Tabak und Kaffee im Dritten Reich: „Verbote wurden ignoriert“
Für manche Nazis war Tabak ein Volksfeind, Goebbels konnte sich brave Nazis nur rauchend vorstellen. Nicole Petrick-Felber über ihr Buch „Kriegswichtiger Genuss“.
taz: Frau Petrick-Felber, war Nazideutschland ein Nichtraucherparadies?
Nicole Petrick-Felber: Es gab durchaus einen ausgeprägten Nichtraucherschutz, vor allem hinsichtlich der Jugend und schwangerer Frauen. Was aber immer mitschwang: Das NS-Regime brauchte einen gesunden Nachwuchs für die nächste Generation gesunder Soldaten. Ein Paradies stelle ich mir anders vor. Der Zusammenhang zwischen Rauchen und Lungenkrebs war darüber hinaus bereits seit den 1920er Jahren bekannt – selbst was das Passivrauchen anbelangte. Daraus Konsequenzen für den Nichtraucherschutz zu ziehen, wie es die Nazis taten – auch in der Art, wie sie es taten –, hatte etwas durchaus Modernes. In der Nachkriegszeit wurde an die medizinischen Erkenntnisse dann nicht mehr angeknüpft, weil sich die Mediziner mit der Frage konfrontiert sahen, unter welchen Bedingungen die Ergebnisse entstanden waren.
Heißt das, der SS-Arzt Josef Mengele hat Tabakforschung betrieben?
Davon ist mir nichts bekannt. Die relevanten Tabakforscher waren Mediziner an Kliniken und Universitäten. Dies sind eher statistische als experimentelle Arbeiten, basierend auf Krankenakten und Auswertungen von Fragebögen. Ab 1941 wurde die Arbeit aber eingebremst. Was blieb, waren Einschränkungen in der Werbung: Es durfte das Produkt beworben werden, nicht aber das Rauchen selbst. Es durften keine Frauen adressiert und keine Vorbilder für die Jugend beim Rauchen gezeigt werden. Heute nennt man es reine Markenwerbung. Ob ein gesunder, erwachsener „Volksgenosse“ aber rauchen wollte oder nicht, blieb ihm letztlich überlassen.
Das bedeutet, Einschränkungen wie das Rauchverbot in NS-Parteizentralen oder im Speisewagen von Hitlers Privatzug blieben Ausnahmen auf ausdrückliche Anordnung des Führers?
Es gab umfangreiche Werbe- und vereinzelte Rauchverbote, die bis 1941, bevor sie vereinheitlicht wurden, immer wieder direkt auf Hitler zurückgingen. Vor allem der „Mustergau“ Thüringen diente hier als Erprobungsfeld. Letztlich waren die Verbote aber wenig erfolgreich. Frauen rauchten auch unter dem Schild „Die deutsche Frau raucht nicht“ in Restaurants. Das störte nicht einmal die Wirte, schließlich verkauften auch sie Tabakwaren. Selbst die persönliche Anordnung Hitlers, wonach in den Räumen der NSDAP-Dienststellen nicht geraucht werden durfte, wurde in erstaunlichem Umfang ignoriert. Am Ende führte der zunehmende Mangel an Tabakwaren im Krieg die Frage nach dem möglichen Missbrauch und entsprechenden Verboten ad absurdum.
Wie muss man sich den alltäglichen Konsum von Kaffee vorstellen?
Reiner Bohnenkaffee war lange Zeit noch viel mehr Luxusgut als ein alltäglich konsumiertes Produkt – ein Pfund Bohnenkaffee kostete fast das Zehnfache eines Pfunds „Kornkaffee“ aus Getreide. Erst 1937 nahm der Bohnenkaffeekonsum stark zu – im Zuge einer zumindest gefühlten Wohlstandsmehrung nach der 1936 erreichten Vollbeschäftigung. Doch 1939 brachen die Importe ein und mit Kriegsbeginn wurde Bohnenkaffee komplett für die Wehrmacht beschlagnahmt. In Frankreich fühlte man sich deswegen schon im Januar 1939 an die Vorkriegsmonate des Jahres 1914 erinnert, weil es auffiel, dass es in Nazideutschland trotz hoher Importe an Bohnenkaffee zu mangeln begann. Für die Zivilbevölkerung gab es nach Kriegsbeginn Bohnenkaffee nur noch in Form von Sonderzuteilungen: jeweils alljährlich zu Weihnachten und fürs Durchhalten nach Bombenangriffen – den im Volksmund dann so genannten „Zitterkaffee“.
geb. 1981, ist Wirtschaftswissenschaftlerin und Unternehmensberaterin.
„Kriegswichtiger Genuss. Tabak und Kaffee im ‚Dritten Reich‘ “. Wallstein Verlag, Göttingen 2015
Und beim Tabak?
Bis zum Sommer 1939 rauchten die Deutschen mehr Zigaretten denn je – im Schnitt 15 Stück täglich. Der Trend ging weg vom Rauch-, Kau- und Schnupftabak und von der Zigarre hin zur Zigarette. Der Zigarettenkonsum nahm vor allem bei Männern zu. In einer Umfrage wurde dies auf zunehmende gesellschaftliche Verpflichtungen, stärkere Beanspruchungen im Beruf und nervliche Belastungen durch politische Ereignisse zurückgeführt. Mit Kriegsbeginn brachen zwar die Tabakimporte für Zigaretten nicht ein, denn in circa 95 Prozent aller Zigaretten steckten Orienttabake aus den Hauptimportländern Griechenland, Bulgarien und der Türkei. Aber die überseeischen Importe für Rauchtabak und Zigarren blieben aus und somit sank die Qualität dieser Produkte umgehend. Damit setzt sich auch im Zweiten Weltkrieg der Siegeszug der Zigarette fort, der im Ersten Weltkrieg begonnen hatte.
Die Nazis versuchten die Versorgung der Volksgemeinschaft mit Tabak bis zum Ende aufrechtzuerhalten, obwohl das „Verführungsgift“ Rauchen eigentlich nicht zu einem „Heldenvolk“ passte. Können Sie diesen Widerspruch und die Versuche, ihn aufzulösen, noch mal erläutern?
Das NS-Regime musste irgendwann priorisieren. Es gab die Gesundheitsfraktion mit teils fanatischen Vertretern, organisiert im „Deutschen Bund zur Bekämpfung der Tabakgefahren“. Tabak galt ihnen als „Volksfeind wie Jud Süß“. Aber es gab auch das Reichsfinanzministerium, das als Einzieher der Tabaksteuern bis zum Schluss ein Freund der Tabakindustrie blieb. Am Ende entschied das Propagandaministerium, und für Goebbels war die Versorgung mit Tabakwaren „kriegswichtig“. Hatten die fanatischen Tabakgegner also getönt, dass das jüdische Volk das deutsche Volk mit Tabak vergiften wolle, so versorgten die Nationalsozialisten gerade alle „Volksgenossen“ mit Tabak und schlossen nur die Juden vollständig aus der rauchenden „Volksgemeinschaft“ aus.
Ab wann geschah das?
Endgültig ab 1. Februar 1942, mit der Einführung der Reichsraucherkontrollkarte, die nur bekam, wer auch die Reichskleiderkarte bekam. Juden erhielten diese nicht. Goebbels hatte, in seiner Rolle als Gauleiter von Berlin, allerdings schon vorher verboten, dass Juden Tabakgeschäfte betreten konnten.
Gibt es Zeugnisse, wie all jene, die aus der Volksgemeinschaft und damit aus der Tabakverteilung ausgeschlossen waren, damit umgingen? Wurde in den Lagern geraucht?
Das Versorgungssystem der Nationalsozialisten war höchst hierarchisch. Stand am oberen Ende der kämpfende Soldat an der Front – wenngleich dies in der Realität des Krieges manchmal anders aussah –, fand sich am unteren Ende die jüdische Bevölkerung wieder. Dazwischen wurde nach Alter, Geschlecht, „Rasse“ und „Leistungsfähigkeit“ differenziert. Auch für Gefängnisse und Konzentrationslager waren die Kaffee- und Tabakrationen geregelt. Doch die Verteilung der Genussmittel unterlag dort den Verwaltern der Lager und endete oft in Willkür, bei denen all diejenigen zu kurz kamen, die im Machtgefüge auf der schwächeren Seite standen. Für die Verpflegung von Insassen vorgesehene Waren fanden sich teils auf dem Schwarzmarkt wieder.
Mehr oder weniger gleichzeitig mit Ihrem Buch ist „Der totale Rausch. Drogen im Dritten Reich“ des Schriftstellers Norman Ohler erschienen und hat viel Aufmerksamkeit bekommen. Kein Wunder, geht es doch um „Nazis on Speed“: Pervitin, Kokain und so weiter. Wie haben Sie die Rezeption dieses Buches wahrgenommen?
Nun ja, sex sells. In dem Fall zeigte die Presse jedenfalls mehr Interesse an Drogen im Titel als an Tabak und Kaffee. Im Kern versucht Ohler, wie fast alle NS-Forscher, die Antwort auf die immer gleiche, quälende Frage nach dem „Warum“ zu finden. Warum war das „Dritte Reich“ möglich? Warum währte es so lange? Warum kollabierte es nicht von innen? Auch Drogen spielten hierbei anscheinend eine Rolle. Ohler scheint jedoch manchmal zu vergessen, dass auch er mittels seiner Arbeit zum Drogenkonsum nur einen kleinen Puzzlestein, somit einen Teil zur Antwort, beitragen kann, statt die Antwort selbst zu liefern. „Nazis on Speed“ ist übrigens der Titel eines Buches, das bereits 2002 zum selben Thema erschienen ist.
Und was ist aus Ihrer Kaffee/Tabak-Perspektive die Antwort auf die Frage nach dem Warum?
Mit den Sonderzuteilungen von Tabak und Kaffee nach Luftangriffen gelang es dem NS-Regime, Fürsorge vorzutäuschen und die Stimmung aufzuhellen. Das bürokratische Versorgungssystem trug wiederum dazu bei, dass die Bevölkerung im Alltag beschäftigt blieb. Beides wirkte zu einem gewissen Grad auch systemstabilisierend.
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