piwik no script img

Die Einsamkeit der Bea Kanter

THEMENABEND Die ARD zeigt zuerst den Film „Unsichtbare Jahre“ (20.15 Uhr) über eine Westdeutsche im Dienste der Stasi und dann die Doku „Westagenten für die Stasi“

In geheimer Mission: Bea Kanter (Julia Koschitz) Foto: WDR

von Jens Müller

Über 1.000 Spione wurden bis heute nicht enttarnt, sagt die Bildtafel vor dem Abspann. Bea Kanter (Julia Koschitz) ist keine von ihnen. Ganz am Anfang der Geschichte, der Vater (Friedrich von Thun) feiert seinen 70. Geburtstag, stehen da schon die Beamten vor der Tür: „Sie sind vorläufig festgenommen.“ Dann geht es zurück ins Jahr 1974, damit der Film knapp 90 Minuten später wieder bei seinem Anfang anno 1990 enden kann. Wie konnte es so weit kommen?

Diese Bea Kanter wird – anders als der „Kundschafter der Friedens“ in der Fernsehserie „Deutschland 83“ (ab Donnerstag bei RTL) – nicht aus dem Osten in den Westen eingeschleust. Sie ist Westdeutsche. Sie ist aber auch – anders als Martina Gedeck in Hermine Huntgeburths „Romeo“ (2001) – keine „Agentin aus Liebe“, keine jener Minister-Sekretärinnen, die von den Gigolos der HVA zum Landesverrat verführt werden. Bea Kanter glaubt, aus politischer Überzeugung zu handeln.

Um diese ihre Überzeugung den Menschen von heute plausibel zu machen, bedarf es aus Sicht von Hannah Hollinger (Buch) und Johannes Fabrick (Regie) einer forcierten Zeitreise in ein vergangenes Land: die BRD vor 40 Jahren. In der gerade erst erfundenen WG fallen Sätze wie: „Die direkte Aktion ist die kürzeste Verbindung zur individuellen Authentizität.“ Der Film ist keine Satire und will ernst genommen werden. Aber: Filmische Authentizität lässt sich nicht allein durch die Rezitation authentischer Parolen erzeugen. Für mehr reicht aber die Zeit nicht. Also schnell noch die Anregung von einem der Langhaarigen, dessen Theoriegelaber ihm vor allem als Mittel dient, politisch engagierte Mädchen wie Bea Kanter ins Bett zu kriegen: „Ein sozialistischer Hochschulbund ohne kommunistische Anbindung ist doch eh nicht machbar. Die Nähe zum MSB Spartakus ist doch nur logisch. Also wenn schon, dann doch gleich richtig, oder?“

Vergebliche Müh: In der Hochzeit der „Sexwelle“ gelingt der attraktiven Frau das Kunststück, ihr Studium als Jungfrau abzuschließen. Die kommunistische Anbindung gelingt ihr, als zwei adrette junge Männer, keine langhaarigen, sie ansprechen: „Ich glaube, wir hätten ein paar Möglichkeiten für deine politischen Ansätze.“ Die Jungs vom MfS spielen mit relativ offenen Karten. Sie wirken fast harmlos. Das ist ihre Strategie für Bea Kanter. Deren Bedenken wegen der Mauer weiß ein Stasi-Junge (David Rott) rasch auszuräumen: „Die Menschen müssen manchmal zu ihrem Glück auch gezwungen werden.“

Damit ist Bea Kanter rekrutiert. Sie wird politisch unauffällig, sie studiert fertig, sie bewirbt sich beim Auswärtigen Amt. Sie fotografiert Akten, über deren Wichtigkeit man nichts erfährt. Aus ihrem Spionieren entwickelt der Film keinerlei genretypischen Suspense, keine Angst vor dem Schlimmen, das doch passieren muss. Darum geht es nicht. Die kleine Unachtsamkeit, die ihre Enttarnung vorentscheidet, ist Bea Kanter Jahre vorher unterlaufen. Die Enttarnung ist ein rein bürokratischer Vorgang. Es geht dem Film um die Einsamkeit der Bea Kanter. Sie kann mit niemandem sprechen. Ihre mausgraue Ernsthaftigkeit, ihre emotionale Unausgeglichenheit, ihr Dasein als Junggesellin und die in der Natur der Sache liegende Heimlichtuerei wirken ungut zusammen, schaukeln sich auf. Als Porträt und Psychogramm funktioniert der Film besser denn als zeithistorisches Erklärstück.

Bea Kanter ist eine Frau, die sich nicht locker machen kann. Dass die echten Westagenten, wie sie die anschließende Dokumentation zeigt, aus ganz anderem Holz geschnitzt waren, psychisch besonders stabil sein mussten – nun ja.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen