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"Akt der Verzweiflung"

Vortrag Im Paradox wird von dem NSU-Prozess in einer internationalen Perspektive berichtet

Carsten Ilius

44, Rechtsanwalt und Vertreter der Nebenankläge­rin Elif Kubasik im NSU-Prozess.

taz: Herr Ilius, inwiefern war der NSU international vernetzt?

Carsten Ilius: Es gab Verbindungen des NSU-Netzwerkes ins europäische Ausland, nach Dänemark, Schweden, Ungarn. Diese Kontakte liefen vor allem über das europäische Blood-and- Honour-Netzwerk. Leider sind diese von der Generalbundesanwaltschaft nicht weiter untersucht worden, obwohl daraus wichtige Erkenntnisse über den NSU hätten erwachsen können.

Was ist das für ein Netzwerk?

Ein Nazi-Musik-Netzwerk das in den 90ern in England gegründet wurde. Es ist in ganz Europa verbreitet und verkauft unter anderem verbotene Nazi-Musik, und war für die Veranstaltung und Organisation von Konzerten verantwortlich. Darüber wurde zugleich militante Naziideologie transportiert, auf die der NSU wesentlich zurückgriff. In Chemnitz wurde die Unterstützung des NSU durch die starke lokale Struktur des Netzwerks organisiert.

Warum ist die internationale Perspektive wichtig?

Neben internationalen Verbindungen der TerroristInnen spielt auch die Vergleichbarkeit mit anderen Fällen rechten Terrors eine Rolle. Es gab vergleichbare Morde und Angriffe mit rechten Motiven in Griechenland oder der Türkei. Im Norden Ungarns gab es 2006 und 2007 eine rechte Mordserie an Roma. Hier haben die Geheimdienste die Taten gedeckt. Die Morde wurden gefördert durch einen institutionellen Rassismus der Polizei. Solche Fälle sind wichtig, um die NSU-Terrorserie aus dem Schema des Einzelfalls zu holen und um die Notwendigkeit von Konsequenzen für die deutschen Geheimdienste und Polizeibehörden zu ziehen.

Warum ist die Nebenklage im Prozess so wichtig?

Die Familien der Opfer haben ein wirkliches Interesse an der Aufklärung der Hintergründe. Die Generalbundesanwaltschaft geht immer noch von dem Bild der isolierte Terrorzelle aus. Weitere Aufklärung wird nicht betrieben und sogar verhindert. Diese Aufgabe kommt jetzt den NebenklägerInnen zu.

Die Veranstaltung wird mit allgemeiner Kritik an der Justiz angekündigt. Wie stehen Sie dazu?

Meine Kritik richtet sich in erster Linie an die Generalbundesanwaltschaft. Die Ermittlungen mit dem Bild der EinzeltäterInnen werden dem gesamten Komplex nicht gerecht. Die Familienangehörigen haben das Recht auf eine effektive Strafverfolgung, inklusive aller Hintergründe. Dieses Recht wird durch das Vorgehen der Bundesanwaltschaft verletzt.

Wie ist der aktuelle Stand des Verfahrens?

Nach 247 Verhandlungstagen war die Beweisaufnahme so gut wie abgeschlossen. Obwohl Zschäpe und Wohlleben bisher geschwiegen haben, kündigten sie nunmehr Aussagen an. Ich sehen das als Akt der Verzweiflung, angesichts der Beweislage. Ich habe aber in die geplante Aussage keine großen Erwartungen. INTERVIEW: JSO

„Der NSU Prozess – internationale Vernetzung und Perspektiven“: 20 Uhr, im Paradox

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