: "Von der Türkei aus müsste die Umverteilung stattfinden"
Griechenland Migrationsminister Ioannis Mouzalas beklagt sich, dass das ökonomisch geschwächte Land mit der Zahl der Flüchtlinge stark überfordert wird
VonTheodora Mavropoulos
ta z:Der Flüchtlingsstrom von der Türkei nach Griechenland nimmt auch in den Wintermonaten kaum ab. Wie ist die Lage?
Ioannis Mouzalas: In den letzten sechs Monaten war die Lage besonders hart. Insgesamt kamen im Vorjahr 850.000 Flüchtlinge nach Griechenland – die meisten von ihnen in den letzten vier Monaten. Wenn an einem Tag nur 3.000 Menschen zu uns kommen, dann ist das ein guter Tag. Griechenland wird beschuldigt, nicht angemessen auf den Flüchtlingsstrom zu reagieren. Wir versuchen jedoch, nach europäischem Gesetz auf den Ansturm zu reagieren. Die Genfer Flüchtlingskonvention, die Gesetze Griechenlands und Europas sehen vor, dass wir den Menschen, die an der griechischen Küste ankommen, helfen müssen. Es ist illegal, sie abzuweisen. Die zigtausend Menschen mussten gerettet werden. Es ist schwierig, mit alldem umzugehen. Niemand – auch Angela Merkel oder Jean-Claude Juncker nicht – hat so etwas bisher erlebt.
Die Camps auf den Inseln sind überlaufen, die Zustände dort sehr schlecht. Hält Griechenland dem Flüchtlingsstrom noch stand?
Mitten in der schwersten ökonomischen Krise müssen wir gleichzeitig die größte Flüchtlingskrise nach dem Zweiten Weltkrieg bewältigen. Griechenland kann den Flüchtlingsansturm nicht länger tragen. Dieser massive Flüchtlingsstrom hat dramatische Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage. In einem Land mit starker Wirtschaft kann eine Einwanderungswelle zum Positiven gewendet werden und zum Wirtschaftswachstum beitragen, ja. Aber in einer ohnehin schon geschwächten Wirtschaftslage, wie sie hier im Lande herrscht, kann solch eine Welle nicht aufgefangen werden. Da gibt es kaum Kapazitäten. Wir sind ein kleines Land und können nur einer bestimmten Anzahl von Flüchtlingen helfen. Aber dass einige ihre Grenzen ganz schließen und alles auf ein so kleines Land abwälzen wollen – das ist nicht nur ungerecht, das ist befremdlich. Griechenland darf nicht als Abstellgleis für Flüchtlinge missbraucht werden. Das stürzt das Land gänzlich in die Katastrophe.
Bei einem schweren Bootsunglück in der Ägäis sind mindestens 37 Menschen ums Leben gekommen, die meisten davon Frauen und Kinder. 75 Menschen konnten nach Angaben der türkischen Küstenwache gerettet werden, nachdem ihr Boot am Samstagmorgen beim Versuch der Überfahrt von der türkischen Provinz Çanakkale zur griechischen Insel Lesbos kenterte. Unter den Opfern waren zwei Kleinkinder. „Wir sind so traurig“, sagte eine Überlebende unter Tränen. „Mindestens 20 unserer Freunde gelten als vermisst.“ Die meisten der Flüchtlinge kamen aus Syrien und Afghanistan, einige aus Birma. Das gekenterte Boot lag 50 Meter vor der türkischen Küste. Rettungswesten und persönliche Habseligkeiten der Ertrunkenen lagen am Strand. Trotz des Winterwetters begeben sich jede Woche Tausende Menschen auf die gefährliche Überfahrt. Am Donnerstag waren 24 Flüchtlinge beim Untergang ihres Boots umgekommen. (afp)
Die EU-Seegrenzen sind schwer zu sichern. Die Agentur Frontex soll dabei helfen.
Da besteht ein großes Missverständnis. Dass Frontex in Griechenland nicht willkommen ist, stimmt nicht. Deren Hilfe ist notwendig. Wir haben um 1.800 Frontex-MitarbeiterInnen gebeten und erst sehr viel später wurden uns nur 800 geschickt. Wir haben auch um Boote gebeten. Ein Viertel der benötigten Boote ist bis jetzt erst eingetroffen.
Die Sicherung der EU-Seegrenzen ist also nicht gewährleistet. Was erwarten Sie von Europa?
Der Integrationsminister ist seit dem 23. 9. 2015 im Amt. Der Chirurg ist einer der Mitgründer der Ärzte für die Welt in Athen.
Als Erstes erwarte ich von Europa, dass es hilft, den Krieg in Syrien zu beendet. Denn der ist der Ursprung der Flüchtlingswelle. Zweitens muss die Türkei von Europa unterstützt werden. Dabei muss die Türkei aber auch unbedingt dazu angehalten werden, den Flüchtlingsstrom nicht nach Europa durchsickern zu lassen. Die Türkei spielt eine Schlüsselrolle. Zahlreiche führende Politiker beschuldigen Griechenland, Ausgangspunkt der Flüchtlingswelle zu sein. Das stimmt nur bedingt. Griechenland ist das gut zu erreichende EU-Land, aber eben nicht der Ausgangspunkt. Der liegt in der Türkei. Sie ist das eigentliche Tor nach Europa, nicht Griechenland. Von der Türkei aus müsste die direkte Umverteilung stattfinden. Das würde den Menschen auch diese sehr gefährliche Überfahrt über das Mittelmeer nach Griechenland ersparen.
Dann unterstützt die Politik der EU also das Schmugglergeschäft mit den Flüchtlingen?
Ja, das kann man aktuell so sagen. Es sollte uns allen vor allem darum gehen, Europa zu schützen, ohne aber die Menschenrechte der Flüchtlinge zu untergraben.
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