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Managementforscher über Firmenkultur„VW ist nicht Katastrophe genug“

Mitarbeiter, die Missstände in ihrem Haus kritisieren, werden selten geschätzt. Johannes Ludwig fordert deshalb Gesetze, die Whistleblower begünstigen.

Wer ist er? Was weiß er? Und was bewirkt das? Foto: zweisam/ photocase
Interview von Svenja Bergt

taz: Herr Ludwig, wo hätten Sie sich zuletzt einen Whistleblower gewünscht?

Johannes Ludwig: In sehr vielen Bereichen. Aber ganz aktuell in der VW-Geschichte.

Was hätte ein Whistleblower denn da erreichen können?

Soweit wir wissen, gab es ja sogar einen oder mehrere Whistle­blower. Also Mitarbeiter, die intern Alarm geschlagen haben und das Problem manipulierter Abgaswerte zur Sprache bringen wollten. Aber – typisch für die Firmenkultur von VW – das ist wohl ziemlich früh abgewürgt worden.

privat
Im Interview: Johannes Ludwig

66, ist im Vorstand des Whistle­­blower-Netzwerks (whistle­­blower-net.de). Bis Herbst 2014 Professor an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, zu­ständig für Management und Medien­ökonomie.

Warum typisch?

Es ist ja nicht der erste Fall. Es gab schon früher einen Whistle­blower, der auf Fälle von Korruption und Bordellreisen aufmerksam machte. Der hat bei einer Ebene nach der anderen versucht, Gehör zu finden. Erfolglos. Dann hat er sich ein paar Aktien von VW gekauft, ist auf die Hauptversammlung gegangen und hat dort gesprochen. Am nächsten Tag war er seinen Job los. Das ist die Kultur bei VW.

Wie entsteht so eine Art von Unternehmenskultur?

Zum Beispiel durch aggressive Ziele. Winterkorn wollte VW zum größten Autobauer der Welt machen und dieses Ziel wurde mit viel Druck und ohne Rücksicht auf Verluste durchgedrückt. Und die Kultur geht bei VW noch weiter zurück. Mitte der 90er gab es die Lopéz-Affäre, wo ein neu eingekaufter Vorstand geheime Unterlagen mit zur Konkurrenz genommen hat. Man kann fast sagen, alle fünf bis zehn Jahre gibt es bei VW ein größeres Problem. Und bislang haben sie es nie geschafft oder gewollt, die Kultur zu verändern.

Ein Kulturwechsel kann nur von Leuten ausgehen, die nicht Teil des Problems waren

Ist VW eine Ausnahme?

Leider nicht. Die negative Kultur des Drucks und der Kritik­un­fähigkeit ist hierzulande der Regelfall. Viele Unternehmen stellen ganz klar: Sie wollen keine Whistleblower. Und damit haben Leute von unten, die etwas kritisieren wollen, keine Chance.

Sie sprechen von oben und unten. Welche Rolle spielen Hierarchien?

Eine hierarchische Kultur begünstigt in der Regel das Schweigen. Auch, weil die Mentalität vorherrscht: Ich habe meinen Job, ich werde bezahlt, alles andere interessiert mich nicht. Die Voraussetzung für Whistleblowing ist aber, dass sich jemand verantwortlich fühlt. Mitarbeiter müssen nicht nur das Problem als Problem wahrnehmen, sondern auch das Gefühl haben, dass es wichtig ist, etwas zu ändern. Und nicht zu glauben, sie wären nicht zuständig. Dabei müssten gerade die Mitarbeiter ein Interesse daran haben, dass alles sauber läuft. Sonst wird es, das wird sich bei VW bald zeigen, einiges an Arbeitsplätzen kosten.

Vielleicht nehmen die Mitarbeiter die Probleme gar nicht wahr.

Es gibt hier weder Schutzgesetze noch Kompensationen für das, was Whistleblower aufs Spiel setzen

Doch. Die meisten Menschen haben ein sehr gesundes Unrechtsbewusstsein. Aber sie trauen sich nicht, etwas zu sagen oder wissen nicht, an wen sie sich wenden sollen. Dann gibt es die Minderheit derer, die völlig blind und taub durchs Leben gehen und von Problemen gar nichts mitkriegen. Und die allerkleinste Gruppe: Die Leute, die etwas sehen und dann auch was sagen.

Warum sind das so wenige?

In Deutschland ist Whistleblowing nicht erwünscht. Es gibt keine Schutzgesetze und auch keine Regelungen, die Kompensationen vorsehen für das, was Whistleblower aufs Spiel setzen. Häufig werden sie in der gesamten Branche gemieden. Die USA sind hier weiter.

Gerade die USA? Die Whistle­blower regelmäßig ins Gefängnis stecken?

Wenn es um ihre Geheimdienste und die nationale Sicherheit geht. Aber in der Wirtschaft gibt es eine sehr positive Whistle­blower-Kultur. Wer hier etwas verrät, das zu Strafen für ein Unternehmen führt, bekommt sogar einen Anteil der Summe – das können auch mal Millionen sein. Aber auch die Unternehmen selbst haben ein großes Interesse daran, zu erfahren, was bei ihnen schiefläuft. Denn sonst kann es zu schmerzhaften Schadenersatzklagen kommen.

Warum ist das in Deutschland anders?

Das liegt am Verständnis von Staat und Gesellschaft. In den USA ist die Bevölkerung die wichtigste Instanz, Staatsdiener werden als Angestellte des Volkes empfunden. Hier ist das anders, es herrscht – auch als Relikt aus den vergangenen Diktaturen – noch ein starkes Obrigkeitsdenken vor, gerade in den älteren Generationen. Und auch bei den jüngeren wird der Staat empfunden als etwas, das eine Art Eigenleben hat. Unvermeidbar, man muss sich halt damit abfinden. Dass die Staatsangestellten eigentlich für die Bevölkerung da sind, das ist einem deutschen Beamten kaum klarzumachen.

Lässt sich das ändern?

In Unternehmen kann ein fundamentaler Kulturwechsel nur von Leuten ausgehen, die nicht Bestandteil des Problems, also des alten Systems waren. Und wenn das auf den unteren Ebenen nicht durchzusetzen ist, muss man sich eben von Leuten, die das nicht mittragen wollen, trennen. Man muss das praktisch leben und auch die Unternehmensspitze muss es vorleben. Was nicht reicht, ist der beliebte Weg, einfach ein Regelwerk auf die Website zu stellen. Und eine Compliance-Abteilung, die darauf schauen soll, dass Regeln und Gesetze eingehalten werden, gab es auch bei VW. Was haben die gemacht?

Während sich eine Unternehmenskultur immerhin mit einem neuen Chef ändern lässt – wie ist das mit einer Gesellschaftskultur?

Ein guter Anfang wäre ein klares Signal aus der Politik, dass sie Whisteblowing und die ganze Kultur dahinter will.

Also ein Gesetz.

Genau. Das können ganz kleine Sachen sein und auch schon auf Landesebene. Zum Beispiel, dass Aufträge von der öffentlichen Hand nur an Unternehmen gehen dürfen, wenn deren internes Regelwerk vorsieht, Whistle­blower nicht zu sanktionieren. Bei staatlichen oder halbstaatlichen Unternehmen lässt sich etwa ein Kündigungsschutz sogar von heute auf morgen umsetzen.

Die Bundesregierung hat bislang Vorgaben zum Schutz von Whistleblowern – sei es vom Europarat oder den G 20 – weitgehend ignoriert.

Das ist wenig überraschend. Schließlich ist die Voraussetzung für eine positive Kultur der Kritik die Bereitschaft, eigenes Handeln zu hinterfragen. Nicht nur, was das Ziel angeht, sondern auch, ob der Weg sinnvoll ist. Das ist aber nicht gerade eine Stärke der Politik.

Was würde helfen?

Das klingt jetzt makaber, aber: VW ist noch nicht Katastrophe genug, um ein Bewusstsein dafür zu schaffen, was Whistle­blower verhindern können. In Großbritannien brauchte es einen schweren Zugunfall, eine Bankenpleite und den Untergang einer Fähre, bis die Politik ein Schutzgesetz verabschiedete. Da war klar: Das hätte verhindert werden können, hätte jemand aus den Unternehmen etwas gesagt und wäre gehört worden. Und das waren damals die Konservativen, die das verabschiedet haben.

Die Enthüllungsplattform Wiki­leaks hat kürzlich Prämien ausgesetzt. Wer Dokumente aus den Verhandlungen über das Freihandelsabkommen TTIP weitergibt, soll 100.000 Euro bekommen.

Das ist sicher nicht der Idealfall, aber gerade bei solchen harten Geschichten finde ich das absolut vertretbar. Die Polizei setzt schließlich auch manchmal eine Belohnung aus, wenn sie bei Ermittlungen nicht weiterkommt. Und nüchtern gesehen: Whistle­blower sind häufig in der gesamten Branche verbrannt. Ein bisschen Geld ist das Mindeste, um die erste Zeit zu überbrücken.

Aktuell wird ein Straftatbestand der Datenhehlerei eingeführt. Damit macht sich voraus­sichtlich eine Mittels­person strafbar, die Dokumente von einem Informanten an einen Journalisten weiterleitet. Ist das ein häufiger Weg?

Ja, und wenn das so kommt, wäre das in der Tat ein Problem. Im Whistleblower-Netzwerk arbeiten wir häufig mit Mittelspersonen. Das kann für beide Seiten ein großer Vorteil sein: Der Informant wahrt seine Anonymität und wir wissen, ob wir dem Vermittler und seinen Informationen trauen können. Zudem sollte man den Abschreckungseffekt einer solchen Regelung nicht unterschätzen: Durch Edward Snowden wissen die meisten Leute zwar, was ein Whistleblower ist. Aber sie machen sich nicht klar, dass auch im Kleinen, an ihrem Arbeitsplatz, in ihrer Behörde Sachen passieren können, von denen die Öffentlichkeit genauso erfahren sollte. Ein politisches Signal, dass so etwas nicht erwünscht ist, wird potenzielle Informanten zusätzlich bremsen.

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