piwik no script img

Grüne Soll es mehr sichere Herkunftsstaaten geben? Grüne in Hessen und NRW prüfen GesetzentwurfSchwere Entscheidung

aus Berlin Ulrich Schulte

Herauszufinden, was Tarek Al-Wazir über die sicheren Herkunftsstaaten denkt, ist nicht ganz einfach. Ist es richtig, Flüchtlinge aus Marokko, Tunesien oder Algerien unkompliziert abzuschieben? In Staaten, in denen Schwule und Lesben ins Gefängnis kommen?

Der Grüne Al-Wazir ist Wirtschaftsminister in Hessen und Vize-Regierungschef einer schwarz-grünen Koalition. Er muss im Bundesrat über den Plan mit entscheiden, den die Bundesregierung am Mittwoch im Kabinett beschlossen hat. Mehrere Telefonate mit der Pressestelle, mehrere Mails gehen hin und her. Zwei Tage später schickt Al-Wazirs Sprecher einen Link – zu einem Video aus dem Landtag. Hessens Grünen-Fraktionschef Mathias Wagner sagt dort, die Landesregierung werde genau prüfen und bewerten, was auf dem Tisch liege. Und Al-Wazir? Jener, schreibt der Sprecher zurück, teile die Einschätzungen des Fraktionschefs „auf ganzer Linie“.

Puh, hätten wir das also geklärt. Nichts Genaues weiß man nicht in Wiesbaden. Ähnlich sieht es bei anderen regierenden Grünen in den Bundesländern aus. Nordrhein-Westfalens Landeschef Sven Lehmann sagte am Freitag, der Gesetzentwurf liege vermutlich im März im Bundesrat vor. „Wir werden dann das Stimmverhalten von NRW in der Koalition besprechen.“ Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann ließ auf taz-Anfrage schon am Mittwoch ausrichten, seine Landesregierung prüfe den Entwurf und werde „zügig“ entscheiden.

Der Plan der Großen Koalition stellt die Regierungs-Grünen in den Ländern vor ein Dilemma. Ein Bundesparteitag hatte die Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten noch im November als falsch bezeichnet. Die in neun Bundesländern mitregierenden Grünen könnten das Koalitionsgesetz im Bundesrat blockieren. Aber wollen sie das eigentlich?

Der Plan der Großen Koalition stellt die Regierungs-Grünen in den Ländern vor ein Dilemma

Zu diesem Thema schweigt nicht nur der Hesse Al-Wazir am liebsten. Denn wenn man in der Regierung sitzt, zählen andere Dinge als eng bedrucktes Papier. Spätestens seit den sexuellen Attacken in der Kölner Silvesternacht nehmen Ängste in der Bevölkerung zu. Die Koalition zielt jetzt absichtlich auf jene nordafrikanischen Staaten, aus denen viele der Täter kamen. 78 Prozent der Deutschen finden es laut einer ARD-Umfrage richtig, Marokko, Algerien und Tunesien als „sicher“ zu deklarieren.

Auch die grün-mitbesetzten Landesregierungen sind auf Mehrheiten angewiesen. Für sie ist die Versuchung, gegen das Parteiprogramm zu entscheiden, immens. Viele Grüne, die das Konzept scharf ablehnen, glauben jetzt, dass ihre Länderkollegen umfallen. „Ich fürchte, dass Kretschmann zustimmt – aus wahltaktischen Überlegungen“, sagt eine gut vernetzte Landespolitikerin. In Baden-Württemberg wird am 13. März ein neuer Landtag gewählt. Kretschmann hatte in der Vergangenheit zwei Mal mehr sicheren Herkunftsstaaten zugestimmt.

Für Verwirrung sorgte gestern ein Interview, das Parteichef Cem Özdemir der Rheinischen Post gegeben hatte. „Wir verschließen uns Gesprächen nicht prinzipiell“, sagte Özdemir da. Als die Journalistin fragte, was er im Gegenzug fordere, zählte er mehrere Wünsche der Grünen auf, etwa eine Lösung für langjährig Geduldete. Wollte der Chef etwa Bedingungen für ein Ja im Bundesrat stellen? In der Grünen-Zentrale wurde dies dementiert. Özdemir sagte der taz dazu: „Ich führe in Zeitungsinterviews keine Verhandlungen zwischen Bundesregierung und Landesregierungen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen