Zeit messen: „Das hat schon etwas Paradoxes“

Ekkehard Peik hat in Braunschweig kürzlich die weltweit genaueste optische Atom-Uhr entwickelt. Der 29. Februar ist für die kein Problem.

Die Uhr der Marienkirche in Rostock. Foto: (dpa)

taz: Herr Peik, was tut Ihre hypergenaue Atom-Uhr am 29. Februar? Fügen Sie von Hand einen Tag ein oder ist das Schaltjahr programmiert?

Ekkehard Peik: Ein Schaltjahr hat da keine so große Bewandtnis. Denn die Atomuhr zeigt zwar die Zeit an, ist aber kein Kalender. Sie läuft also am 29. ganz normal weiter und zählt die Tage.

Aber manchmal gibt es ja auch Schaltsekunden. Was machen Sie dann mit Ihrer Uhr?

Die müssen tatsächlich von Hand eingefügt werden. Denn eine Schaltsekunde entsteht durch Unregelmäßigkeiten der Erdrotation und wird – basierend auf astronomischen Messungen – etwa ein halbes Jahr im Voraus vereinbart. Das heißt, dass wir in die Zeitskala der Atomuhr dann am 30. Juni oder 31. Dezember eine zusätzliche Schaltsekunde einfügen.

52, Physiker, arbeitet seit 2001 an der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig. Seit 2007 leitet er den Fachbereich „Zeit und Frequenz“ und hat die jüngst vorgestellte und weltweit erste optische Uhr im Wesentlichen mitentwickelt.

Wohingegen ein Schalttag langfristig alle vier Jahre in den Kalender eingerechnet wird. Warum ist das nötig?

Weil das Kalenderjahr 365 Tage hat, die Erde aber 365,24 Tage braucht, um sich einmal um die Sonne zu drehen. Um das auszugleichen, fügt man alle vier Jahre einen Tag ein. Sonst würden Sonnenstand und Kalender immer weiter auseinander driften und der Winter auf der Nordhalbkugel irgendwann im Juli liegen. Da ein ganzer eingefügter Tag aber eigentlich zu viel ist – viermal 0,24 Tage ergeben keinen ganzen Tag –, fällt der Schalttag in allen durch 100 teilbaren „Säkularjahren“ aus. Weil das immer noch ungenau ist, sind die durch 400 teilbaren aber doch Schaltjahre.

Seit wann gibt es Schaltjahre?

Das Schaltjahr hatten schon die alten Römer in ihrem Julianischen Kalender verankert. Da sie aber die Ungenauigkeit der Erdrotation nicht einrechneten, waren bis zum Jahr 1582 zehn Tage Überhang aufgelaufen. Die hat Papst Gregor im Zuge seiner Kalenderreform weggenommen und die erwähnte 400-Jahr-Regel eingeführt. Russland und Griechenland übernahmen den gregorianischen Kalender aber erst im 20. Jahrhundert. Denn infolge der Kirchenspaltung erkannten die orthodoxen Christen den Papst nicht an. Bis heute zeugt das Weihnachtsdatum von diesem Streit: Die orthodoxe Weihnacht wird am 6. Januar gefeiert.

Inzwischen sind Sie selbst Hüter der Zeitmessung. Wie funktioniert Ihre Cäsium-Atomuhr?

Allgemein bedeutet Zeitmessung, dass man einen sich wiederholenden Vorgang zählt – Tage zum Beispiel. Für eine Uhr braucht man etwas, das schneller vergeht als ein Tag. Anfangs verwandte man Pendel, später Federn, die den Tag in Segmente teilten. Bei den Cäsium-Atomuhren sind es Schwingungen der Elektronen im Atom. Sie eignen sich gut, weil sie recht schnell schwingen und Zeit sehr fein unterteilen können. Außerdem schwingen sie gleichmäßig und reagieren nur sehr wenig auf äußere Störungen wie etwa Temperaturschwankungen.

Vor Kurzem haben Sie eine noch präzisere Uhr gebaut – die optische Atomuhr. Was kann sie besser?

Sie schwingt noch schneller als die Cäsium-Uhr. Während dort die Schwingungsfrequenz im Bereich von Mikrowellen liegt, verwendet man bei der optischen Uhr sichtbares Laserlicht, das ein einzelnes Ion – ein elektrisch geladenes Atom – anregt. Wir hier in Braunschweig nutzen Ytterbium, ein Metall der „seltenen Erden“. Andere Forschergruppen testen derzeit Aluminium, Quecksilber oder Strontium. Welches Element sich durchsetzen wird, ist noch nicht entschieden.

Kann man die Schwingungen der optischen Uhr sehen?

Ja, man sieht das Licht, das das Ion anregt und von diesem gestreut wird. Wenn man mit einem Mikroskop da reinschaut, sieht man im Vakuum dieses einzelne schwingende Ion. Beim Ytterbium leuchtet das aquamarinblau.

Halten Sie jetzt einen Weltrekord?

Für diesen Typ von Uhren mit gespeicherten Ionen haben wir zurzeit die weltweit genaueste. Vielleicht auch diejenige, die am praktischsten im Betrieb ist. Denn die Technik, die man dafür braucht, ist relativ robust.

Sie haben einmal gesagt, dass man aufgrund der optischen Uhr die Sekunde neu definieren müsse.

Ja, aber da geht es nicht um Philosophie, sondern um Physik. Bisher lautet die Definition: Eine Sekunde hat etwa neun Milliarden Schwingungen – die des bislang genutzten Cäsium-Atoms. Künftig wird da eine andere Zahl stehen.

Welche?

Das hängt davon ab, auf welches chemische Element man sich international einigt. Unser Ytterbium-Ion zum Beispiel schwingt etwa 100.000 Mal schneller als die Elektronen der Cäsium-Uhr.

Heißt das, eine Sekunde vergeht künftig schneller?

Sie wird in eine höhere Zahl von Schwingungsperioden geteilt. Aber die neue Definition wird sicher so gemacht, dass sich die Dauer der Sekunde nicht ändert und man den Unterschied im Alltag nicht spürt.

Was gewinnt man eigentlich, wenn man immer genauere Uhren baut, um die Zeit dingfest zu machen? Jagt man nicht ein Phantom?

Darin steckt sicherlich etwas Paradoxes. Von allen physikalischen Größen ist die Zeit die mit Abstand am genauesten messbare, und deshalb erforscht man sie so intensiv. Dennoch können auch Physiker sehr schwer sagen, was Zeit eigentlich ist.

Hat die Uhr irgendetwas mit dem Takt der Natur gemein?

Für mich als Physiker zählt auch das Cäsium-Atom zur Natur – zur unbelebten. Aber biologische Systeme sind natürlich viel komplexer und schwingen nicht so gleichmäßig.

Auch die Gezeiten dauern unpraktischerweise nicht genau acht Stunden. Das Cäsium, das Ytterbium mögen natürlich sein. Die Atom-Uhr ist es nicht.

Sicher: Die Uhr ist ein technisches Gebilde, das so konstruiert ist, dass es gleichmäßig und störungsfrei arbeitet. Bei den Gezeiten dagegen spielen der Mond und andere Faktoren eine Rolle. Letztlich sind auch diese Zyklen gleichmäßig – aber nicht so sehr, wie man es idealisiert mit einer Atomuhr darstellen kann. Das ja ist der Vorteil dieser atomaren bzw. Quantensysteme: dass sie stabiler sind als etwa das Zusammenspiel der Planeten.

Auch die Quantenphysik kennt den Zufall. Woher wollen Sie wissen, dass das Atom in der Uhr für immer gleichmäßig schwingen wird?

Das tut es schon jetzt nicht. Man kann kein einzelnes Messergebnis präzise vorhersagen, auch nicht die Schwingungen der Atomuhr; das nennt man „Unschärfe“. Ganz konkret errechnen wir für die Uhr den Mittelwert vieler Messungen. Der ist dann wieder sehr stabil und gleichmäßig.

Aber wie verhält es sich im All? Kürzlich maß man Gravitationswellen, die eine Zeit-Raum-Krümmung erzeugen können.

Ja, die durch das Verschmelzen zweier Schwarzer Löcher erzeugten Gravitationswellen können Zeit und Raum verbiegen, das heißt: Zeit und Entfernungen dehnen oder verkürzen. Einen ähnlichen Effekt können wir übrigens hier auf der Erde beobachten: Der Gang einer Uhr hängt davon ab, wie hoch sie steht. Je näher am Erdmittelpunkt, desto langsamer geht sie, weil sie von der Schwerkraft beeinflusst wird.

Wie genau kann Ihre Atomuhr dann sein? Müssen Sie dann nicht immer zwei aufstellen und den Mittelwert errechnen?

Laut internationaler Übereinkunft wird für die weltweit gültigen Zeitskalen eine Korrektur auf Meeresniveau angebracht. Das heißt, bei jeder Uhr wird genau gemessen, wie hoch sie steht. Dann rechnet man den Höhenunterschied zum Meeresspiegel in eine Korrektur der Uhr ein. Der Wert, der herauskommt, kann dann als weltweit koordinierte Atomzeit verwendet werden.

Das Universum operiert in Lichtjahren. Wie zukunftsweisend ist es, wenn wir hier auf der Erde Sekunden zählen?

Das sind zwei verschiedene Systeme. Die kosmologischen Skalen basieren auf Licht- bzw. Milliarden von Jahren. Die Zeitskala unseres täglichen Lebens dagegen besteht aus Jahren, Stunden, Sekunden. In Kommunikation und Navigation gelten noch viel kürzere Zeiten, und für die meisten technischen Anwendungen ist die präzise Messung kleinster Zeiteinheiten nötig. Zum Beispiel, um Frequenzen in Kommunikationssystemen abzustimmen. Die wichtigste praktische Anwendung präziser Atomuhren ist die Satelliten-Navigation. Da schließt man aus Zeitmessungen auf Positionen, und das erfordert sehr präzise Uhren.

Wer finanziert solche Forschungen? Die Kriegswirtschaft?

Zum Teil. Wir hier in Braunschweig sind eine dem Wirtschaftsministerium zugeordnete Behörde und bekommen den Großteil unseres Etats von dort. Aber weltweit gibt es – etwa in den USA und Russland – wichtige militärische Anwendungen präziser Zeitmessung, etwa für Kommunikations- und Satelliten-Navigationssysteme.

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