Mobilität im Jahr 2045: Mit der LSD-Lampe in den Zeppelin
Der Zukunftsforscher Stephan Rammler entwirft Szenarien für eine Mobilitätswende. Der VW-Skandal könnte dabei helfen, sagt er.
Nach einem Monat unter der LSD-Lampe sah Stephan Rammler die Zukunft schon klarer. Ein paar Wochen lang hatte er sich in ein kleines Zimmer gezogen, Pink Floyd aufgelegt und die Augen geschlossen. Die Lucia N°03 hatte er sich aus Österreich kommen lassen, zur Miete. Ein Flackerlicht, dessen Farb- und Formspiele im Gehirn drogenähnliche Stoffe ausschütten sollen. Stephan Rammler ist Professor für Transportation Design an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig und Zukunftsforscher. Lucia N°03 sollte ihm helfen freier zu denken.
Nach vielen Stunden im Licht setzte er sich an seinen Schreibtisch und schrieb ein Buch über darüber, wie wir in 30 Jahren von Ort zu Ort kommen: “Schubumkehr – Die Zukunft der Mobilität“. Es ist kein wahrscheinliches Szenario. Aber ein mögliches.
Menschen bewegen sich mit einer Mischung aus öffentlichen und kollektiven Verkehrsmitteln: Carsharing und smartphonebasiertes Trampen. Software sorgt dafür, dass alle Fahrzeuge voll sind und man beim Umsteigen zwischen Elektrotaxi und S-Bahn kein Ticket mehr ziehen muss, sondern alles automatisch im Hintergrund verrechnet wird.
ür die kurzen Alltagswege in kompakt gebauten Städten reichen Fahrrad und E-Skateboard, auf dem Land fahren Elektroautos mit Mitfahrservice Wer nach New York will, nimmt das Schiff oder den Zeppelin. Mit W-Lan an Board kann man auf der dreitägigen Reise im CO2-neutralen Luftschiff bequem arbeiten.
„Ein Fukushima-Moment“
Im Interview in der taz.am wochenende vom 14./15. November spricht Rammler über seine Vision. Und den konkreten Weg dahin. „Wir können Diesel-Gate für eine Mobilitätswende nutzen“, sagt Rammler. Merkel habe bei der Energiewende die Chance von Fukushima genutzt, um den Ausstieg zu schaffen. „Wir haben jetzt solch einen Fukushima-Moment. Merkel könnte offen sagen: Der Umgang mit unserer Mobilität und die Abhängigkeit von fossilen Energien weltweit ist ein großes Problem, wir müssen da ganz schnell raus.“
Weltweit hat Volkswagen nach bisheriger Kenntnis die Abgaswerte von bis zu elf Millionen Dieselfahrzeugen manipuliert und bei 800.000 Autos, auch Benzinern, zu niedrige Werte zum CO2-Ausstoß angegeben.
Der VW-Skandal könnte eine Wende sein. Technisch haben wir seit Jahren alles, was wir brauchen, um Mobilität für die Zukunft zu denken, sagt Mobilitätsforscher Stephan Rammler. Das Interview lesen Sie in der Titelgeschichte „Wir haben jetzt einen Fukushima-Moment“ in der taz. am wochenende vom 14. November. Außerdem: Ein Jahr nach den Unruhen in Ferguson. Auf Nachtstreife mit der Polizei in Los Angeles. Und: Muss ein Schäfer auch twittern können? Das alles am Kiosk, im eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.
Stephan Rammler sieht aber nicht nur Konzern in der Verantwortung. „Ich bin wütend auf eine Gesellschaft, die so derbe bigott ist, dass sie diese Diesel-Gate-Geschichte auf diese Art und Weise diskutiert“, sagt er in der taz.am wochende. „Was ist mit den Konsumenten, die alle wussten, dass das kein Blütenstaub ist, der da hinten raus kommt? Und die weiterhin Dieselautos kaufen. Was ist mit den Prüfbehörden, die alle Augen zudrückten, was mit der Politik, die seit vielen Jahrzehnten automobilfreundliche Politik macht und den immer drastischeren Widerspruch zu den selbst formulierten Klimaschutzzielen nicht herstellt?“
Kaufprämie für E-Autos
Es ist eine Woche, die Stephan Rammler vielleicht Hoffnung machen kann. Gerade wurde bekannt, dass die Bundesregierung an konkreten Plänen arbeitet, den Kauf von Elektroautos mit einer Kaufprämie von bis zu 5000 Euro zu unterstützen. Auch die Umweltminister der Länder sprechen sich nun für ein solches Anreizsystem aus. In Kalifornien, wo es entsprechende Subventionen schon gibt, wurden 2014 mehr als 100.000 Elektrofahrzeuge verkauft. In Deutschland sind momentan etwa 40.000 batteriebetriebene PKW zugelassen. Nach Plänen der vorherigen schwarz-gelben Bundesregierung sollten in Deutschland bis 2020 eine Million Elektroautos fahren.
Fossile Automobilität sei über 100 Jahre massiv gefördert, sagt Stephan Rammler im Interview. „Da ist es doch wahnsinnig anzunehmen, die Unternehmen können innerhalb von fünf Jahren eine Million Elektrofahrzeuge auf den Markt bringen. Die Politik muss den Rahmen neu setzen.“
Was meinen Sie? Welche Mitschuld trägt unser Geschwindigkeitswahn am VW-Skandal? Könnten Sie sich vorstellen mit dem Luftschiff drei Tage nach New York unterwegs zu sein? Oder müssen Sie gar nicht mehr nach New York, weil man per Google Street View auch ganz gut CO2-arm verreisen kann? Was ist Ihre Vision von der Mobilität der Zukunft? Und welche Schritte bringen uns dahin?
Diskutieren Sie mit!
Das ganze Interview mit Stephan Rammler lesen Sie in der taz.am wochenende vom 14./15. September 2015. Dort erklärt er auch, warum man weniger Autofahren indirekt als Bekämpfung von Fluchtursachen verstehen kann.
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