Das war ja der Hammer

ORTSTERMIN Zack! Als der ehrgeizige Klimavertrag in Gefahr gerät, hämmert ihn der Konferenzpräsident Laurent Fabius einfach durch. Und alle lieben ihn dafür

Der französische Außenminister und COP21-Präsident Laurent Fabius macht Nägel mit Köpfen Foto: François Mori/ap

Aus Paris Bernhard Pötter

Die Angst war groß vor einer Nacht der langen Messer. Als sich die Vertreter der 195 UN-Staaten am Samstagabend um 18 Uhr zum Abschlussplenum versammeln, schwebt über allem die Frage: Was wird aus dem „Paris-Abkommen“? Wird das bislang beste und ambitionierteste Klima-Abkommen von den Bremsern im Plenum zerredet, gebremst, kastriert?

Der Anfang des Treffens gibt den Zweiflern recht. Wie so häufig auf Klimakonferenzen verzögert sich der Beginn des Abschlussplenums: Plötzlich haben hinter den Kulissen alle etwas auszusetzen: Die Türkei will einen Sonderpassus, Nicaragua hat ein Problem. Der Text muss für technische Details in den Übersetzungen noch verändert werden – aber das birgt die Gefahr, dass andere Länder wie Indien und China auch etwas ändern wollen. In der vollbesetzten Halle mit Hunderten von Delegierten ist die Stimmung erwartungsvoll und angespannt. Alle wissen: Der Vertrag steht auf der Kippe.

Aber Laurent Fabius hat einen Plan. Um 19.17 beruft der Präsident der COP21 die Sitzung ein. Großer Applaus, als es losgeht – mit einer technischen Petitesse. Im Text mit seinen 29 Seiten müssen in den Übersetzungen in die sechs UN-Sprachen ein paar Fehler ausgebügelt werden. Fabius sagt so nebenbei, er werde die gemeinsame Aussprache zum Abkommen erst zulassen, wenn der Text verabschiedet sei – eigentlich ein Unding. Auch die technischen Details sind nicht nur technisch: Beim Kapitel Finanzen macht die Änderung zu den Verpflichtungen der Industriestaaten aus einem „shall“ ein „should“ – eine Abschwächung. Die härtere Formulierung war ein Übersetzungsfehler, sagen die Amerikaner.

Um 19.24 hebt Fabius seinen kleinen Holzhammer und erklärt die technischen Details als erledigt. Dann geht alles ganz schnell. Er erklärt, alle seien zufrieden mit dem Abkommen. „Damit ist der Vertrag angenommen“, sagt Fabius und lässt den Hammer auf den Tisch sausen. Als die Delegierten und seine Kollegen auf dem Podium mitbekommen, was ihr Präsident da gerade getan hat, springen alle jubelnd auf, recken die Daumen nach oben, klatschen und schreien. Auf dem Podium fallen sich Fabius, die UNFCCC-Sekretärin Christiana Figueres und alle Beisitzer um den Hals. Die Delegierten lachen, umarmen einander, klatschen sich ab – Minuten des Jubels wie nach einem Fußballsieg.

Fabius hatte hinter den Kulissen alles vorbereitet: In intensiver politischer Arbeit wurden die Delegationen von Staatschefs bearbeitet. Den entscheidenden Anruf beim Problemfall Nicaragua machte Papst Franziskus, heißt es von Delegierten. Er brachte das katholische Land in der Nacht auf Linie.

Trotzdem dehnt Fabius die ungeschriebenen Regeln der Klimakonferenzen sehr weit. Statt die Debatte groß im Plenum zu eröffnen und zu riskieren, dass die Bedenkenträger die Stimmung dominieren, hat er Angriff als Verteidigung gewählt. Eine Hochrisiko-Strategie, die ihm um die Ohren fliegen könnte, wenn die Versammlung ihm nicht folgt.

Aber die Stimmung im Raum ist genau, wie Fabius sie einschätzt: Begeisterung und Jubel für das Abkommen, das auch die Umweltverbände begrüßen. Ein „Weghämmern“ widerborstiger Länder, die sich gegen den Konsens stemmen, hat es früher schon gegeben – aber da kam die Notwehr des COP-Präsidenten nach zermürbenden Nächten der Debatte. Fabius lässt den Hammer fallen, bevor sich die Kritiker zu Wort melden können.

Die Delegierten springen jubelnd auf, lachen, klatschen und schreien

Und die Wortmeldungen geben dem Putsch von Fabius recht: Südafrika, Sprecher der Entwicklungsländer, gratuliert als erster Redner dem COP-Präsidenten. Die Sprecherin zitiert Nelson Mandela mit der Aussage: „Wir können uns auf diesem langen Weg nur kurz ausruhen. Die nächsten Hügel liegen noch vor uns.“ Es folgt Ländergruppe um Ländergruppe, die Fabius’Taktik unterstützen: Australien, die EU, die Schweiz.

Nicaragua, sonst immer kritisch, zeigt sich nur „überrascht“ von der Überrumpelungstaktik des Präsidenten. China und Indien, die größten Stolpersteine, machen gute Miene zum Spiel: Für Indiens Umweltminister Prakash Javadekar ist der „historische Tag von Paris ein neues Kapitel der Hoffnung“ und zeigt „ökologische Gerechtigkeit“. China moniert ebenfalls, wie auch die USA und Australien, das Abkommen sei nicht perfekt – aber das Land werde die nächsten Schritte auf dem historischen Weg machen.

Auch Venezuela, ein gefürchteter Quertreiber, stimmt zu und erklärt, der Vertrag fülle das attackierte Paris wieder „mit Leben und Freude“. Die Verhandlerin Claudia Salerno lobt ihre eigene Arbeit zur Vorbereitung der Präambel, wo Menschenrechte und die „Mutter Erde“ benannt werden. Die Vertreterin des sozialistischen Staats dankt Papst Franziskus für seine Unterstützung. Und schließlich erklärt selbst „Drama-Claudia“ ihre Unterstützung für den Vertrag – und verkündet, man werde nun einen Klimaplan vorlegen, was bislang nicht der Fall war.

Eine historische und überraschende Nacht in Paris nimmt ihren Lauf. Als es spät wird, ermahnt Fabius die Länder, sich zu beeilen: „Wenn jeder auf meiner Liste drei Minuten redet, geht das bis nach Mitternacht“, sagt er gegen 22 Uhr. „Dann kriegen die Historiker ein Problem, ob diese denkwürdige Konferenz am 12. oder am 13. Dezember endete.“