Fragwürdige Werbekampagne: Sozialsenatorin wirbt Lehrer ab
Die Bremer Sozialsenatorin fragt LehrerInnen, ob sie in der Flüchtlingsverwaltung arbeiten wollen – zum Unmut der Bildungssenatorin.
BREMEN taz | Mehr als 20.000 MitarbeiterInnen des Öffentlichen Dienstes in Bremen haben in den vergangenen Wochen einen Brief von Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne) bekommen. „Nachrichten über Menschen, die vor Krieg und Bedrohung flüchten, erreichen uns jeden Tag“, heißt es da, und: Die Flüchtlingsverwaltung der Senatorin suche daher „dringend Unterstützung“, unter anderem von LehrerInnen – zum großen Unmut der Bildungssenatorin.
300 Stellen sind in Stahmanns Schreiben ausgeschrieben. Auf einem zweiten Blatt sind Qualifikationsvoraussetzungen und Einsatzbereiche aufgelistet, auf einem dritten Formblatt können Interessierte ihre „Interessenbekundung“ spezifizieren.
Auch die LehrerInnen haben diesen Brief bekommen, persönlich adressiert und per „Dienstpost“ verteilt. Die zuständige Bildungssenatorin Claudia Bogedan (SPD) hofft, dass dieser Brief bei ihren Lehrkräften sofort in den Papierkorb fliegt. „Wir nehmen das mit einem Stirnrunzeln zur Kenntnis“, erklärt ihre Sprecherin zu dem Brief.
Ohne Referendariat
Dass die Bildungsbehörde Probleme hat, freie Stellen qualifiziert zu besetzen, ist bekannt. „Wir kämpfen um jeden Lehrer, den wir kriegen können“, sagt die Senatorin. Auch für die „Vorkurse“, in denen angehenden Flüchtlings-Schulkindern das Nötigste in der deutschen Sprache beigebracht werden soll, sind jüngst händeringend Lehrkräfte gesucht worden. Teilweise werden – wie für Urlaubsvertretung – LehrerInnen genommen, die noch nicht ihr Referendariat gemacht haben.
Der Versuch, ausgebildete LehrerInnen zum Beispiel für die „Sachbearbeitung Amtsvormundschaft“ abzuwerben, ist nicht nur angesichts der teuren LehrerInnenausbildung grotesk – die Lehrkräfte bringen die Qualifikationsvoraussetzungen für die Verwaltung nicht mit. Die Briefe „an alle“ Mitarbeiter im Öffentlichen Dienst hat der Senat abgesegnet, sagt der Sprecher der Sozialsenatorin.
Es sei kein „unsittliches Angebot“, sondern einfach als freundlicher Hinweis gemeint. Bevor jemand das Angebot annehmen könne, müsse die „Dienststelle“ der abgebenden Behörde zustimmen, dass die betreffende Person nicht unentbehrlich sei. Auch der Personalrat müsse zustimmen. So müsse sich niemand Sorgen machen. Wie groß der Rücklauf ist und wie viele Lehrer eventuell sich bewerben, sei nicht absehbar, das Verfahren kompliziert.
Polizeigewerkschaft ist sauer
Das Schreiben ist datiert vom ersten Oktober, aber bei den meisten ist es erst jetzt angekommen. Zunächst hatte die Finanzsenatorin die Privatadressen der Beworbenen auf die Briefe schreiben lassen, dagegen protestierte der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Jochen Kopelke. Er vermutet einen Verstoß gegen die Datenschutzregelungen. Die Briefe wurden in der JVA eingetütet.
Das Finanzressort, das über die „Performa Nord“ für die Versendung zuständig ist, ruderte zurück – die Briefe wurden neu gedruckt mit Namen und Dienststelle im Adressfeld. Der Polizeigewerkschafter ist ebenfalls sauer, dass ihm ausgebildete Polizisten abgeworben werden sollen. „Unglaublich“ sei das angesichts der Personalnot.
Während die Bildungssenatorin guten Mutes ist, dass kein Lehrer reagiert – die ausgeschriebenen Stellen sind bis auf Ausnahmen mit A10 vergütet und Lehrer verdienen mehr – gibt es in der Polizei viele, die nur A 10 verdienen und für die ein Wechsel an den Schreibtisch des Amtes für Soziale Dienste nicht mit Gehaltseinbußen verbunden wäre. Auch das wäre, angesichts der teuren PolizistInnenausbildung, eigentlich auch aus Sicht der Finanzsenatorin nicht zu wünschen.
Ausschreibungen werden nicht wahrgenommen
Hätte man die Briefe nicht etwas gezielter versenden können, insbesondere nicht an höhere Gehaltsgruppen und auch nicht an die Lehrkräfte und die PolizistInnen? Dann hätten sich andere beschwert, dass sie nicht direkt angesprochen wurden, meint die Sprecherin der Finanzbehörde.
Interne Ausschreibungen oder das öffentliche „Stellenportal der Freien Hansestadt Bremen“, in dem diese Stellen auch angeboten werden, wird von den Bediensteten offenbar nach Einschätzung des Senats nicht so wahrgenommen, dass die Kosten für die persönlichen Briefe und die Papierkorb-Entsorgung hätten gespart werden können.
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