piwik no script img

„Wer kein Auto hat, denkt anders“

Visionen Michael Glotz-Richter ist „Senatsreferent für nachhaltige Mobilität“ in Bremen. Carsharing, sagt er, verändert das Denken

Bremer Gewächs: die Carsharing-Firma Cambio   Foto: imago/Eckhard Stengel

Interview Klaus Wolschner

taz: Herr Glotz-Richter, Sie waren in der Bremer Stadtplanung über Jahre für „nachhaltige Mobilität“ zuständig. Was hat sich verändert?

Michael Glotz-Richter: Carsharing, Sharing insgesamt ist aus einer Nischenposition in die öffentliche Wahrnehmung gerückt. Wenn mir jemand 1990 gesagt hätte, Mercedes und BMW sind in 20 Jahren auf einem Carsharing-Markt mit viel Geld aktiv, dann hätte ich gefragt: Was hast du gestern geraucht? Das hätte meine Fantasie damals überschritten.

Und was war absehbar?

Erkennbar als Trend war vielleicht das Thema Radfahren, das heute in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist auch bei Menschen, die sich durchaus ein Auto leisten können. Wir sind als Stadt richtig stolz, dass 25 Prozent der Verkehre über das Fahrrad laufen. Ein dritter Punkt: IT. Was wir heute mit Informationen machen, mit unseren Handys, das verändert den Lebensstil. Für viele wird das Handy wichtiger als das Auto. Was wir dank des großen Datenbruders wissen …

Zum Beispiel?

Bremen ist als Fahrradstadt und gleichzeitig eine Stadt mit wenig Staus auf Platz 81 von 103 Großstädten der „Stauliga“ in Europa. In Autostädten wie Köln oder Stuttgart stehen die Fans doppelt so viel Zeit im Stau als in Bremen.

Woher wissen wir das?

Alle, die ein Tomtom-Gerät haben, liefern ihre Mobilitätsdaten. Tomtom bereitet diese Daten auf und veröffentlicht sie. Kopenhagen steht in den 70er-Rängen. Die Fahrradstädte haben wenig Staus. Wenn man eine autofreundliche Stadt haben will, muss man den Radverkehr promoten.

Die Technik-Entwicklung würde eine App ermöglichen, die vom Nutzer ausgehend mir sagen kann: Ich will von A nach B, wo gibt es einen Fahrradverleih, und wie viel kostet ein Taxi, gibt es ÖPNV. Mir also konkrete Entscheidungshilfe gibt, egal welche Firma was anbietet.

Es gibt verschiedene Plattformen, die Sie nutzen können. Mitfahrzentralen wie Blabla-Car. Es gibt die Öffi-App oder Moove von Daimler etwa.

Michael Glotz-Richter

60, Diplom-Ingenieur für Stadtplanung, ist seit 1996 Referent für „nachhaltige Mobilität“ in der Bremer Verkehrsbehörde.

In der Welt von Moove gibt es keine Fahrräder.

Ich kann bei Google nachgucken, da bekomme ich auch die Route. Wenn ich in einer fremden Stadt bin, nutze ich das. Das ökonomische Interesse an solchen Plattformen wie Moove liegt natürlich darin, dass darüber später Tickets verkauft werden. Hinter Mobilitäts-Plattformen stecken daher auch Telekommunikations-Unternehmen wie in Frankreich „Orange“ und Banken, die am Mikro-Payment verdienen wollen.

Warum fördert Bremen die Leihfahrräder nicht?

Aus Kostengründen. Hamburg steckt da sechsstellige Summen hinein. Und die Wege in Hamburg sind weiter. Da nutze ich das Leih-Fahrrad für die letzte Meile. In Bremen können sie die meisten Ziele allein mit dem Fahrrad erreichen. Und die meisten haben ein eigenes. Wir stecken das knappe Geld derzeit lieber in eine gute Fahrradin­frastruktur.

Jetzt kommen die Autokonzerne mit ihrem freien Carsharing und machen unser schönes Bremer Cambio mit seinen Verleihstationen kaputt!

Nein. Da werden zwei verschiedene Bedürfnisse bedient. Sie können mit einem Free Floater nicht aufs Land oder an die Ostsee fahren. Und die „Free Floating“-Anbieter sind in sieben deutschen Stadtregionen aktiv, Bremen ist für die schon zu klein. Um es positiv zu sagen: Car2Go hat ein gutes Marketing, und das macht das Carsharing insgesamt bekannt. Inzwischen merken die Free Floater, dass ihre Struktur nicht zuverlässig erreichbar ist, sie wollen feste Stationen haben. München richtet inzwischen Stationen nach dem Bremer Beispiel ein. Da­rauf sind wir ein wenig stolz.

In Belgien kooperieren die staatlichen Verkehrsbetriebe mit Cambio.

„München richtet Stationen nach dem Bremer Beispiel ein. Darauf sind wir ein wenig stolz“

Die deutschen öffentlichen Verkehrsbetriebe sind da nicht so engagiert.

Man sagt, sie hätten etwas gegen Elektroautos.

Nein, ich sage nur: Elektroautos lösen nicht die Verkehrsprobleme. Es gibt da einen Placebo-Effekt in der Politik. Elektroautos sind sehr teuer …

... und die wenigsten wollen dafür auch mehr bezahlen. Daher schüttet der Staat Subventionen aus.

Uns geht es um einen Wechsel in der Denke. Wer kein Auto in der Garage stehen hat, der denkt anders. Wer ein Auto gekauft hat, will damit immer und überall bis vor die Haustür fahren. Es scheint ja so, dass das Auto billiger wird, wenn man es mehr nutzt. Wer kein Auto besitzt, muss ein anderes Mobilitätsdenken entwickeln, das aufbaut auf Fahrrad, zu Fuß gehen, ÖPNV, und dann gibt es als Ergänzung das Leihauto oder das Taxi. Das ist der „Game Changer“. Darum geht es. Da liegt auch der Unterschied zu den Free Floatern: Ein Car2go-Auto ersetzt drei private, eines von Cambio in Bremen sogar 15.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen