: Patt am obersten Gericht
USA Nach dem Tod eines Richters will Präsident Obama einen Nachfolger nominieren. Die Republikaner lehnen dies ab. Nun droht der Institution die Handlungsunfähigkeit
Aus Washington Rieke Havertz
Antonin Scalia war nicht einfach nur Richter am Supreme Court, dem obersten Gerichtshof der USA. Der Jurist war eine der prägenden konservativen Figuren der Institution, brillant, unterhaltsam, streitbar, kontrovers. „Ich liebe es, zu streiten“, sagte er in einem Interview mit dem Fernsehsender CBS im Jahr 2008 – und das tat er 30 Jahre lang als einer der obersten Richter des Landes. Saclia war der Wortführer des konservativen Flügels unter den insgesamt neun Richtern und begründete in seiner Amtszeit mehrere wegweisende Entscheidungen, darunter zum Waffenrecht.
Am Samstag starb Scalia im Alter von 79 Jahren in seinem Haus im Texas während eines Jagdausflugs eines natürlichen Todes. In den USA herrscht nicht nur Trauer über den unerwarteten Verlust eines Mannes, den Präsident Barack Obama einen der „wichtigsten Juristen und Denker des Landes“ nannte. Nur wenige Stunden nach der Nachricht über Scalias Tod entbrannte bereits ein Kampf um die Frage, wer Scalia nachfolgen soll. Eine Nominierung von großer politischen Tragweite – und das in einem Wahljahr kurz vor dem Ende Obamas Amtszeit.
In dem gespaltenen Land ist es immer öfter der Supreme Court, der ideologische Fragen beantworten muss, die Republikaner und Demokraten nicht in der Lage sind, politisch zu lösen. Die Gesundheitsreform von Obama wurde durch das Gericht bestätigt, nachdem die Republikaner über den juristischen Weg versucht hatten, die Reform zu stoppen. Und im Juni 2015 legalisierte das Gericht die Homo-Ehe. Ein Urteil, das gar nicht im Sinne des Katholiken Scalia war.
Der verheiratete Vater von neun Kindern war strikt wertkonservativ und darüber hinaus der Ansicht, dass die Verfassung im Wortlaut ausgelegt werden müsse. Etwas, worüber er vortrefflich mit seiner liberalen Kollegin Ruth Bader Ginsburg streiten konnte. Sie war eine seiner engsten Freundinnen, was immer wieder thematisiert wurde, ihn aber nur wunderte. „Ich greife Ideen an, keine Menschen“, sagte er dazu in einem Interview mit CBS.
Scalia verfasste am Supreme Court zahlreiche von einer Mehrheit getragene Schriftsätze, die die Entscheidung des Gerichts begründen. Darunter war 2010 auch das Grundsatzurteil „District of Columbia v. Heller“ , in der Scalia und vier weitere Richter ihre liberaleren Kollegen überstimmten und entschieden, dass der zweite Zusatz der Verfassung das Recht jedes einzelnen Bürgers, eine Handfeuerwaffe zu besitzen, schützt. Ein Urteil, das Konservative und Waffenfans bejubelten.
Mit dem Tod Scalias sind die verbleibenden acht Richter in einer Pattsituation, Entscheidungen damit so gut wie ausgeschlossen. Auch deshalb ist eine schnelle Nachbesetzung in einem Jahr, in dem das Gericht unter anderem noch über die Einwanderungsreformpläne von Obama entscheiden soll, wichtig – und scheint gleichzeitig fast unmöglich. Zwar kündigte Obama an, seiner verfassungsgemäßen Pflicht nachzukommen und einen Richter oder eine Richterin zu benennen. Die Kandidaten müssen sich jedoch einer Befragung und einer Abstimmung im Senat stellen. Und der wird derzeit von den Republikanern kontrolliert. Mehrheitsführer Mitch McConnell sagte noch am Samstagabend, die Nachfolge Scalias sollte erst nach der Präsidentschaftswahl getroffen werden. Es obliege dem neuen Präsidenten, dies zu tun.
Mehrere republikanische Präsidentschaftsbewerber, die sich am Abend erneut einer TV-Debatte stellten, äußerten sich ähnlich, darunter Ted Cruz und Marco Rubio. Sie wollen die Chance auf die Deutungshoheit, genau wie die Demokraten. Eine Kernaussage von Bernie Sanders ist es, eine Entscheidung des Gerichts zu revidieren, die es unabhängigen Gruppen erlaubt, mit unbegrenzten Summen politisch aktiv zu sein. Auch Clinton hat sich ähnlich geäußert.
Eine monatelanges Ringen um Scalias Nachfolge ist absehbar. Obama braucht Stimmen der Republikaner, um seinen Kandidaten durch den Senat zu bekommen, das scheint jedoch ausgeschlossen. So droht der Institution ein Jahr lang die Handlungsunfähigkeit. Und der Wahlkampf hat ein weiteres kontroverses Thema bekommen. Den streitbaren Scalia hätte das wohl bestens unterhalten.
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