piwik no script img

„Wo soll der Schlamm bleiben?“

ABWASSERRESERVOIRE Der Bergbauexperte Hossein Tudeshki über die Hintergründe der Katastrophe

Hossein H. Tudeshki

ist Professor am Lehrstuhl für Tagebau und internationalen Bergbau der Technischen Universität Clausthal.Die Erzmine im brasilianischen Minas Gerais besuchte er zuletzt vor drei Jahren.

Interview Heike Holdinghausen

taz: Herr Tudeshki, bei dem Dammbruch in Minas Gerais haben sich rund 60 Millionen Kubikmeter Schlamm in die Landschaft ergossen. Woher kommt diese große Menge?

Hossein Tudeshki: Dieser Schlamm entsteht bei der Produktion. Die Eisenerze in dieser Region Brasiliens liegen als sogenannte Itabirite vor. Sie enthalten nur relativ geringe Mengen Eisen, etwa 45 Prozent. Der Rest sind andere Verbindungen wie Silizium, also Quarz, sowie Aluminiumoxid und Karbonate. Diese sogenannten Spurenelemente sind nur in sehr geringen Mengen im Itabirit enthalten. In Gramm pro Tonne ausgedrückt im Schnitt 20 ppm (Millionstel, d. Red.) Vanadium, Kobalt 21 ppm und Barium 13 ppm. Dieser Erztyp enthält entgegen den in den Medien in den letzten Wochen veröffentlichen Aussagen nur verschwindend kleine Mengen an Spurenelementen, die umweltrelevant sind. Der Anteil an Kupfer liegt bei weniger als 10 ppm, der Zink­anteil beträgt zwischen 0,1 und 8 und der Strontiumgehalt schwankt zwischen 0,1 und 21,8 ppm.

Um Eisenoxid zu gewinnen, den Rohstoff für Stahl, müssen sie die Stoffe voneinander trennen. Wie macht man das?

Zunächst wird das Gestein sehr fein gemahlen, und zwar nass, also mit viel Wasser. Um eine Tonne Gestein aufzubereiten, sind etwa 3.000 Liter Wasser nötig. Das Erz wird auf eine Korngröße von weniger als 100 Mikrometer zerkleinert, so groß wie ein kleines Staubkorn. Dabei entsteht eine Suspension. Diese Suspension wird anschließend flotiert. Das heißt, sie wird unter Einsatz von Druckluft und Zugabe von Chemikalien aufgeschäumt. Das Eisenoxid schwimmt nach oben und kann abgeschöpft werden. Der Rest des Schlamms ist Abfall. Als Chemikalien kommen beispielsweise Schwefelverbindungen sowie Kalium- und Natriumsilikate zum Einsatz.

Was passiert mit dem Abfall?

Ein Teil des Wassers wird zurückgewonnen und wiederverwendet, also im Kreislauf geführt. Der Rest des Schlamms landet in großen Staubecken. Dazu werden künstliche Dämme aus Erdreich errichtet, das sind relativ anspruchsvolle Bauwerke.

Wie können Sie dann brechen?

Die Gründe in Brasilien müssen jetzt untersucht werden – möglich ist, dass das falsche Material verwendet wurde, der Untergrund nicht richtig in das Erdreich eingebunden wurde oder die Becken falsch dimensioniert waren. In den letzten Jahren sind dort riesige Mengen produziert worden. Als der Eisenverbrauch der Welt stark anstieg, wurde auch dort die Produktion gesteigert. Vielleicht ist es so zu einer Überlastung der Staudämme gekommen.

Aber der Schlamm kann doch nicht einfach in irgendwelchen Becken bleiben?

Wo soll er denn sonst bleiben? Wenn Sie im Jahr 100 Millionen Tonnen Erz bearbeiten, produzieren Sie 55 Millionen Tonnen Reststoffe – in den 50 Jahren, in denen so eine Mine ergiebig ist, wären das 2,5 Milliarden Tonnen. Diese Menge kann nicht entsorgt werden. Wenn der Schlamm getrocknet und in Pastenform irgendwo verpresst würde, würde Stahl zehnmal mehr kosten als heute. Damit ließen sich beispielsweise keine finanzierbaren Autos bauen.

So entstehen riesige Abwasser-Seengebiete?

Klar, das ist überall auf der Welt so, egal, ob in den USA, in Kanada, Australien oder Brasilien, das wird überall so gemacht. Der Schlamm ist vergleichsweise unproblematisch. Gefährlich giftig sind die Schlämme in der Regel nicht. Bei Kupfer- oder Goldgewinnung sieht das ganz anders aus: Kupfer zum Beispiel enthält Unmengen von Arsen, Cadmium und Quecksilber. Und Gold wird hauptsächlich mit ­Zyanidlauge aus dem Gestein gelöst. Wenn da Dämme brechen, ist die Umweltbelastung erheblich.

Wieso sterben in dem Fluss Rio Doce dann die Fische?

Diese riesigen Mengen Schlamm zerstören jede Flora und Fauna, Pflanzen und Tiere ersticken. Da brauchen Sie gar keine Gifte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen