoch scheinen sich diese Vorzüge vielen Berlinern nicht zu erschließen, man arbeitet sich noch immer an den Sido-Klischees ab: Die Gesobau wirbt zum Beispiel mit der durchaus aufwändigen Kampagne „Mein MV“ um Mieter – das machen Sie für Pankow und Wilmersdorf nicht.

Es ist schon so: Der Großteil der Wohnungsanfragen kommt aus der Nachbarschaft. Oder es sind Leute, die hier aufgewachsen sind, einige Jahre woanders verbracht haben und zurückkommen. Was zum einen zeigt, dass das Märkische Viertel durchaus attraktiv ist – und zum anderen aber auch deutlich macht: Man braucht in der Regel eine Art Verbindung zum Viertel, um hierher zu ziehen. Ansonsten haben viele dann eben doch die Klischees im Kopf.

„Mein MV“ setzt dem Filmporträts von Menschen aus dem Viertel entgegen: vom Sportler über die Künstlerin bis zum Sozialarbeiter. Die reden viel über sich und auffällig wenig über das Viertel. Ist die Botschaft: Wenn die Menschen großartig sind, muss es das Viertel doch auch sein?

Zunächst: Wir haben die Kampagne nicht zuletzt auch für die Menschen gemacht, die schon im Viertel wohnen und die oft furchtbar genervt sind von so Schlagworten wie „sozial schwacher Kiez“. Wir wollten dem etwas Positives ­entgegensetzen, mit denen sich diese Menschen identifizieren können, auf das sie verweisen können. Und ja, wir wollten auch weniger sagen: „Hier kannst du toll wohnen“, sondern: „Hier kannst du jeden finden.“

Irina Herz

leitet die Immobilienbewirtschaftung bei der Gesobau und ist dabei unter anderem für das Märkische Viertel zuständig.

Wobei nun aber das eine meist auch das andere bedingt. Wen findet man hier als Nachbarn?

Tatsächlich die berühmte bunte Mischung: Den Arzt neben der Friseuse neben dem Sozialhilfeempfänger – die übrigens weniger als ein Viertel ausmachen. Viele Familien sind hier, die schätzen die Nähe zum grünen Stadtrand. Studenten sind allerdings die Ausnahme. Die wollen den kurzen Weg zu den Unis.

In der Innenstadt ist der Mietendruck stark gestiegen – fragen da jetzt vermehrt Familien nach, die sich Mitte nicht mehr leisten können?

Wir analysieren das, können aber nicht sagen: Diese und jene soziale Gruppe interessiert sich jetzt vermehrt auch für das Märkische Viertel. Wir merken aber: Der Leerstand geht allgemein zurück – in Pankow, in Wilmersdorf, aber eben auch im Märkischen Viertel. Da haben wir gerade mal 2,9 Prozent Leerstand – Anfang der 2000er Jahre waren es noch über 8 Prozent.

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