: „Entscheidend ist, zu helfen“
Nothilfe Viele Menschen trauen sich nicht, erste Hilfe zu leisten – nicht weil sie fürchten, etwas falsch zu machen, sondern aus Angst vor Klagen, sagt Jochen Thaens vom Roten Kreuz. Dabei ist es Pflicht, im Notfall zu helfen
60, ist Ausbildungsleiter für Erste Hilfe beim Bremer Kreisverband des Deutschen Roten Kreuzes. Er hat über 20 Jahre lang Rettungssanitäter ausgebildet.
taz: Herr Thaens, warum haben Menschen Angst davor, Erste Hilfe zu leisten?
Jochen Thaens: Viele Menschen stellen sich Container vor die Tür, die sie daran hindern, aktiv zu werden. Einer dieser großen Container ist: „Ich könnte etwas falsch machen und dann kommen auf mich Regressforderungen zu“. Das ist ein häufig genannter Hinderungsgrund. Dass jemand sagt, „Ich weiß nicht, was ich da tun soll“ hört man eigentlich selten.
Hat es für ErsthelferInnen Konsequenzen, wenn sie etwas falsch machen?
Nein. Ersthelfer sind rechtlich abgesichert – über die Unfallkassen und letztlich über die öffentliche Hand. Selbst wenn etwas passieren sollte, braucht man sich keine Gedanken machen, dass man selbst bezahlen muss. Zudem ist es so einfach, Erste Hilfe zu leisten – die Helfer können eigentlich nichts falsch machen – es wird ja nicht operiert. Dafür kann man aber mit einfachen Mitteln ein Leben retten.
Wie sollte man denn eingreifen, wenn jemand verletzt ist?
Das Falscheste wäre, nichts zu tun. Es ist entscheidend, zu helfen. Allein schon zu der Person hinzugehen und sie zu betreuen, ist schon eine große Hilfe. Ein verletzter Mensch ist in einer Ausnahmesituation und hat einfach Angst. Selbst in den Kursen lernt man heute keine komplizierten Maßnahmen mehr. Es geht darum, die Basis zu schaffen: das Ansprechen, das Anfassen, das Angucken, das richtige Lagern.
Was wird Interessierten in Erste-Hilfe-Kursen vermittelt?
Man übt den schnellstmöglichen Notruf und natürlich die Reanimation beim Herz-Kreislauf-Stillstand. Selbst die fünf bis zehn Minuten, die der Rettungsdienst braucht, sind beim Herz-Kreislauf-Stillstand zu lange. An diesem Punkt kann jeder Ersthelfer Leben retten. Wenn da nach drei Minuten ein Ersthelfer handelt, sind die Überlebenswahrscheinlichkeiten um 70 oder 80 Prozent höher, als wenn man auf den Rettungsdienst wartet.
Wie kann man Menschen die Angst vorm Helfen nehmen?
Wir versuchen, in der Erste-Hilfe-Ausbildung deutlich zu machen, dass das, was für andere nutzbringend ist, sehr leicht ist. Man kann das bei uns in den Kursen üben – es gibt einen hohen praktischen Anteil und immer weniger Theorie. Man kann die stabile Seitenlage zwar mit Worten erklären, aber das hat wenig Sinn, man muss sie einfach durchführen. Zudem machen wir den Teilnehmenden deutlich, dass die meisten Leute, denen sie eventuell helfen müssen, Menschen sind, die sie kennen – Angehörige, Freunde, Arbeitskollegen.
In Deutschland ist der Kurs vor dem Führerschein Pflicht. Wie viele Leute sind fit in Erster Hilfe?
Ich kann keine konkrete Zahl nennen. Aber neben dem Kurs vor dem Führerschein, haben wir in Deutschland das Glück, dass es durch die Unfallverhütungsvorschriften im betrieblichen Bereich eine hohe Ausbildungsquote gibt. Da wird darauf geachtet, dass die Firmen einen bestimmten Anteil ihrer Mitarbeiter qualifizieren. Das kommt dann auch dem privaten Bereich zugute.
Interview: Jördis Früchtenicht
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen