: Pragmatische Erste Hilfe
Haste Worte Die Berliner Sprachschulen stocken ihr Angebot auf: Die Bundesagentur für Arbeit finanziert seit November Anfängerkurse für Flüchtlinge mit „guter Bleibeperspektive“. Finanziell möglich wurde das erst durch eine Änderung des Asylrechts
VON MARTIN KALUZA
Zu den vielen Aufgaben, die freiwillige Helfer in den letzten Wochen und Monaten übernommen haben, zählt, dass sie Flüchtlingen Deutschunterricht geben. Inzwischen laufen nun auch vom Staat angebotene Kurse an. „Anfang der Woche haben wir den ersten Kurs für Flüchtlinge an unserer Schule begonnen“, sagt Henning Lauterbach, Leiter der Hartnackschule, einer der großen privaten Sprachschulen in Berlin. „Bis Ende des Jahres werden wir 150 Schülerinnen und Schüler in diesen Kursen unterrichten“, sagt er, „und zwar Flüchtlinge und Asylbewerber mit jeweils guter ‚Bleibeperspektive‘.“ Lauterbach mag das Wortungetüm selbst nicht. Praktisch gesehen bedeutet das für ihn als Schulleiter: Die Teilnehmer kommen vor allem aus Syrien, dem Irak, dem Iran und auch aus Eritrea. Die Hartnackschule, gelegen am Nollendorfplatz, bietet seit Jahrzehnten Deutschkurse an. Seit 2005 Jahren finden hier auch Integrationskurse statt – also die Kurse, die Zugewanderte je nach Status belegen können oder müssen, wenn sie in Deutschland leben wollen. Anders als die Teilnehmer der Integrationskurse kommen viele Flüchtlinge komplett ohne Vorkenntnisse an. „Das bedeutet, dass sie eigentlich nur unterrichtet werden können, wenn jemand zumindest ein bisschen Arabisch oder Farsi übersetzen kann“, sagt Lauterbach. „Die Teilnehmer benötigen eigentlich eine sozialpädagogische Begleitung.“ Und der Bedarf ist nicht eben klein: 50.000 Flüchtlinge beherbergte Berlin nach Angaben des Sozialsenators Mario Czaja Anfang des Monats, täglich kämen weitere 600 bis 700 Flüchtlinge neu in Berlin an.
Die „Expolingua“ gilt mit 150 Ausstellern aus über 25 Ländern als wichtigste Sprachenmesse in Deutschland. Das Angebot reicht von Sprachkursen über Sprachreisen, Onlinekurse und Austauschprogramme bis hin zu Sprach-Apps, und die Messe erreicht jedes Jahr über 10.000 interessierte Besucher. Angesichts der aktuellen Entwicklung wird auch über die „Integration durch Sprache – Flüchtlinge und Deutscherwerb“ debattiert werden (20. 11., 15.15 Uhr).
Expolingua, 20. u. 21. 11., jeweils 10 bis 18 Uhr, Russisches Haus der Wissenschaft und Kultur, Friedrichstr. 176–179, www.expolingua.com
Die neuen Sprachkurse für Flüchtlinge werden, anders als die Integrationskurse, nicht vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bezahlt, sondern von der Bundesagentur für Arbeit. Sie sind Teil eines breit angelegten Programms, in dem bundesweit bis zu 100.000 Menschen Deutsch lernen sollen. Die Agentur rechnet je nach tatsächlicher Teilnehmerzahl mit Kosten zwischen 54 Millionen und 121 Millionen Euro. Noch vor einem Monat hätte sie solche Basissprachkurse gar nicht finanzieren dürfen. Das wurde erst durch die jüngste Änderung des Asylrechts möglich. Davor konnte die Bundesagentur nur berufliche Sprachkurse bezahlen. Zusätzlich kündigte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge an, im Verlauf des Novembers auch die Integrationskurse für Asylbewerber und Geduldete mit jeweils guter Bleibeperspektive zu öffnen.
Dass die Arbeitsämter nun so viele Sprachkurse finanzieren, hat noch eine pragmatische Seite. Auf diese Weise kommen sie über die Sprachschulen überhaupt einmal an die Kontaktdaten der Teilnehmer. Die sind nämlich oft gar nicht so einfach zu erreichen, weil sie zumindest in der ersten Zeit notgedrungen häufig den Aufenthaltsort wechseln. Die Agenturen hoffen, dass zumindest die E-Mail-Adressen, die sie über die Sprachkurse bekommen, länger gültig sind.
Ende August haben die Berliner Volkshochschulen auf die steigende Zahl von Flüchtlingen reagiert und ihr Angebot an Deutschkursen erweitert. Die Volkshochschule Berlin-Mitte etwa erhöhte das Kontingent für das Herbsttrimester von 100 auf 180 Plätze. Da das bei Weitem nicht ausreicht, werden nun auch Sprachkurse von der Bundesagentur für Arbeit finanziert. Doch auch das wird den Bedarf nicht decken, und viele Flüchtlinge bleiben weiter auf Angebote von kleinen Initiativen angewiesen, die sich etwa über den Flüchtlingsrat Berlin finden lassen: wwwfluechtlingsrat-berlin.de/links.php
„Für uns sind die neuen Kurse und die Zusammenarbeit mit der Bundesagentur ein völlig überraschendes Projekt“, sagt Lauterbach. Die Agentur sprach ihn und andere Sprachschulen direkt an. Da schnelle Lösungen gesucht werden, herrscht in der Umsetzung Pragmatismus. Während das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Sprachschulen nur bezahlt, wenn diese die Teilnahme und damit den Lernerfolg der Teilnehmer nachweisen, läuft es für die Schulen bei den Flüchtlingskursen unbürokratischer: Sie bekommen ihr Geld für Teilnehmer, die am ersten Tag anwesend sind und sich registrieren. Und während das BAMF darauf besteht, dass die Lehrer der Integrationskurse eine besondere Zusatzqualifikation haben, fordert die Bundesagentur von den Lehrern in Flüchtlingskursen keine Qualifikationsnachweise. „Die eine Behörde fordert Qualifikationen, die andere vertraut darauf, dass die Sprachschulen qualifizierte Lehrer einsetzen“, erklärt Lauterbach.
Mit seiner Infrastruktur etablierter Sprachschulen hat Berlin gute Voraussetzungen, schnell die geplanten Kurse anbieten zu können. Aus der Branche ist zu hören, dass bereits eine gewisse Goldgräberstimmung herrsche. Schon zeichnet sich ab, dass die Sprachlehrer knapp werden. Auch bei den Ausbildungsplätzen für Lehrer für Deutsch als Fremdsprache (DaF) wird es eng. Noch zu Beginn des Jahres hatte einer der wenigen Anbieter seine DaF-Ausbildungskurse eingestellt. Das dürfte sich bald ändern, weil DaF-Ausbildungen bis auf Weiteres begehrt sein werden.
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