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Eine Bereicherung für beide

Patenschaft Vor dreieinhalb Jahren übernahm Susanne Dütz die Patenschaft für den jungen Kameruner Fidele. Sie hat sich mit ihm durch Biologiebuch-Behördendschungel gekämpft. Jetzt beginnt er eine Ausbildung

Sie trafen sich vor dreieinhalb Jahren als Sprachtandem – Deutsch-Französisch: Susanne Dütz mit ihrem Paten Fidele Foto: Piero Chiussi

von Wibke Bergemann

Was für ein Unterschied! Susanne Dütz muss den Kopf schütteln, wenn sie den Vergleich anstellt, zwischen ihrem eigenen Sohn und Fidele, dem jungen Kameruner, den sie als Patin betreut. Für den deutschen Gymnasiasten ist alles klar: Er wird mal ein tolles Studium machen und dann einen Superjob finden. Das ist für ihn ganz selbstverständlich. Eigentlich hat der 15-Jährige kaum noch Lust, sich dafür überhaupt anzustrengen. „Und dann kommt da einer wie Fidele, der gar nichts hat. Der sogar dafür kämpfen muss, im Klassenzimmer sitzen zu dürfen, um einen Schulabschluss zu machen.“ Dabei seien beide im Grunde zwei junge Menschen mit den gleichen Wünschen und Bedürfnissen, meint Dütz.

Fidele ist 18 Jahre alt, als er nach Deutschland kommt (sein Fluchtweg soll geheim bleiben – Anm. d. Red.). In Kamerun hat er sich politisch engagiert, die Lage ist ihm zu gefährlich geworden. „Und natürlich diese totale Perspektivlosigkeit in so einem runtergewirtschafteten Land“, ergänzt Susanne Dütz. Sie versucht sich vorzustellen, wie es umgekehrt wäre: „Mein Sohn wäre auch gegangen und ich hätte ihn wohl nicht gehalten.“

Fidele landet erst im Erstaufnahmelager in Eisenhüttenstadt und dann in einem Flüchtlingswohnheim in Potsdam. Er hat Glück, die Beratungsstelle der Diakonie vermittelt ihm einen Platz in einem Deutschkurs, und bald auch den Kontakt zu Susanne Dütz.

Fußballverein und Schule

Sie treffen sich als Sprachtandem: Deutsch-Französisch – und verstehen sich gut. Die 52-jährige IT-Expertin, die eine klare Vorstellung von der Ungerechtigkeit in der Welt hat, freundlich und aufgeschlossen. Auf der anderen Seite der junge Kameruner, zurückhaltend und schweigsam, und vor allem fest entschlossen, sich hier zu behaupten. „Das war nicht einfach am Anfang“, erzählt Fidele. „Susanne und ihre Familie wollten, dass ich mehr sage. Aber ich bin so, das ist meine Natur.“

An den Wochenenden unternehmen Susanne Dütz und ihre Familie mit Fidele Radtouren und besuchen Museen. Die Patin erklärt ihm die deutsche Straßenverkehrsordnung, damit er sich nicht in Gefahr bringt, wenn er alleine mit dem Rad unterwegs ist. Sie erkundigt sich nach geeigneten Fußballvereinen und kümmert sich um einen Platz an einer Schule, auf der Fidele auf dem zweiten Bildungsweg die 9. und 10. Klasse wiederholen und einen Abschluss machen kann. „Ich hätte gerne mehr Französisch gelernt, aber dann waren andere Sachen immer wichtiger“, sagt Susanne Dütz.

Die Schule ist für Fidele ein Sprung ins kalte Wasser, denn die Lehrer sind nicht auf ausländische Schüler vorbereitet. Er kämpft mit der Sprache und kann dem Unterricht nur mit großen Schwierigkeiten folgen. Der Montagnachmittag ist jetzt ein fester Termin für ihn und Susanne Dütz, um für die Schule zu üben. „Biologie war das Schlimmste“, erzählt die Patin. „Manchmal haben wir eine ganze Stunde gebraucht, um eine Seite im Biologiebuch zu verstehen.“ Für seine erste Mathearbeit bekommt Fidele dagegen gleich eine 2. „Die ganze Klasse war überrascht. Ein Schüler hat gefragt: „Du kommst aus Afrika. Wieso kannst du Mathematik?“, erinnert sich Fidele mit einem Lächeln. Seine Mitschüler beginnen zu begreifen, dass der zurückhaltende Afrikaner, der gerne schweigt oder in gebrochenem Deutsch spricht, ein schlaues Köpfchen ist. Langsam findet er ein paar Freunde an der Schule.

Hobby und Duldung

Patenschaften

Mit zehn Millionen Euro will das Bundesfamilienministerium Patenschaften und Gastfamilien für Flüchtlinge fördern. Das Programm Menschen stärken Menschen soll vor allem minderjährigen Flüchtlingen das Ankommen erleichtern. Das Ministerium geht davon aus, dass im vergangenen Jahr 57.000 Kinder und Jugendliche ohne Familien nach Deutschland geflüchtet sind.

Die Vermittlung von Patenschaften bieten in Berlin zum Beispiel der Verein Xenion oder die Initiativen Fremde Freunde und Huckepack an. (wb)

Richtig wohl fühlt sich Fidele vor allem beim Fußball. Schon in Kamerun hat er gespielt. In Berlin trainiert er ein paar Mal mit der Flüchtlingsmannschaft Champions United, dann sogar mit der 2. Mannschaft des SV Babelsberg. „Aber mit einer Duldung habe ich keinen Spielerpass bekommen“, erzählt Fidele. Sogar sein Hobby hängt von seinem Aufenthaltsstatus ab.

Bei seinem regelmäßigen Gängen zum Ausländer- und Sozialamt wird Fidele von Susanne Dütz begleitet Sie hat für ihren Sohn schon vor Jahren auf eine 30-Stunden-Stelle reduziert. Jetzt gibt ihr das die Zeit, sich um Fidele kümmern. Dütz erzählt von den Frustrationen auf den Ämtern, von den vielen kleinen und großen bürokratischen Hürden und von Bescheiden, die sie selbst nicht versteht. Fideles Duldung ist immer nur drei Monate gültig. „Ich konnte immer genau sagen, wann der nächste Termin war. Ich weiß nicht, wer in dieser Zeit größeres Bauchweh hatte“, erinnert sich die Patin. Hinzu kommt die Sorge, dass Fidele die Schule nicht schaffen könnte.

Aber ans Aufgeben denkt Susanne Dütz in dieser Zeit nie. Fidele wird mehr und mehr wie ein zweites Kind in der Familie. „Da sagt man doch nicht, ich kann nicht mehr.“ Jeder kleine Fortschritt ist ein umso größerer Erfolg, der sie neu motiviert.

Trotz der Belastung – die Freundschaft mit Fidele sei für sie vor allem Bereicherung, sagt Susanne Dütz mit strahlendem Gesicht. „Das Fremde zu überwinden und zu merken, wie viel Gemeinsamkeiten wir haben, das ist eine wunderbare Erfahrung.“

Die letzten dreieinhalb Jahre haben ihren Blick auf das eigene Leben grundlegend verändert, erzählt sie. „Ich habe früher vieles in Deutschland sehr kritisch gesehen. Heute ist das anders. Ich sehe jetzt, wie viel Gutes wir hier haben und warum Menschen herkommen wollen. Das hat eine ganz andere Bedeutung bekommen.“

Fidele zeigt ihr seine Dankbarkeit: „Susanne hat mir bei allem geholfen. Sie war immer da.“ Dagegen hat Fidele nicht oft die Gelegenheit, ihr etwas zurückzugeben. Es bleibt eine ungleiche Freundschaft.

„Ich hoffe, dass wir in den nächsten Jahren dahin kommen, dass wir uns auch mal streiten. Das ist auch wichtig“, sagt Susanne Dütz. Bislang ist der zurückhaltende Fidele jedem Streit mit ihr ausgewichen. Die Patin ist beeindruckt von seiner Zielstrebigkeit. „Fidele stellt eigentlich nie etwas in Frage – warum macht ihr das hier so? Sein Weg ist es, zu lernen, wie das hier gemacht wird und sich dem anzupassen.“

Die Patin erklärt die Straßenverkehrsordnung, kümmert sich um einen Schulplatz

Schulabschluss und Lehre

Inzwischen ist Fidele 22 Jahre alt. „Es war schwer, aber ich habe es geschafft“, sagt er. Und endlich hat er eine Aufenthaltsgenehmigung. Mit seiner Fußballmannschaft beim Köpenicker SC spielt Fidele in der Berliner Liga. Und er hat einen deutschen Schulabschluss in der Tasche. Zehn Bewerbungen musste er schreiben, dann wurde er zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. „Susanne hat gesagt, da musst du alleine hingehen. Wir haben das gut vorbereitet, und ich habe es geschafft.“ Jetzt macht Fidele eine Ausbildung zum Elektrotechniker.

Sein Ziel ist es, zu studieren. Und irgendwann möchte er nach Kamerun zurückkehren und sich dort selbstständig machen. Denn bei allem Willen, in Deutschland anzukommen, vermisst Fidele seine Heimat.

Zu Weihnachten hat Fidele für die ganze Familie von Susanne Dütz kamerunisch gekocht – es gab Reis mit Fisch und Huhn in einer scharfen Sauce, dazu Kochbananen. „Drei Tage lang essen mit Oma und Onkel. Das war für mich wie zu Hause“, sagt Fidele. „Wenn es dieses Vertrauen gibt, dann kannst du ein gutes Gefühl haben in Deutschland.“

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