: Hier geht’s sauber ab
TransportwesenMit Honoratioren im Sonderzug nach Paris
Aus Paris Harriet Wolff
Die Stimme von Umweltministerin Barbara Hendricks klingt wie Helge Schneider. Dabei kommt Schneider nicht aus Kleve, sondern aus Mülheim, und er hat auch keine Doktorarbeit über „Die Entwicklung der Margarineindustrie am unteren Niederrhein“ verfasst.
Es gibt also null Gemeinsamkeiten. Doch, eine: Beide Darsteller haben Humor.
Als Hendricks, leger in Jeans und Wollpulli, am Wochenende mit dem Sonderzug der Bahn zum Gipfel unterwegs war – und das samt Bahnvorstand Ronald Pofalla, ehemals Chef des Bundeskanzleramtes –, da blitzte l’esprit auf. Hendricks’ „Thank you for travelling with Deutsche Bahn“, das sie helgelike anfangs über Lautsprecher verbreitete, hatte Entertainerqualitäten, die während der durchaus turbulenten Fahrt noch zum Tragen kommen sollten. Doch der Reihe nach.
Eskortiert von viel Polizei
Gleis 8, Berlin Hauptbahnhof, Samstag früh: Eskortiert von Sturmgewehrpolizei, treten mehr als 200 Menschen aus Politik, Medien, Wirtschaft und einigen wenige NGOs die laut Pofalla „100 Prozent CO2-freie Fahrt“ nach Paris an. In Wagen 27 überprüft die Grünen-Vorsitzende Simone Peter im spiegelnden Smartphone ihr Make-up, Ronald Pofalla legt in Wagen 28 Fluppen auf den Tisch, die New-York-Times-Korrespondentin wird investigativ befragt. „Zu wie viel Prozent machen Sie Energie und Klima?“
Wir studieren derweil das auf 100 Prozent Recyclingpapier gedruckte Bordprogramm. Es ist ein Heimspiel, das die Bahn zum Wohl der Umwelt in einem Zug durchzieht – trotzdem ist es nicht verkehrt, etwa in Wagen 25 Dirk Messner zu lauschen, Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik. Er spricht über die „Dekarbonisierung der globalen Ökonomie“ und ist eingeladen von der Stiftung 2 Grad.
Kritischer klingen Messners Einlassungen als wenig später die brave Frage der Direktorin des Carbon Disclosure Project, Susan Dreyer, an Ronald Pofalla. „Welche zukunftsweisende Initiative der Bahn ist ihr persönlicher Favorit?“ Pofalla, der so roboterhaft wirkt als könnte es zu Polit- wie zu Bahnzeiten nie auch nur den Schimmer eines anderen Leben bei ihm geben, spult zum wiederholten Mal Schönes aus der erfreulichen Klimabilanz seines Arbeitgebers ab. Darauf bei der „Bioweinprobe im Bordbistro“ einen 2014er Auxerrois, der dem sardinenartig gequetschten Vorstandsvorsitzenden von Gegenbauer, Christian Lewandowski, nicht schmeckt.
Halbzeit in Frankfurt Hauptbahnhof, neue Mitfahrer steigen zu, doch: Rien ne va plus. Unserem ICE 13922 wird aus Sicherheitsgründen der Strom abgestellt – auf sein Dach haben sich drei Anarchoaktivisten abgeseilt, auf den Gleisen davor haben sich zwei an die Schienen gekettet. Sie gehören zur Initiative „Free the t(h)ree“, die sich für Menschen einsetzt, die nach einer Waldbesetzung inhaftiert wurden.
Umweltministerin Hendricks nimmt den Vorfall stoisch hin und ruft den Aktivisten vom Wein aus ein Gesprächsangebot zu. Die verweigern, „denn alle, die in Paris verhandeln, sind nicht legitimiert!“. Ein Mädchen, das sich unter Lebensgefahr abgeseilt hat, bleibt trotzig auf dem Zugdach sitzen, auf seiner Hose ist ein großes schwarz-weißes Pony appliziert. Polizei und Feuerwehr rücken an, man streitet hörbar über die weitere Taktik.
Zwei Stunden später, im Zug nur Notlicht, keine Klospülung, steht ein aufgepumptes Sprungtuch vor dem Wagen. Hendricks ist auch draußen, sie nennt das Sprungtuch „Hüpfburg“. Pofalla raucht eine Zigarette und kündigt in etwa an, dass die Bahn „genau“ überprüft, warum man sich einfach so bei ihr abseilen kann. Nach rund zweieinhalb Stunden sind alle Aktivisten, auch die vorne am Gleis, weggetragen. Weiterfahrt! Nebenan tuckert die Äppelwoi-Tram vorbei.
Im Zug nach Paris stößt das einzige mitreisende Kind einen Stoßseufzer aus: „Hoffentlich sind wir bald da!“ Es spricht allen aus dem Herzen – nur dem Erzbischof von Berlin nicht; der hat sich nämlich bereits in Frankfurt abgeseilt. Ein Mitwisser der Aktivisten? Gott behüte! Barbara Hendricks dagegen hält tapfer durch und erlaubt sich noch ein launiges Schlusswort, kurz bevor finalement nach einer Tagesreise die Gipfelstadt erreicht ist: „Ab auf die Insel und Augen zu – das geht heute nicht mehr!“
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