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Stahlindustrie leidet unter globalen Überkapazitäten

Handel Wirtschaft und Politik fordern Maßnahmen gegen chinesisches Dumping

Sie kochen Stahl – und derzeit auch vor Wut Foto: Peter Steffen/dpa

BERLIN taz | Wer lange Autofahrten mit Grundschulkindern ohne Smartphone-Spiele kurzweilig gestalten will, braucht nur Fragen wie diese zu stellen: Wo überall ist Stahl drin? Nach kurzem Nachdenken wird klar, dass das moderne Leben ohne Stahl nicht denkbar ist: Küchenmesser, Autos, Schiffe, Brücken, Schienen, Windräder, Strommasten, Heizungen, Container, Polizeipistolen, Maschinen, Seilbahnen – Stahl und Eisen sind fast überall. Entsprechend selbstbewusst tritt die Stahlindustrie in Deutschland auf, wenn sie Gefahren sieht. Aktuell sind das sinkende Preise in Folge der schwachen Weltkonjunktur und Überkapazitäten, vor allem in China.

Im rot-grün regierten Niedersachsen fordert nun ein Stahlbündnis aus Industrie, Gewerkschaft und Wirtschaftsministerium Maßnahmen zum Schutz der heimischen Industrie, die etwa 17 Prozent des deutschen Rohstahls produziert. Das Bündnis sieht mit Sorge, "dass der Weltmarkt mit Stahlprodukten zu Niedrigstpreisen überschwemmt wird", hieß es am Montag. Die chinesische Stahlindustrie behindere mit offensichtlich subventionierten Produkten den Wettbewerb.

Das Bündnis kritisiert die europäische Außenhandelspolitik als zu schwerfällig. So liefen Klageverfahren erst an, wenn der Nachweis einer "erheblichen Schädigung über einen Zeitraum von 12 Monaten" erbracht sei. Daher dauere es in der Europäischen Union rund 20 Monate und damit doppelt so lange wie in den USA, bis Bemühungen zum Schutz der heimischen Industrie greifen. "Das Prüfverfahren muss daher deutlich verkürzt werden."

In Brüssel üben unterdessen mehrere Staaten Druck auf die EU-Kommission aus. Die heimische Industrie müsse gegen "unfaire Handelspraktiken" geschützt werden, verlangen Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) sowie Minister aus Italien, Großbritannien, Frankreich, Polen, Belgien und Luxemburg. "Die Europäische Union kann nicht passiv bleiben, wenn wachsende Arbeitsplatzverluste und Schließungen von Stahlwerken zeigen, dass es eine erhebliche und drohende Gefahr eines Zusammenbruchs des europäischen Stahlsektors gibt."

Das Schreiben, das der Nachrichtenagentur dpa vorliegt, ist vom 5. Februar datiert. Der Brandbrief reiht sich ein in mehrere Aktionen, mit der die Branche derzeit Druck auszuüben versucht. Für den 15. Februar ist zum Beispiel ein Protestmarsch mit Tausenden Menschen in Brüssel geplant.

„Die Europäische Union kann nicht passiv bleiben“, meint die Branche

Die EU solle sich gegen günstige Stahlimporte wehren, fordern die Unterzeichner. Laufende Anti-Dumping-Verfahren, in denen untersucht wird, ob Produkte aus China und Russland zu einem unrealistisch niedrigen Preis auf den europäischen Markt gespült werden, müssten schneller vorankommen. Auch gegen mutmaßliche unerlaubte Subventionen für die Stahlindustrie in Drittländer müsse die EU entschiedener vorgehen. Richard Rother

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