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Richtige kleine grüne Städte

Stadtentwicklung Wie sieht die Gartenstadt des 21. Jahrhunderts aus? Werden die geplanten Wohnquartiere auf der Elisabeth-Aue und in Tegel Schlafstädte oder urbane Quartiere? Fachleute suchten auf einer Tagung der Senatsbauverwaltung nach Antworten

von Rolf Lautenschläger

Wohnungen fallen in Berlin derzeit vom Himmel. In Mitte und Pankow, in Kreuzberg oder in Zehlendorf kreisen Baukräne über aufgewühlten Grundstücken und lassen Betonteile für neue Wohnhäuser an Seilwinden herunter. Tag und Nacht dauert manchmal der Tanz der Kräne. Hinter der Rudower Chaussee, an der Heide- oder der Lehrter Straße wird der Wille des Berliner Senats, möglichst schnell möglichst viele Wohnungen zu bauen, umgesetzt. Über 12.000 Baugenehmigungen für öffentliche und private Projekte waren es 2015. Etwa 7.000 im Jahr davor.

Der Druck auf den städtischen Wohnungsmarkt durch dynamisch steigende Einwohnerzahlen – und durch 250.000 neue Arbeitsplätze seit 2005 – hält an. Darum plant Berlins Bausenator Andreas Geisel (SPD), künftig bis zu 20.000 Wohnungen für 40.000 Neuberliner jährlich zu errichten. Der Bauboom und die schiere Quantität täuschen jedoch darüber hinweg, dass viele der Architekturen wenig mit Baukunst und modernen Lösungen im Wohnungsbau zu tun haben.

Berlins Wohnungsbau, der in den vergangenen 15 Jahren praktisch am Boden lag, produziert Klötzchen um Klötzchen mit einfallslosen Urbanitätsversprechen – von einigen innovativen Baugruppenprojekten abgesehen. „Die Neubauten haben wenig mit einer Kultur der öffentlichen Räume und der sozialen Stadt zu tun“, kritisiert etwa der Architekt Eberhard Tröger von der Technischen Universität Zürich. Es sei angesichts eines so großen Wohnungsbauprogramms aber nötig, sich Gedanken über die Zukunft des Städtebaus und des neuen Bauens in Berlin zu machen. „Bauherren und Architekten müssen diese Dinge hier wieder lernen.“

Wie in den Kiezen

Andreas Geisel und besonders sein Staatssekretär für den Wohnungsbau, Engelbert Lütke Daldrup, scheinen dieses Defizit auch zu spüren. Haben sie doch neben Tröger weitere 120 Fachleute, darunter eine Reihe namhafter Architekten und Städtebauer, Hochschullehrer, Denkmalpfleger und Stadtsoziologen letzte Woche zu einer Tagung mit dem Titel „Gartenstadt des 21. Jahrhunderts, Leitlinien für die Planung neuer Stadtquartiere – grün und urban“ nach Adlershof eingeladen.

Der etwas sperrige Gartenstadt-Titel resultiert daraus, dass in Berlin zum einen neben den rund 1.000 Standorten für kleinere und mittlere Wohnungsprojekte hauptsächlich die großen landeseigenen Flächen an der grünen Peripherie von Pankow und in Lichterfelde-Süd sowie auf dem Flugfeld in Tegel für den Senat interessant sind. Dort sollen bis 2030 ganze Stadtteile mit jeweils über 5.000 Wohnungen für 12.000 Bewohner und mehr entstehen.

Zum anderen ist das Gartenstadt-Modell, nicht nur als es um 1900 entstand, sondern auch als Alternative zu den Großsiedlungen der 1960er und 1970er Jahre und beim Wohnungsbau nach 1989, ein in Berlin vielfach „praktiziertes Städtebaumuster“. Dieses „räumliche Leitbild“ mit dichten, durchmischten, grünen, gut erschlossenen und ökologisch ausgerichteten Quartieren „soll jetzt weitergeschrieben werden“, begründete Lütke Daldrup die Vorgabe. Die jüngeren Gartenstadt-Beispiele wie Karow-Nord, Biesdorf-Süd, Am Alten Schlachthof oder in Spandau aus den 1990er Jahren für rund 20.000 Wohnungen bilden heute für den Senat keine Blaupause mehr. Im Gegenteil. Reihenhaussiedlungen mit Vorgärtchen, Quartiere ohne ÖPNV-Anbindung samt urbanen Leerstellen wie in Karow oder das Fehlen baulicher Mischung wie in Johannisthal dürften nicht mehr entstehen, forderte Lütke Dahldrup.

Doch was dann? Die Antworten, die auf den Podien und in Workshops gegeben wurden, waren so einfach wie frappierend: Es müssen richtige kleine Städte gebaut werden, die einmal den Rang von typischen Berliner Stadtteilen, von Kiezen, erlangen können. Jörg Haspel, Chef des Landesdenkmalamtes, erinnerte daran, dass bereits die Berliner Gartenstädte der 1920er Jahre, etwa Falkenberg oder die Hufeisensiedlung Britz, diesen Anspruch verfolgten – aber nicht gänzlich einlösten. Es gab zu wenig öffentliches Grün, zu wenige städtische Einrichtungen, wenig bauliche und soziale Mischung. Besonders Arbeitsstätten fehlten. Die Gartenstädte waren Vorstädte mit hoher privater Präferenz.

Räume für Begegnungen

Christa Reicher, Stadtplanerin und Hochschullehrerin aus Aachen, forderte, den zukünftigen Wohnquartieren ganz neue Funktionen zuzuweisen. So sollte der Akzent „von Beginn an auf den sozialen und öffentlichen Räumen liegen. Es müssen Räume sein für die Begegnung.“ Arbeitsplätze inklusive.

Das wäre in der Tat ein anderer Ansatz, haben doch die Vorstädte der 1990er Jahre die Themen öffentlicher Raum sowie Arbeitsstandorte vernachlässigt und in die einfallslos entworfenen Siedlungen höchstens Shoppingmalls am sonst gespenstisch leeren „Marktplatz“ als Identifikationsmerkmal platziert. „In Zukunft müssen wir die qualitativ hochwertige Zentrumsbildung planen“, so Reicher.

Wie „visionär“ (Reicher) diese Zentren – ob mit großen Architekturen, Hochhäusern, modernen Entwürfen – einmal werden könnten, wird der Mut beim Bau der Gartenstädte zeigen. Klar ist, dass schon die anvisierten Vorstellungen mit öffentlichen Erdgeschosszonen, belebten Straßenräumen, vielfältigen Einkaufsbereichen, Gastronomien, sozialen In­fra­struk­tureinrichtungen wie Schulen, Kitas und Ärztehäusern, oder Kultur- und Freizeiteinrichtungen und insbesondere mit neuen Arbeitsplätzen und öffentlichen Verkehrswegen einen Stadtteil neuen Typs in Elisabeth-Aue oder im Kurt-Schumacher-Viertel in Tegel konstituieren dürften.

Es sei zudem wichtig, „dass zentrale, einprägsame Orte geschaffen werden“, erklärten Uli Hellweg, Stadtentwickler in Berlin und Hamburg, sowie Harald Bodenschatz, Architektursoziologe an der TU-Berlin. Die neuen Quartiere müssten durch ihre Infrastrukturen und ästhetischen Bereicherungen „eine Ausstrahlung und einen Mehrwert für die Umgebung etwa in Pankow und sogar nach Brandenburg hinein haben“.

In keiner Debatte über Wohnungsbau fehlt die Frage nach sozialer Mischung

Dass solche Entwicklungsprozesse manchmal Jahrzehnte dauern, wissen die Planer. Doch neben dem architektonischen Zeichen in der Mitte, den „Stadtkronen“, wie die Städtebauer das in den 1920er Jahren nannten, forderten die Teilnehmer darüber hinaus, die Themen Grünraum und Verkehrsanbindung in der Gartenstadt des 21. Jahrhunderts neu zu denken.

Denn das Grün in vielen der heutigen Siedlungen „kaschiert das Versprechen auf öffentliche Nutzung“, analysierte etwa Andrea Gebhard, Landschaftsarchitektin aus München. Gärten, Vorgärten, Grünstreifen, private Park- oder Spielflächen, auch Wege und Promenaden hätten vielfach einen nur „semiöffentlichen Charakter“. Ein Thema der neuen „Wohnstadtprojekte“ müsse deshalb die Umdeutung des Freiraums werden, „die privaten Garten- oder Freiflächen werden dort durch öffentliche Freiräume wie Parks, Urban Gardenig, Promenaden, Spiel- oder Sportanlagen ersetzt“. In keiner Debatte über den zukünftigen Wohnungsbau in Berlin fehlt die Frage nach der hohen Bedeutung der „sozialen Mischung“ der Quartiere, wie Peter Zlonicky, Stadtplaner aus München, erinnerte.

Keine Gettos für Reiche

Darum überraschte es, dass auf der Tagung recht kritiklos das Argument, dass die Vielfalt des Bauens und Wohnens nur durch „differenzierte Eigentümerstrukturen“ zu erreichen sei, wie Hellweg meinte, über die Bühne ging. Die rund 200 Millionen Euro, die das Land aktuell für den öffentlichen Bausektor bereitstellt, reichten nicht für das ganze Wohnungsbauprogramm aus, private Investoren müssten mit ins Boot geholt werden, rechnete Hellweg vor.

Es hätte dem Wert der Tagung keinen Abbruch getan, dieses Thema genauer unter die Lupe zu nehmen. Denn genau hier lauert die Gefahr der sozialen Unausgewogenheit für die neuen Gartenstädte. Neue Stadtteile mit großer architektonischer Attraktion, gepflegten Freiräumen und kulturellen Einrichtungen konstituieren heute eher Gettos für Wohlhabende. Immerhin merkte Lütke Daldrup in seinem Schluss­state­ment an, das Land Berlin müsse eine „Strategie für den bezahlbaren Wohnungsbau aufstellen“.

Man wird sehen, in welche Richtung diese Strategie geht.

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