VERZWEIFLUNG Nach einer desaströsen Niederlage denkt die Tennisspielerin Andrea Petkovićlaut über ihr Karriereende nach. Klar ist jedenfalls, dass sie sich neu aufstellen muss
: Die Grüblerin und ihre ewige Suche

Müde vom vielen Kämpfen: Andrea Petković jüngst beim Turnier in China Foto: ap

Aus Darmstadt Jörg Allmeroth

Auf die Frage, ob sie sich nicht zu kompliziert finde für das Leben in der Tretmühle der Tennistour, hat Andrea Petkovićmal in ihrer charmanten, entwaffnenden Offenheit gesagt: „Klar, ich wäre oft gerne jemand, der nur an Sätze, Spiele und Siege denkt. Der sich nicht so viele Gedanken um alle möglichen Dinge macht.“ Im nächsten Moment allerdings setzte Petkovićdann schon wieder dieses unnachahmliche Grinsen auf und verkündete kompromisslos: „Ganz ehrlich, ich bin unterm Strich ganz zufrieden mit der Ollen.“ Und mit der Ollen war sie selbst, Andrea Petković, gemeint. Die Launische. Die Ka­pri­ziö­se. Die Denkerin. Aber auch die Kämpferin, die nie, nie, niemals aufgibt.

Wieso man sich an diese kleine Episode erinnert in diesen Herbsttagen des Jahres 2015? Nun, Andrea Petkovićhat in einem ganz schwachen Moment der massiven Verletzlichkeit, bei einem WTA-Wettbewerb im chinesischen Zuhai, nach einer 0:6, 0:6-Abfuhr gegen die Spanierin Suarez-Navarro fast alles infrage gestellt, was sie seit ungefähr anderthalb Jahrzehnten macht: den täglichen Kampf um die Wettbewerbsfähigkeit im Profitennis, die Duelle da draußen in den größten Arenen der Welt, das Herumreisen durch Zeitzonen und zwischen den Kontinenten. Es hat schon oft solche Petković-Momente gegeben in den letzten Monaten und Jahren, ganz einfach, weil diese Tenniskarriere alles andere als geradlinig verlaufen ist, sondern gepflastert war mit bitteren, gruseligen Rückschlägen, immer und immer wieder. Keine Spitzenspielerin im modernen Tennis hat mit so vielen empfindlichen Verletzungssorgen leben und ihnen andauernd trotzen müssen, und keine hat auch so oft angezweifelt, ob sie weitermachen soll. Ganz früh hat das eigentlich schon begonnen bei Petković, nämlich in der Zeit nach dem Abitur, als sie sich ein seltsames Ultimatum stellte: Innerhalb von etwa anderthalb Jahren wollte sie bis unter die Top 50 der Weltrangliste kommen. Aber es ging dann, selbstverständlich, hinein ins Abenteuer Profitennis.

Was uns das über den aktuellen Weltschmerz der Darmstädter Weltklassespielerin sagt? Dieser Frust, diese depressive Anwandlung ist offenbar noch schlimmer, geht tiefer als bei früheren Gelegenheiten. Aber wenn nicht alles täuscht – und Petkovićhat selbst in diesem denkwürdigen Interview darauf hingewiesen –, wird auch dieser Kummer vergehen. Ein Ärger, der wahrscheinlich schon verrauchte, als Petkovićdas überflüssigste Turnier des Jahres verließ, diese sogenannte Elite Trophy der WTA, und sich ins Flugzeug Richtung Heimat setzen durfte. Sichtbar allerdings ist am Beispiel Petkovićgeworden, wie sich der eigene und äußere Erwartungsdruck im Frauentennis in den letzten Jahren noch einmal drastisch verändert hat, nicht zuletzt weil jedes einzelne Spiel so viel physischer geworden ist und mehr Intensität benötigt.

Am Ende der Saison schlagen sich alle Spitzenkräfte mit einer körperlichen und seelischen Abgekämpftheit herum, quälen sich regelrecht über die Ziellinie. Und Petković, die Grübelnde, trifft dieser Verschleißzirkus noch mehr als die anderen. Sie kann Zweifel, Sorgen, Ängste, Mattheit, Versagensprobleme im Zweifelsfall nicht so wegdrücken wie schlichtere Gemüter in ihrer Berufswelt. Sie müsse überlegen, ob es weitergehen solle mit ihrer Kar­rie­re, sagte Petkovićin dem traurigen, tränenreichen Vieraugengespräch mit der Journalistin Courtney Nguyen – doch man kann sich sicher sein, dass dieses Überlegen zum Weitermachen führt. Vor allem, wenn der Wettkampfstress nun auch mal abgefallen ist von der eigentlichen Leaderin des deutschen Frauentennis.

Keine Tennisspielerin hat auch so oftangezweifelt, ob sie weitermachen soll

Es gibt Spieler im Tennis, die Schwierigkeiten haben, weil sie über so viele Talente, Op­tio­nen und Schlagmöglichkeiten verfügen, übrigens etwas, was den jungen Roger Federer beinahe hätte scheitern lassen in seiner Karriere. Und dann gibt es noch Spieler und Spielerinnen, für die es schwer ist, Tennis als ihr ganzes Himmelreich zu begreifen. Zu denen zählt auch Petković, der natürlich in ganz vielen Welten viele Türen offen stehen würden und die immer gern mit dem Einstieg in andere Berufsuniversen kokettiert hat. Im Interview sagte Petković, sie habe das Gefühl gehabt, das letzte Jahr sei irgendwie verschenkt gewesen im Tennis, es hätte vielleicht viel schönere Alternativen gegeben.

Auch das muss man im Kontext sehen, denn die nun beendete Saison war von neuem Verletzungspech flankiert, sie legte aber auch schonungslos offen, dass Petkovićnach all den Jahren noch immer nicht das geeignet professionelle Umfeld gefunden hat, um ihr Wirken und ihre Erfolgsfähigkeit zu maximieren. Der Hass, den Petkovićin dem Coming-out in China beschreibt, den Hass aufs Tennis, ist in Wahrheit ein versteckter Selbsthass – auf die hartnäckige Schwierigkeit, sich als Kleinfirma im Tourbusiness zu organisieren und zu strukturieren. Vor allem fehlt die harte, ordnende Hand eines erfahrenen Coachs und auch die Bereitschaft, Tennis als Familiensache konsequent hinter sich zu lassen.

Petkovićwill nun zum Ausspannen nach New York fliegen und sich Gedanken machen, wie es weitergehen soll. Vielleicht geht es gar nicht so sehr um die Frage des Weitermachens, sondern um das Wie der künftigen Karriere. Existenziell schwer zu beantworten sind diese Fragen allerdings nicht.