: Where are we now?
Abschied I Nachdem David Bowie Berlin 1978 den Rücken kehrte, kursierte es immer wieder – das Gerücht, Bowie wäre in der Stadt. Seine Fans hofften, den Künstler im Café M oder an seinem ehemaligen Wohnhaus anzutreffen. Unser Autor erinnert sich
von Dirk Knipphals
Hauptstraße 155 in Schöneberg. Ein gründerzeittypischer leicht pompöser Hauseingang. Verschnörkelter gusseiserner Rahmen, ansonsten Glas. Kein Schild, kein Hinweis, nichts. Aber hier hat er gewohnt. Von hier aus ist er ins KaDeWe zum Einkaufen gefahren, zu den Hansa-Studios am Potsdamer Platz zum Plattenaufnehmen oder in den Dschungel zum Feiern. Von 1976 bis 1978. Fast täglich laufe ich an diesem Eingang vorbei. Ich wohne ums Eck. Und selbstverständlich habe ich nie wirklich geglaubt, dass er einmal aus der Tür treten wird. Nein, das habe ich wirklich nicht. Wobei ...
Es gibt viele Geschichten von Menschen, die David Bowie in seiner Berliner Zeit getroffen haben. Das war damals. Späte Siebziger, wilde Zeit. Kohleöfen. Kunst. Mauer. Queerness. Veteranengeschichten.
Noch anrührender und irgendwie interessanter habe ich aber immer die Geschichten von Menschen empfunden, die zwar ständig auf David Bowie gewartet haben – alle warteten sie auf Bowie –, ihn dann aber niemals getroffen haben. Das waren viele. Die taz-Fotokollegin Isabel Lott erzählt gerne davon, wie sie 1982 im Café M in der Goltzstraße saß und dann öfter mal das Gerücht herumging: Gleich kommt Bowie. Der wohnte da zwar längst nicht mehr in der Stadt, aber immer hieß es: Doch, doch, er ist in Berlin, und gleich kommt er vorbei. Alle gleich ganz aufgeregt.
Warten konnten sie, glaube ich, damals gut in Westberlin. Es gab sonst jetzt ja auch nicht so viel zu tun. Aufgeregt sein konnten sie auch. Denn sie hingen ständig zusammen und fühlten sich als Avantgarde. Subkultur-Boheme. In dem Film „B-Movie“ von Mark Reeder – der übrigens derzeit zwei, drei Straßen von der Hauptstraße 155 entfernt als Kellner in einem Restaurant arbeitet und sehr freundlich lächelt, wenn man Bier bestellt – bekommt man einen guten Eindruck von der Zeit.
Hübsch ist auch der Roman „Sünden der Faulheit“ von Ulrich Peltzer. David Bowie hatte den Boden bereitet. Und Punks, New Waver, Autoren und neue wilde Maler besetzten das Terrain.
Nur: Natürlich kam Bowie dann nie. Aber das machte auch nichts. Immerhin hatte man wieder ein paar Stunden gut herumgekriegt und dabei ein Gesprächsthema gehabt. Nicht auszudenken, wenn er wirklich gekommen wäre!
Mit solchen Geschichten kann ich mich gut identifizieren. Als ich das erste Mal in Berlin war, 1979 war das, habe ich selbstverständlich ein paar der einschlägigen Orte abgeklappert, an denen man ihn vielleicht hätte treffen können. Nollendorfplatz. Kleistpark. Kurfürstenstraße. Er war wichtig für mich damals. Es war die „Heroes“-Zeit. „Schüsse reißen die Luft / Doch wir küssen / Als ob nichts geschieht“. Ich bin in einem homogenen norddeutschen Vorort groß geworden. Kleinfamilien. Vorgärten. David Bowie mit all seinem Glamour war der Gegenentwurf, das attraktive Andere. Der Rhythmus von „Sound and Vision“: eine Verheißung, Eintrittskarte in eine nicht festgelegte, nicht langweilige Welt. Aber natürlich habe auch ich ihn nie getroffen.
Nachdem das Tablet am Montagmorgen erzählt hat, dass er gestorben ist, bin ich, auf dem Weg zur U-Bahn Kleistpark, wieder an der Hauptstraße 155 vorbeigegangen. In dem Video zu „Where Are We Now“, dem Comeback-Hit von 2013, war der Eingang kurz zu sehen. Schon damals hatte ich bei der Zeile „A man lost in time / near KaDeWe“ schlucken müssen. Und irgendwie hatte ich danach wohl doch geglaubt, dass er sich die Schauplätze seiner Berliner Zeit noch einmal ansehen könnte und ich zufälligerweise gerade vor der Tür stehen könnte, wenn er aus seinem früheren Wohnhaus tritt. Aber nun ist klar: Das wird nie geschehen. Eine heimliche Hoffnung weniger.
Die Haustür sah hilflos aus an diesem Morgen.Schwerpunkt SEITE 4, 5
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen