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Ach, es ist kompliziert

Literatur Die Konkurrenz zwischen digitaler und analoger Literatur ins Produktive zu wenden, versuchten Autoren in Berlin auf Einladung des „Merkurs“

In der kleinen Form lässt sich viel berichten über diesen Abend, an dem die Intellektuellenzeitschrift Merkur zum Gespräch über „Kleine Formen, große Formen in der Gegenwartsliteratur“ eingeladen hatte. Dass der Raum in der Berliner Volksbühne rappelvoll war beispielsweise; gut 100 Leute mögen hineingehen. Dass Merkur-Herausgeber Christian Demand und Merkur-Redakteur Ekkehard Knörer sich in ihren Moderationen um einen betont unakademischen Touch bemühten. Dass Kathrin Passig und Holger Schulze sehr smart die kleinen Formen vorstellten, indem sie Twitter-Tweets projizierten und dabei viele Vorurteile hinterfragten. Dass durch Twitter, Blogs und Facebook die Aufmerksamkeit für Themen sinken würde, etwa. Während man ein Sachbuch halb gelesen schnell weglegen könne, verfolge man im Internet manche Themen vermittelt durch die sozialen Medien manchmal über Wochen und Monate.

Berichten ließe sich auch, dass, als es um die große Form ging, wiederum die Schriftstellerin Kathrin Röggla und der Schriftsteller Ulrich Peltzer erkennbar damit fremdelten, im Zusammenhang des Abends etwas angeblich Tradiertes zu repräsentieren, weil beide ja auf avanciertes Schreiben geeicht sind. Dass Kathrin Röggla lange gewundene Sätze bilden musste, um ihr redliches Bemühen, keineswegs in eine abwertende Sicht auf digitale Formen zu verfallen, tatsächlich auch umzusetzen. Dass Ulrich ­Peltzer beim Publikum auf Skepsis stieß, als er auf der großen Geschichte beharrte, es gehe darum, die totgesagte Form des Romans zu befragen, inwieweit sie Widerstand gegen die Impertinenz der Gegenwart leiste.

Aus vielen solcher kleinen Beobachtungen könnte man den Abend zusammensetzen. In einer größeren Form, in der es auch um Ergebnisse geht, hätte man aber Schwierigkeiten – zumindest dann, wenn man nicht von vornherein bewaffnet mit einer steilen These an den Abend herangeht. Wenn es der Anspruch war, herauszukriegen, wie die neuen digitalen Formen der Literatur und die traditionelle Form des Romans sich zueinander verhalten, dann war der Abend unbefriedigend. Aber interessant unbefriedigend. Denn er hat gezeigt, dass die Voraussetzungen für so ein Gespräch über neue und alte Literaturformen auf Augenhöhe noch gar nicht recht gegeben sind.

Selbst wenn sich alle Beteiligten bemühen, wenig aggressiv aufzutreten, ist vielleicht die Vorstellung, dass es hier um hegemoniale Auseinandersetzungen innerhalb der Kultur geht, sehr stark in den Hinterköpfen. Nicht ganz so smarte Vertreter der Twitteratur wie Passig und Schulze erheben für digitale Literaturformen einen starken Avantgardeanspruch, als könne man mit Romanen nicht auch innovativ sein. Und die im analogen Literaturbetrieb festgefahrenen Romanverteidiger sehen im Digitalen oft weiterhin ausschließlich Schwundformen und Verfall. Offenbar stehen wir erst am Anfang eines jeweils scheuklappenfreien Gesprächs. Was sich auch darin zeigt, dass es in diesem Gespräch noch keine überzeugende Begrifflichkeit gab. Die angeblich kleinen Formen des Internets können sich zu großen Texten verknüpfen. Der angeblich traditionelle Roman neigt von sich aus dazu, immer neue Formen hervorzubringen. Die Abgrenzung eiert da ziemlich.

Wie schwer es zu bestimmen ist, worüber überhaupt geredet wird, zeigte ein Tweet, den Kathrin Passig offenbar in der Pause absetzte. „Punkt, den wir zu erwähnen vergessen haben: Bei der kleinen Form kann man dem Publikum auch zeigen, wovon man redet“, twitterte sie. Aber stimmt das? Wie an dem Abend mehrfach angemerkt wurde, sind die kleinen digitalen Formen, die Passig und Schulze tatsächlich inklusive Links und Gifs an die Wand werfen konnten, in spezifische und oft zeitgebundene Kontexte eingebunden, die bei der Slideshow natürlich fehlten. Solche Kontexte wiederum ganz darzustellen und damit auch zu reflektieren, ist wiederum der Anspruch des Romans. Sollte man also gar nicht über offensichtliche Formunterschiede, sondern über unterschiedliche Kontextproduktionen reden?

Ach, es ist kompliziert. Aber auch lohnend, das Gespräch am Laufen zu halten.

Dirk Knipphals

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