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Flüchtlings-WG auf dem Tennisplatz

ankommen In Hannover haben sich Privatleute mit Architektur-Studenten zusammengetan, um mitten in der Stadt Wohnungen für Flüchtlinge zu realisieren

Vorgefertigter Holzbau, Gemeinschaftsküche und Leitertreppen zu den Individualräumen: Geldgeber Walter Leyendecker haben die Studenten mit ihren Entwürfen überzeugt  Fotos: Christian Wyrwa, Leibniz-Universität Hannover (3)

von Bettina Maria Brosowsky

Hannover-Südstadt, einen Steinwurf entfernt vom Sprengel-Museum: Im dicht bebauten Quartier liegt hier neben einem Wohnhaus ein alter Tennisplatz, mittlerweile eine grüne Wiese mit Gehölzen am Rand. Mit etwas Glück wird dort ab Mitte des Jahres ein kleines Wohngebäude für Flüchtlinge entstehen , konzipiert von Studierenden der Leibniz-Universität. .

Das Terrain gehört der iranischstämmigen Ärztin Poupak Javaher. Sie ist vor rund 30 Jahren als Kind mit ihren Eltern vor der Islamischen Republik des Ayatollah Chomeini geflohen. Javaher machte in Deutschland Abitur, studierte Medizin und arbeitet nun in Hannover als Fachärztin für molekulare Humangenetik, demnächst in eigener Praxis. Eigentlich hat sie genug um die Ohren. Dennoch engagiert sie sich seit über einem Jahr in der Flüchtlingsarbeit, organisiert Kleider- und sonstige Spenden.

Jetzt will sie auf dem brachliegenden Grundstück auch das Problem der Behausung angehen. Dafür hat sie in der Nachbarschaft einen Geldgeber gefunden: Walter Leyendecker, Zahnarzt im Ruhestand. Allerdings sind noch viele bürokratische Klippen zu umschiffen. Da sind etwa die über zehn Anrainer rund um den Bauplatz, die alle grundsätzlich zustimmen müssen. Sie könnten sonst, wie andernorts bereits geschehen, das Bauvorhaben mit juristischen Einwänden verzögern oder gar verhindern.

Denn Gemeinschaftsunterkünfte für Flüchtlinge und Asylbegehrende sind, abhängig von der Anzahl der Bewohner sowie einer zeitlichen Begrenzung ihres Aufenthalts, oft als sogenannte Anlagen für soziale Zwecke zu betrachten und planungsrechtlich anders zu behandeln als ein ganz normales Wohnhaus. Es kommt in Einzelfall dann darauf an, dass sich Nutzung und Architektur in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen. Für die nötige Abstimmungs- und Überzeugungsarbeit plant Walter Leyendecker die nächsten Wochen, vielleicht auch das ganze erste Jahresquartal ein – und hofft auf eine Gruppendynamik: Wenn erst viele Anrainer dem Projekt positiv gegenüber stünden, ließen sich letzte Zögernde wohl umstimmen, ist seine Hoffnung. Das fertige Gebäude soll später von der Region Hannover betrieben werden. Die Initiatoren stellen es als Non-Profit-Organisation zur Verfügung. Auch hierzu laufen bereits aussichtsreiche Gespräche.

Innerstädtische Ressourcen sollen genutzt werden

Die Architektur der Wohnanlage erarbeiten vier Studierende: Alisa Klauenberg, Tobias Hasselder, Paul Eichhorn und Fabian Wieczorek sind im Master-Studium am Institut für Entwerfen und Gebäudelehre der Leibniz-Universität Hannover. Im Wintersemester werden hier prototypische Wohneinheiten für Flüchtlinge bis zur Baureife entwickelt. Die Vier steuerten zwei, strategisch verwandte Entwürfe bei und arbeiten nun zusammen weiter.

Bereits seit 2014 forscht Professor Jörg Friedrich mit seinen Studierenden zu einer menschenwürdigen Architektur des Ankommens in der Stadt. Die Alternativkonzepte zu Containerwohnen und Zeltstädten auf der grünen Wiese schöpfen innerstädtische Ressourcen aus: tragfähige Flachdächer, Baulücken, Gleisanlagen verwaister Bahnhöfe, Schrebergärten oder unterfrequentierte Wasserläufe, sogar Nachlässe der Expo 2000.

Die erste Publikation „Refugees Welcome“ erschien im August 2015. Sie verstand sich nicht als Entwurfsatlas realisationsfertiger Architekturen – alle Vorschläge wären mit juristischen, bautechnischen oder finanziellen Argumenten leicht auszuhebeln. Aber sie zeigten als Denkmodelle das Potenzial einer durchschnittlichen deutschen Großstadt, die einige Tausend hinzuziehende Menschen locker aufnehmen könnte – sehr phantasievoll zudem und die Stadt bereichernd.

Modularer Holzbau,leicht zu demontieren

Nun wird es also konkret: Flachdächer der Fakultätsgebäude, ein Parkplatz davor, das Deck eines Parkhauses und eben der Tennisplatz in der Südstadt stehen als Orte des Experiments bereit. Eine Jury aus Architekten, Bauhandwerk und Investoren destillierte vor Weihnachten aus knapp 20 Entwürfen eine Handvoll heraus. Studentische Studios schlossen sich zusammen und erarbeiten bis zum Semesterende die Ausführungsplanung. Ab den Semesterferien sollen dann exemplarische Unterkünfte realisiert werden. Der Zeitplan ist ebenso engagiert wie die Programmatik: Die Gebäude sollen mit Fertigteilen erreichtet werden, ein Nutzungsmischun zulassen und für Folgenutzungen geeignet sein.

Auf dem Tennisplatz in der Südstadt könnte dann ein zweigeschossiger, modularer Holzbau für etwa acht bis 15 Bewohner entstehen – mit hohem WG-Feeling: im Erdgeschoss reichlich Gemeinschaftsräume, eine offene Küche und ausreichend Bäder, getrennt nach Geschlecht. Im Obergeschoss die Individual- und Rückzugsräume: Hier kann man die Tür zumachen, findet nach dem Aufenthalt in Massenunterkünften endlich einmal Ruhe.

Walter Leyendecker ist fasziniert von den Entwürfen: sie seien bei Bedarf erweiterbar, auch als Wohnangebot für Studierende interessant oder, nach temporärem Gebrauch, später leicht wieder abzubauen. Lediglich an den geplanten steilen Leiterstiegen meldet er Bedenken an: Für Familien mit kleinen Kindern oder ältere Menschen müssten es schon normale Treppen sein.

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