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Eine toxische Mischung

Nahost Iran im Aufwind, Saudi-Arabien im freien Fall: Die Spannungen zwischen den beiden Regionalmächten eskalieren

KAIRO taz | Oft werden die gegenwärtigen Auseinandersetzungen in der arabischen Welt als Religionskonflikt zwischen Sunniten und Schiiten interpretiert, ähnlich dem Dreißigjährigen Krieg zwischen Katholiken und Protestanten in Europa. Worum es aber derzeit tatsächlich geht, ist ein knallharter weltlicher Machtkampf der beiden Regionalmächte Iran und Saudi-Arabien.

Beide Länder messen ihre Kräfte in Stellvertreterkriegen, allen voran in Syrien, dem Jemen, aber auch dem Irak – und das bereits seit Jahren. Dabei nutzen sie lokale Konflikte in den jeweiligen Ländern aus: Sie stellen sich als Schutzmacht für jeweils eine Seite dar und hoffen, so ihre Einflusssphären ausbauen zu können.

So weit, so alt. Hinter der neuesten Eskalation, die auch zu einem Abbruch der diplomatischen Beziehungen geführt hat, steht der Fakt, dass sich die Gewichte zwischen beiden Regionalmächten gerade verschieben: Der Iran ist mit dem kürzlich in Wien verabredeten Atomdeal wieder salonfähig geworden. In Teheran geben sich internationale Banker und Kaufleute derzeit die Klinke in die Hand. Der Iran fühlt sich im Aufwind.

Saudi-Arabien – bisher selten kritisierter Darling der USA in der Region und Verbündeter Europas – befindet sich dagegen im freien Fall. Noch nie war der Ruf Saudi-Arabiens im Westen so schlecht wie heute. War einst Iran der Schurkenstaat, übernimmt zunehmend Saudi-­Arabien die Feindesrolle im Westen. Was die Lage im Land noch verschlimmert: Der Ölpreis sinkt, das Defizit entspricht 15 Prozent des saudischen Bruttosozialproduktes. Vorbei sind die Zeiten, in denen in Saudi-Arabien Milch und Honig flossen.

Der Iran erlebt also ein neues Selbstbewusstsein, während Saudi-Arabien eher panisch um sich schlägt. Deshalb ist der Konflikt der beiden Regionalmächte in Bewegung geraten, und deshalb werden die Stellvertreterkriege, etwa in Syrien, nicht so schnell zu Ende gehen.

In Syrien unterstützt der Iran das Assad-Regime, auch direkt mit Revolutionsgarden und mit Truppen der vom Iran gesponserten libanesischen Hisbollah-Miliz. Saudi-Arabien hingegen versorgt Teile der syrischen Rebellen mit Geld und Waffen.

Was nun? Was folgt auf den Abbruch der diplomatischen Beziehungen? Sowohl der Iran als auch Saudi-Arabien hatten an den Wiener Gesprächen über eine Lösung des Syrienkonfliktes teilgenommen. Die Angst, dass die Instabilität in Syrien auf sie selbst übergreifen könnte, war in beiden Ländern immer stärker geworden.

Ende Januar sollten die Syrien-Gespräche weitergeführt werden. Es wird nicht leicht sein, den Iran und Saudi-Arabien wieder an einen Tisch zu bekommen. Aber ohne sie ist eine Lösung des Syrienkonfliktes unwahrscheinlich. Gleiches gilt für den Krieg im Jemen, an dem Saudi-Arabien direkt auf der Seite der alten Regierung teilnimmt und der Iran indirekt aufseiten der Huthi-Rebellen. Die Ende vergangenen Jahres gescheiterten Waffenstillstandsverhandlungen sollten vielleicht diesen Monat wieder aufgenommen werden. Stattdessen bombardierte Saudi-Arabien unmittelbar nach dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen als eine Art Reflex am Sonntag wieder die von den Huthis kontrollierte Hauptstadt Sanaa.

Der Westen steht nun vor der Frage, wie er sich in diesem Konflikt positionieren soll. Das Beste wäre wohl, zur Beruhigung beider Seiten beizutragen und sie langsam wieder in Sachen Syrien zusammenzubringen. Das liegt im ureigensten europäischen Interesse. Denn die europäische Flüchtlingskrise ist auch ein Nebenprodukt des saudisch-iranischen Konfliktes und der durch die Stellvertreterkriege vertriebenen Menschen.

Das Schlimmste wäre, den Schurkenstaat Iran nun durch den Schurkenstaat Saudi-Arabien zu ersetzen. Die große Herausforderung ist, sie zur Lösung der Konflikte beide an Bord zu behalten. Karim El-Gawhary

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