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„Zaun runter, nicht die Renten“

Griechenland In Orestiada, an der Grenze zur Türkei, demonstrieren am Sonntag rund 1.000 Menschen gegen die EU-Politik. Sie fühlen sich von der Syriza-Regierung verraten

Auch in Kastanies wurde am Sonntag gegen die Brüsseler Politik demonstriert Foto: Thanassis Stavrakis/ap

Aus Orestiada Theodora Mavropoulos

Immer wieder ertönen Sprechchöre auf dem Platz im Zentrum der Kleinstadt Orestiada im Norden Griechenlands, gleich vor der türkischen Grenze. Hier haben sich am Sonntagvormittag etwa 1.000 Menschen versammelt, die aus ganz Griechenland angereist sind.

„Runter mit dem Zaun, nicht mit den Renten“, rufen sie. Denn die Regierung plant eine erneute Kürzung der Renten. Plakate und Banner werden von den DemonstrantInnen gehalten: „Rein mit den Flüchtlingen, raus mit den Nazis!“

Der Sprechchor verstummt. Eine Sprecherin der antifaschistischen Organisation Kerfa, die die Demonstration organisiert hat, stellt sich vor das Mikrofon auf dem Podest. Katerina Thoi­dou ruft, dass es genug Platz in Europa gebe, dass man nicht aufgeben werde, dass es historische Zeiten seien, in denen man zusammenhalten müsse. Wieder werden Sprechchöre laut: „Die Kapitalisten bringen die Arbeitslosigkeit, nicht die syrischen Flüchtlinge!“

Auch Nikos Boulzos ist heute hier. Der 29-Jährige arbeitet ebenfalls in der antifaschistischen Organisation Kerfa. „Allein in dieser Woche sind über 40 Menschen auf ihrer Flucht über die Ägäis ums Leben gekommen“, sagt er. Hier nahe der Ortschaft Orestiada befinde sich das einzige Grenzstück zwischen Türkei und Griechenland, das auf dem Landweg passiert werden könne. Doch es sei abgeriegelt. Daher stürben Tausende von Flüchtlingen im Fluss Evros oder auf ihrer Überfahrt übers Meer, erklärt er. Ständig werde berichtet, dass die Flüchtlinge für die Arbeitslosigkeit hier im Lande verantwortlich sind. Der Mann macht eine wegwerfende Handbewegung. „Das ist Unsinn! Wir haben keine Jobs wegen der Austeritätspolitik der EU!“

EU-Gelder sollten für hilfsbedürftigen Menschen investiert werden, nicht in die Banken! „Die Syriza-Regierung hat viel versprochen. Sie wollte den Zaun öffnen. Nichts davon ist bis jetzt passiert.“ Die griechische Regierung folge nur noch der EU-Politik. Die Menschen hätten an diese linke Regierung geglaubt. Sie fühlten sich verraten. Nikos hebt wieder die Fahne der Kerfa in die Höhe, stimmt in den Sprechchor ein.

Auf der anderen Straßenseite des großen Platzes haben sich einige RentnerInnen versammelt und schauen sich das Treiben an. „Ja, die jungen Menschen haben recht“, sagt einer von ihnen. Es sei unmenschlich, die Flüchtlinge einfach verrecken zu lassen. Er selbst sei in den 60er Jahren nach Deutschland ausgewandert, erzählt er. Er sei sozusagen ein Wirtschaftsflüchtling gewesen, und überhaupt, damals unter der Junta, da hätte er keinen Job bekommen. Er versteht sowohl diejenigen, die aus wirtschaftlichen gründen kämen, als auch die Kriegsflüchtlinge, die in Europa auf ein besseres Leben hoffen.

„Es ist unmenschlich, die Flüchtlinge ver­recken zu lassen“

Rentner in Orestiada

Ein anderer Rentner mischt sich ein: „Wir werden hier doch vollkommen überlaufen von denen!“, sagt er. Das könne das krisengeschüttelte Griechenland nicht länger tragen. Er mache sich große Sorgen, dass es hier zu Auseinandersetzungen zwischen Flüchtlingen und Einheimischen komme.

Die Demonstration setzt sich in Bewegung und zieht durch die Straßen von Orestiada. Aktivisten verteilen Flyer mit Informationen an die Einwohner. „Ihr solltet selbst über die Grenze ausgewiesen werden!“, ruft ein aufgebrachter Mann in Anzug und Krawatte den Demonstrierenden zu. Eine Ecke weiter klopft eine Frau, Ende 50, einem der Aktivisten auf die Schulter. „Weiter so“, sagt sie. Die Frau gehört zu einer Gruppe hier in der Ortschaft, die den Flüchtlingen mit Kleiderspenden aushilft und auch Essen verteilt.

Die Demonstranten steigen wieder in die Busse, um sich in der Ortschaft Kastanies erneut zu versammeln. Denn dort versuchen die meisten der Flüchtlinge die Grenze in die EU zu passieren – das wird durch den Zaun erschwert. Zahlreiche Polizisten warten dort, um die DemonstrantInnen nicht nahe an dieses Gebiet heranzulassen. Drei der Organisatoren schaffen es dennoch, die Polizeibarrikaden gewaltlos zu durchbrechen. Sie stellen sich mit ihrem Banner kurz vor dem Grenzübergang auf. Die Männer werden von der Polizei wieder hinter die Absperrung begleitet. Wieder ertönen Sprechchöre. 20 Minuten später löst sich die Demonstration friedlich auf.

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