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"Die Dealer tun mir leid"

KINDHEIT Aufgewachsen am Görli, kennt unser Schülerpraktikant Jak Rollhäuser, 14, den Park in- und auswendig. Als Kind kam er oft zum Spielen. Den Drogenhandel hatte er lange Zeit gar nicht bemerkt

Der Flutlichtstrahler leuchtete direkt in unsere Wohnung

von Jak Rollhäuser

Kürzlich war ich mit einer Jugendgruppe in Österreich. Auf dem Weg dorthin saß ich im Bus neben meinem Freund, hinter uns zwei Wilmersdorfer um die 15 Jahre alt. Ein Junge aus Potsdam setzte sich in die Bankreihe neben uns. Er wollte wissen, wo wer herkommt. Also erzählte ich, dass ich in Kreuzberg in der Görlitzer Straße wohne. Erst war kurz Stille. Alle um mich herum schwiegen. Dann wollten sie es genau wissen: Beim Görlitzer Park? Kiffst du? Wurdest du schon mal überfallen?

Es sind Fragen wie diese, die immer auftauchen, wenn ich außerhalb von Kreuzberg von meinem Zuhause erzähle. Der Görlitzer Park gilt anderswo als Drogenumschlagplatz schlechthin. Auf jeden Fall halten die meisten Menschen die Gegend nicht für einen guten Ort, um dort aufzuwachsen.

Dabei spielte es in meinem Leben noch nie eine besondere Rolle, dass ich am Görli wohne. Als Kind war ich mit meiner Kita dort oft auf dem Spielplatz. Der braune Esel vom Kinderbauernhof hat mir mal den Fingernagel ausgebissen. Doch obwohl ich den Park genutzt habe, war mir der Drogenhandel bis etwa zu meinem neunten Lebensjahr gar nicht bewusst.

Ich weiß nicht, ob mir das als kleinem Kind einfach egal war oder ob sich die Situation im Park massiv verändert hat. Inzwischen jedenfalls stört mich die Dealerei schon. Es nervt mich, dass ich nicht durch den Park schlendern kann, ohne angesprochen zu werden. Inzwischen meide ich den Görli, soweit es geht.

Irgendwie Geld verdienen

Mein Alltag spielt sich größtenteils sowieso auf der nördlichen Seite des Parks ab. Zur Schule fahre ich meistens mit der U-Bahn, der Bahnhof liegt in der anderen Richtung. Außer zu Karstadt, in das Büro meines Vaters oder zum leckeren Falafel-Imbiss führt mich nichts in oder durch den Park.Wenn ich doch mal vorbeikomme, tun mir die Dealer leid, sehr leid sogar. Die meisten sind Flüchtlinge ohne festen Wohnsitz und vor allem ohne Arbeitserlaubnis. Die machen das nicht zum Spaß. Irgendwie müssen sie ja Geld verdienen. Ich sehe aber auch ein, dass etwas getan werden muss. Die anderen Anwohner nervt es ja auch, dass die Dealer sie immer ansprechen.

Allerdings hat alles, was bisher von Seiten der Polizei unternommen wurde, die Situation für mich eher verschlimmert. Innensenator Frank Henkel von der CDU hat den Park ja zur Null-Toleranz-Zone erklärt. Ende letzten Jahres hat die Polizei deshalb für zirka eine Woche täglich einen Flutlichtstrahler aufgebaut. Der leuchtete direkt in unsere Wohnung. Das Licht traf so auf den Fernseher, dass Tatort gucken ohne Verdunklung nicht möglich war. Auch nachts mussten wir die Rollos herunter lassen. Abends brauchte ich keine Leselampe mehr. Das war hilfreich, aber so weit ich weiß, nicht das Ziel von Innensenator Frank Henkel.

Auch das Grünzeug im Park wurde damals radikal zurück geschnitten. Die Dealer können seit der Rodung zwar keine Drogen mehr in den Büschen verstecken, was das Geschäft für einige vielleicht etwas verkompliziert. Aber attraktiver sieht der Görli jetzt auch nicht aus. Er wirkt noch ein wenig mehr zerrupfter.

Die Polizei hat meine Eltern gefragt, ob sie unseren Balkon als Aussichtspunkt nutzen kann. Meine Eltern haben das abgelehnt. Ich hätte es auch nicht gewollt. Selbst wenn sie einen Dealer beim Verkauf erwischen und anschließend festnehmen, steht er am nächsten Tag wieder da. So habe ich mich ziemlich geärgert, als ich auf dem Dach des Nachbargebäudes einen Mann mit Fernrohr und Walkie-Talkie sah.

Die Einsätze der Polizei sind aus meiner Sicht nur dafür da, dass die Leute denken, Herr Henkel tue endlich was. Die Dealer verschwinden aber immer nur für eine Viertelstunde. Danach geht alles weiter wie gewohnt. Das heißt: Seit die Polizei stärker vor Ort ist, stehen viele Drogenverkäufer tatsächlich nicht mehr im Park. Dafür sind sie auf alle Seitenstraßen verteilt. Vor der Null-Toleranz-Regelung habe ich einfach einen Bogen um den Görli gemacht. Jetzt ist es fast nicht mehr möglich, der Dealerei auszuweichen.

Trotz all dem hat mein Alltag mit der Diskussion um den Park kaum etwas zu tun. Der Görli hat auch mein Verhältnis zu Drogen nicht geprägt, wie Leute von auswärts es schnell vermuten. Ich würde im Park nichts kaufen. Ich kenne auch niemanden, der sein Gras dort besorgt. Drogen sind mir nicht so wichtig. Und ich glaube, das wäre nicht anders, wenn ich aus Wilmersdorf oder Potsdam käme.

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