Kiez liebt Disco

Queere Szene Vor zwei Jahren zog das SchwuZ von Kreuzberg nach Neukölln in die Rollbergstraße – ins queere Niemandsland. Auch wenn man sich inzwischen für ein breiteres Publikum geöffnet hat, will man doch vor allem eines bleiben: ein Schutzraum

Paaarty für einen guten Zweck: Szenen einer Soli-Party für Flüchtlinge im SchwuZ Ende Oktober Fotos: Miguel Lopes

von Klaas-Wilhelm Brandenburg

Es ist ein grauer Herbstfreitag in Neukölln. Das große metallene Rolltor in der Rollbergstraße, das später am Abend den Weg ins SchwuZ freigeben wird, ist noch zu. Reges Treiben herrscht dagegen in der hell erleuchteten zweiten Etage eines Gewerbehofs im Schillerkiez, in den Büroräumen des Clubs. Marcel Weber sitzt auf einem ergonomisch geformten Bürostuhl an seinem Schreibtisch. Er ist seit vier Jahren Geschäftsführer des SchwuZ. Mit seinem Rauschebart und den langen, zum Dutt gebundenen braunen Haaren sieht der schlanke 35-Jährige aber eher wie der Gründer eines Start-up aus.

Weber hat den Umzug des SchwuZ von Kreuzberg nach Neukölln, von der Partymeile am Mehringdamm ins Niemandsland des Rollbergkiezes, vor zwei Jahren maßgeblich verantwortet. Ist das SchwuZ jetzt ein anderes als früher? „Auf jeden Fall!“, sagt Weber energisch. „Das ist, glaube ich, jedem, der schon mal da war, auch aufgefallen.“

Kein Laufpublikum mehr

Dabei wurde nach dem Umzug eher auf Kontinuität gesetzt: Alle Partyreihen, die es im alten SchwuZ gab, wurden nach Neukölln mitgenommen. „Es hat sich aber gezeigt, dass die ein oder andere Veranstaltung am neuen Ort nicht so gut funktioniert, weil wir jetzt kein Laufpublikum mehr haben“, so Weber. „Dann muss man sich leider manchmal von geliebten Kindern trennen.“ Von der sonst eigentlich immer gut frequentierten „Search and Destroy“-Reihe etwa. Und mittwochs wird seit etwas mehr als einem halben Jahr gar nicht mehr gefeiert, erzählt Partymacher Weber: zu wenig Publikum.

Nicht nur im Verein, der hinter dem SchwuZ steht, sondern auch beim Publikum des Clubs gab es vor dem Umzug aber vor allem deshalb heiße Diskussionen, weil der Rollbergkiez bis heute als besonders homofreundlicher Bezirk verschrien ist.

Bis heute sei ein Anstieg von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten im Zusammenhang mit dem Umzug des Clubs aber „nicht festzustellen“, erklärt Stefan Petersen von der Berliner Polizei und ergänzt: „Homophobe Übergriffe wurden polizeilich ebenfalls nicht bekannt.“ Ob es daran liegt, dass fast direkt gegenüber vom SchwuZ die Polizeidirektion 5 residiert? Oder daran, dass generell nur wenige solcher Vorfälle auch bei der Polizei angezeigt werden?

Wo es noch am ehesten Stresspotenzial gibt, ist beim Krach. Die Taxifahrer, die die Feierwütigen bis vor den Club kutschierten, verursachten den größten Lärm, erzählt Sylvia-Fee Wadehn, ehrenamtliche Leiterin eines Seniorenwohnheims, das sich direkt gegenüber vom SchwuZ befindet. Zwar haben manche BewohnerInnen auch mit der Lautstärke des Publikums selbst ihre Probleme. Aber schon als der Club vor zwei Jahren hierherzog, sei die Haltung vieler SeniorInnen klar gewesen: „Disko nein, Schwule ja!“

Der Club: Das SchwuZ wurde 1977 aus der Homosexuellen Aktion Westberlins heraus gegründet und war Treffpunkt für verschiedenste queere Gruppen.

Der Umzug: Am 16. November 2013 feierte das SchwuZ seine Neueröffnung in den ehemaligen Räumen der Neuköllner Kindl-Brauerei. Vor dem SchwuZ war der Club „Cube“ in den gleichen Räumen krachend gescheitert: nach nicht einmal einem Jahr ging dieser insolvent.

Die Party: Am Samstag, den 21. November, liest ab 21 Uhr erst Comic-Autor Ralf König; ab 23 Uhr lädt Edith Schröder zur großen Jubiläumsparty auf drei Tanzflächen. Eintritt: 10 Euro. (kwb)

„Mir macht dit Spaß, wenn ich frühmorgens ein bisschen Unterhaltung habe“, meint auch die 72-jährige Liselotte Koslowski, deren Schlafzimmerfenster zum SchwuZ rausgeht. Wach sei sie sowieso jeden Morgen um fünf – und dann freue sie sich, von Arm in Arm nach Hause schlendernden Liebespaaren bis zu großen Eifersuchtsdramen alles sehen zu können. „So wie wir früher, wenn wir ehrlich sind!“ Gisela Deutschmann, 84 Jahre alt, stört der Lärm allerdings schon: „Man hat sich damit abgefunden.“ Sie wünscht sich, dass die Taxifahrer die Türen nicht mehr so schmeißen. „Sonst gibt’s aber keine Probleme.“

Auch Sylvia-Fee Wadehn will beim Taxi-Problem die Verwaltung in die Pflicht nehmen: „Eine Sofortmaßnahme wäre ein nächtliches Durchfahrtsverbot für Taxen“, dafür habe man Ende August sogar schon protestiert – gemeinsam mit den SchwuZ-Leuten übrigens.

Polizeisprecher Petersen verliert ebenfalls kein schlechtes Wort über den Tanzschuppen: „Zwischen den Betreibern des Clubs und dem zuständigen Abschnitt 55 besteht schon von Beginn an eine gute kooperative Zusammenarbeit.“

Bob Geldof schaut vorbei

Diese positiven Rückmeldungen hat sich das SchwuZ hart erarbeitet – von Anfang an setzte man auf guten Kontakt mit der Nachbarschaft. Nicht zufällig ist das Motto der Party zum zweijährigen Jubiläum „Your Kiezdisko loves you“. Bleibt die Frage, ob im SchwuZ – bei Eintrittspreisen von bis zu 10 Euro – tatsächlich das prekär lebende Kiezpublikum zum Tanzen vorbeischaut oder der Spruch nur Koketterie ist.

Unterdessen hat sich das SchwuZ in Neukölln für immer mehr Menschen zu einer festen Adresse entwickelt – zum Beispiel für Konzerte. Die arte-Musikshow „Berlin live“ wird regelmäßig dort aufgezeichnet, bei der bekannte Stars wie Bob Geldof genauso auftreten wie der eher unbekannte Singer-Songwriter Jonathan Jeremiah. „Wir haben uns damit für ein nicht unbedingt homosexuelles Publikum geöffnet“, meint Weber, „was ja zu begrüßen ist, sofern die Gäste eine gewisse Offenheit mitbringen.“ Trotzdem sei das SchwuZ noch immer ein Schutzraum für alle, die sich nicht der heterosexuellen weißen Mehrheit der Gesellschaft zurechnen.

„Ich hab frühmorgens Spaß“

Anwohnerin Lieselotte Koslowski, deren Schlafzimmer zum SchwuZ rausgeht

Die Gesellschaft hinterfragen, für Minderheiten eintreten – dieser politische Anspruch schlägt sich immer wieder im Programm des Clubs nieder. Ende Oktober gab es zum Beispiel eine Party für Geflüchtete, der komplette Eintritt ging an drei flüchtlings- und queerpolitisch engagierte Organisationen. Zwei politische Partyreihen sind fester Programmteil, immer wieder wird am Einlass für wohltätige Zwecke gesammelt, und regelmäßig stehen ganze Monate unter einem großen Thema – so ging es schon mal vier Wochen lang nur um queere Weiblichkeiten.

Auch in der Bezirkspolitik versucht das SchwuZ mitzumischen – wohl wissend, dass der Club in Neukölln mittlerweile auch ein Arbeitgeber ist. „Wir haben gerade ziemlich genau 100 Mitarbeiter, Tendenz steigend“, sagt Marcel Weber nicht ohne Stolz. „Wir wollen für queere Themen sensibilisieren und Organisationen, die sich in Neukölln ansiedeln wollen, ganz praktische Hilfestellung dabei geben – damit sie es etwas leichter haben als wir damals.“

Noch sind in der Nähe des SchwuZ kaum andere Szeneläden zu finden. In Kreuzberg hatte man das Melitta Sundström im selben Haus und weitere queere Kneipen in der Nähe. Im Rollbergkiez: nichts. Die nächsten homofreundlichen Bars sind mindestens zehn Gehminuten entfernt – und waren schon lange vor der Eröffnung des SchwuZ da. Suzie Fu, eine queer geführte Kneipe in der Flughafenstraße, die im gleichen Jahr wie das SchwuZ eröffnete, hat schon wieder dichtgemacht. Trotzdem sagt Marcel Weber: „Ich bin nach wie vor zuversichtlich.“ Und gerade ist seine Zuversicht noch einmal gewachsen.

Denn Anfang September wurden das Gebäude des SchwuZ und umliegende Bauten an die Schweizer Stiftung Edith Maryon verkauft – eine Stiftung, die sich die „Förderung sozialer Wohn- und Arbeitsstätten“ auf die Fahnen geschrieben hat. Das Ex-Rotaprint im Wedding gehört ihr schon länger, das ehemalige Produktionsgelände des Druckmaschinenherstellers Rotaprint, auf dem seit 2007 Gewerbebetriebe, Kulturschaffende und soziale Einrichtungen angesiedelt sind. Dieser Mix ist gewollt und funktioniert, weil alle verhältnismäßig günstige Mieten zahlen müssen.

Immer noch queer, immer noch Szene: PartygängerIn im SchwuZ

Den Kiez verändern

Jetzt gehört der Stiftung also auch das Gelände am Rollberg. „Damit ist die Hoffnung für uns noch mal gewachsen, dass sich in den nächsten Jahren auch in unmittelbarer Nähe des SchwuZ was entwickelt.“ Außerdem will Weber den Mietvertrag, bisher nur fünf Jahre gültig, auf zehn Jahre verlängern, um dann bis 2023 in den Räumen in der Rollbergstraße zu bleiben – der nächste Umzug wird also so schnell nicht passieren.

Stattdessen wird schon fleißig für die Zukunft geplant: Im nächsten Jahr soll ein „sehr großes Musikfestival“ im SchwuZ stattfinden – welches, kann Weber wegen laufender Verhandlungen noch nicht verraten. Außerdem will man mit dem benachbarten „Vollgutlager“, einer großen Veranstaltungshalle in der ehemaligen Flaschenabfüllfabrik der Kindl-Brauerei, zusammenarbeiten und eine Messe ins Haus holen.

Am morgigen Samstag gibt es aber erst mal – wie gewohnt – Party. Denn das können Weber und seine MitstreiterInnen immer noch am besten: eine große Party schmeißen. Dass dabei alle mitfeiern dürfen, ob queer oder nicht, ist eh klar. Und vielleicht schaut ja auch der Kiez vorbei.