: Sie lachen noch, aber es klingt etwas bitter
Charlie Hebdo Zum Jahrestag des Anschlags erscheint eine Sondernummer des Satireblatts – und erntet wieder mal Empörung
Das war Charlie Hebdosich selbst und vor allem den vor einem Jahr ermordeten elf Mitarbeitern schuldig: Zum ersten Jahrestag des Attentats hat das Pariser Satireblatt eine besonders freche und provozierende Sondernummer herausgebracht. Die Absicht ist klar: Es geht darum zu zeigen, dass Charlielebt und sich weder vom mörderischen islamistischen Terror einschüchtern noch von den gut gemeinten Ratschlägen zur Mäßigung bis zur Selbstverleugnung beeinflussen lässt.
Im Gegenteil, ein erster Blick in diese am Mittwoch erschienene Ausgabe genügt, um zu sehen, dass da dieselben Themen in der gewohnt exzessiv spöttischen Weise behandelt werden: die Religionen, die Spießer und Reaktionäre, Sex und Gewalt. In der Mitte des Hefts sind entsprechende Karikaturen der Terroropfer Charb, Cabu, Wolinski, Tignous und Honoré abgebildet.
In einem langen Text wird jedoch zuerst minutiös der Ablauf des Attentats vom 7. Januar 2015 an der Rue Nicolas-Appert geschildert. Denn viele haben seither darüber geschrieben, doch die subjektive Version der direkt Betroffenen war weniger bekannt. Auch die weniger prominenten Opfer der anderen Anschläge vor einem Jahr, der Hauswart, zwei Polizisten und die Toten im Geschäft „Hyper Casher“ werden nicht vergessen.
Es geht ums Recht, gegen Konventionen zu verstoßen
Das Lachen ist den Zeichnern und Autoren von Charlie Hebdo nicht vergangen, es tönt vor allem in dieser Nummer aber etwas bitter oder vielleicht auch rachsüchtig aus den Karikaturen, in denen die Islamisten verhöhnt werden.
Schon das Titelblatt gibt den Ton an: Eine Art „Gottvater“ mit weißem Bart und einem Dreieinigkeitssymbol über dem Kopf rennt in einem blutverschmierten Gewand mit einer umgehängten Kalaschnikow davon.
Anklagend schreibt der (neue) Chefredaktor Riss dazu: „Ein Jahr später: Der Mörder ist noch auf freiem Fuße.“ Diese Karikatur genügte, um noch vor dem Erscheinen dieser Großauflage von mehr als einer Million Exemplare auf dem Internet bereits eine neue Polemik über die Blasphemie von Charlie Hebdo zu entfachen.
Neben Muslimen empören sich auch Christen auf Twitter, dass da gegen monotheistische Religionen ein Generalverdacht wegen terroristischer Gewalt erhoben wird.
In seinem Leitartikel pocht Riss, der selbst schwer verletzt worden war, auf dieses Recht der Satire, gegen alle Konventionen zu verstoßen. Seit den Anfängen habe man bei Charlie Hebdo gewusst, dass mit jeder Nummer die Existenz der Publikation und womöglich auch die der Zeitungsmacher aufs Spiel gesetzt werde: „Ja, viele wünschten unseren Tod. Unter ihnen die vom Koran verblödeten Fanatiker, auch die Frömmler anderer Religionen, die uns in ihre Hölle schicken wollen, weil wir uns erkühnen, über das Religiöse zu lachen.“
Statt in Konkurs zu gehen, ist Charlie Hebdo über Frankreich hinaus eine Institution und ein Symbol der Pressefreiheit geworden. Darum steuern zum Jahrestag der versuchten Vernichtung der Satirezeitung verschiedene internationale Persönlichkeiten wie Taslima Nasreen oder Russel Banks Texte bei. Die Schauspielerin Isabelle Adjani würdigt die Freiheit von Charlie in einem schönen Gedicht.
Die Sondernummer von Charlie Hebdo ist ab Donnerstag auch in Deutschland erhältlich
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