USA: Nationale Nabelschau
Die USA setzen auf globalen „Leadership“, aus Europa aber dringt wenig hierher. Ausnahme: Angela Merkel
Dorothea Hahnaus New York
Spricht man in New York über den US-amerikanischen Blick auf Europa, bekommt man zu hören: „Wir gucken nirgendwohin. Außer auf uns selbst“, so formuliert es eine Freundin und fügt hinzu: „Andere Weltgegenden lernen wir nur kennen, wenn wir da gerade Krieg führen.“
So gesehen ist es ein gutes Zeichen, dass die EU auch 2015 in der US-amerikanischen Debatte kaum vorgekommen ist. Die nationale Nabelschau wurde verstärkt durch den Vorwahlkampf, in dem es vorrangig um innenpolitische Themen geht, wie die Verteidigung der „Middle Class“ (obwohl die längst ein Auslaufmodell ist, das einer hauchdünnen Oberschicht und einer rasant wachsenden Gruppe von Habenichtsen weicht), wie den Bau einer Mauer (damit keine Einwanderer mehr kommen) und die Verteidigung des „American Exceptionalism“ (zu dem so extravagante „Freiheiten“ gehören wie das Recht auf Waffentragen). Der Rest der Welt besteht auch 2015 aus Krisen, die Angst machen: Terrorismus, Kriege und Flüchtlinge. Europa schrumpft in diesem Bild zusammen auf den Krieg im Osten der Ukraine, auf die Attentate in Paris und auf die Flüchtlingspolitik von Berlin.
Die Nabelschau, gepaart mit weitgehender Ignoranz über den Rest der Welt, steht in eigenartigem Kontrast zu dem globalen Führungsanspruch der USA – dem globalen „Leadership“. Fast alle US-Politiker glauben, dass sie diesen bei öffentlichen Auftritten demonstrieren müssen. Der Präsident verspricht klimapolitischen „Leadership“. Die meisten republikanischen Aspiranten auf sein Nachfolge versprechen militärischen „Leadership“. Und manche, wie Carly Fiorina, halten es für angemessen, auch die US-Truppen- und Militärpräsenz in der EU – in Deutschland, Polen und dem Baltikum – aufzustocken. Auf demokratischer Seite kündigt Hillary Clinton mehr US-amerikanischen „Leadership“ beim militärischen Vorgehen gegen IS an.
Ausnahmen unter den Präsidentschaftskandidaten bilden der linke Bernie Sanders sowie der rechtslibertäre Rand Paul. Als Sanders in einer TV-Präsidentschaftsdebatte die dänische Sozialversicherung als vorbildhaft lobt, steht Clinton grinsend neben ihm und beendet das Thema mit den knappen Worten: „Die USA sind nicht Dänemark“. Dafür bekommt sie Applaus.
Europa: Was für ein Jahr: In Griechenland spielte ein monatelanger Krimi um die neue Linksregierung, Währungskrise und Verhandlungen mit der Troika. Paris musste zwei islamistische Terroranschläge erleben. Und vor allem beschäftigten uns Menschen, die von jenseits des Mittelmeers nach Europa kommen. Der Umgang mit dieser „Flüchtlingskrise“ entzweite auch die Mitglieder der EU.
Sichtweise: Wie schaute die Welt auf Europa in diesem Krisenjahr? Wir haben die taz-Auslandskorrespondenten in China, Russland, Südamerika, den USA und Westafrika gebeten, mit der Brille ihres Berichtsgebiets auf 2015 zurückzublicken. Welches Bild wurde dort von Europa gezeichnet? Welche Nachrichten spielten eine besondere Rolle, welche gar keine? Was bewegte die Menschen?
Sich Anregungen von anderswo zu holen – etwa aus Skandinavien – passt nicht in das Weltbild der meisten US-Amerikaner. Die großen TV-Sender verstärken dieses Weltbild. Die meisten von ihnen unterhalten nicht einmal ein eigenes Korrespondentennetz im Rest der Welt. Wenn es irgendwo knallt, wie zuletzt in Paris, kaufen sie zunächst Beiträge von britischen Reportern ein. Dann schicken sie ihre eigenen Stars für ein paar Tage an den Ort des Geschehens.
Aus eigener Anschauung können nur wenige US-Amerikaner ihr Land mit dem Rest der Welt vergleichen. Abgesehen von der Elite in Wirtschaft und Politik kommen die meisten allenfalls in Uniform ins Ausland. In den unteren Einkommensgruppen sind oft Immigranten die Einzigen mit Auslandserfahrung. Es sind viele, aber politisch haben sie kein Gewicht.
Blickt Washington auf die EU, geraten für Momente einzelne Politiker in den Fokus. Zuletzt hat Präsident Obama oft mit François Hollande telefoniert. Außer über den Klimagipfel ging es dabei meist um Terrorismus und um Bomben auf Syrien. Aber über längere Strecken konzentriert sich Washingtons Blick auf Deutschland. Bundeskanzlerin Angela Merkel ist abgesehen von Putin das bekannteste europäische Gesicht in den USA. Und wenn überhaupt einmal ein US-Politiker bei einem öffentlichen Auftritt einen europäischen Politiker namentlich würdigt, dann ist es Merkel. Nicht immer positiv: Als das Time-Magazin Merkel Anfang Dezember zur „Person des Jahres“ machte – eine seltene Ehre für eine ausländische Politikerin – reagierte der von Time abgewiesene republikanische Spitzenkandidat Donald Trump mit den wütenden Worten: „Sie ruiniert Deutschland.“
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