Kunst ist ein bisschen wie Sex

AUFTAKT Flankiert von DozentInnen und Übersetzer tritt der große chinesische Allround-Künstler Ai Weiwei zum Start seiner Gastprofessur im ausverkauften Konzertsaal der UdK zu einer Antrittsvorlesung an

Will der Nachwelt mit seinen Fotos Beweismaterial zurücklassen, damit sie sich selbst ein Bild macht: Ai Weiwei Foto: Björn Kietzmann

von Julika Bickel

Ai Weiwei sitzt neben seinem Übersetzer und vier DozentInnen auf der Bühne des universitären Konzertsaals in der UdK. Er wirkt gelassen, fast schon gelangweilt. Der Kulturwissenschaftler Thomas Düllo legt ein Album der britischen Punkband The Clash und eine Bierdose „Ballantine“ auf den Tisch. Die Objekte sollen den chinesischen Künstler an seine Zeit in den Achtzigern in New York erinnern. Ai grinst und fotografiert die Gegenstände mit dem Smartphone. Kurz darauf postet er das Bild bei Instagram.

Zum Auftakt seiner dreijährigen Gastprofessur an der Universität der Künste (UdK) fand am Sonntagabend ein öffentliches Gespräch statt, bei dem Ai Weiwei Fragen der Kunst und der künstlerischen Lehre beantwortete. Der 58-jährige Chinese ist vielseitig: Er ist Bildhauer, Performance-Künstler, Filmemacher und Architekt. Das Interesse an der Antrittsveranstaltung ist enorm. Nur zwei Tage hatte es nach Bekanntgabe gedauert, bis alle Karten vergeben waren. Durch seinen trockenen Humor ist die Diskussionsrunde äußerst unterhaltsam. Ai sagt, es sei ihm unangenehm, so lange vor einem großen Publikum zu sitzen. Aber er müsse sich benehmen.

Schon im Dezember 2010 plante die UdK, den regimekritischen Künstler als Professor zu berufen. Im April 2011 nahm ihn die chinesische Regierung fest und hielt ihn fast drei Monate gefangen. Danach stand er unter Hausarrest, erst Ende Juli 2015 erhielt er seinen Pass zurück. Kurz darauf reiste er nach Deutschland – zunächst München, dann Berlin, wo auch sein sechsjähriger Sohn bei dessen Mutter wohnt. Mithilfe der Einstein-Stiftung hat ihm die UdK über die Jahre den Platz einer Gastprofessur erhalten. UdK-Präsident Martin Rennert betonte, dies sei kein Grund, stolz zu sein, sondern um Dankbarkeit bei allen Beteiligten zu bekunden.

Mehr ist mehr

Unter dem Titel „KUNST (lehren)“ interviewen neben Düllo die Videokünstlerin Anna Anders, der Kunstwissenschaftler Karlheinz Lüdeking und der Choreograf Nik Haffner den Künstler. Durch Gegenstände wie ein leeres Notizbuch schaffen Ais neue KollegInnen sowohl ein strukturiertes Gespräch als auch eine lockere Atmosphäre. Mit Ais Coolness können sie allerdings nicht mithalten. Teilweise stellen sie einfallslose Fragen wie „Was wäre der ideale Ort, um zu unterrichten?“. Düllo zitiert ein Wortspiel des Architekten Robert Venturi und fragt: „Less is more or less is a bore?“ Venturi kritisiert Mies van der Rohes Designprinzip der Einfachheit als langweilig. Ai kontert: „Less is less, more is more.“

Lüdeking will von Ai wissen, warum er ständig alles fotografiere und per Video dokumentiere. Seine Leidenschaft erklärt er damit, dass er der Nachwelt Beweismaterial zurücklassen will. Spuren, aus denen sie sich selbst ein Bild machen könne. Die Fotos würden eine eigene Wirklichkeit bilden. Ein weiteres Diskussionsthema ist das Phänomen im modernen China, alles Alte zu zerstören und mit Neuem zu ersetzen. Um das Historische zu bewahren, verwendet Ai für seine Kunstwerke immer wieder jahrhundertalte Objekte wie Vasen und Holzschemel, die er unter anderem auf Flohmärkten findet.

Über den Kunstmarkt und wie man sich darin behauptet, könne er den StudentInnen nichts beibringen, sagt Ai. „Ich weiß sehr wenig darüber und konnte nicht herausfinden, wie er funktioniert.“ Es sei ein verrückter und irrationaler Raum. Für Studierende, die als KünstlerInnen vor allem Erfolg erzielen wollen, schäme er sich. Sie habe er von der Kandidatenliste sofort gestrichen. Als Künstler solle man sich auf Inhalte konzentrieren.

Der Kunstmarkt ist ein verrückter und irrationaler Raum, erklärt Ai Weiwei

StudentInnen aller Fakultäten der UdK konnten sich für eine Aufnahme in die Klasse Ai Weiweis bewerben. Aus rund 100 BewerberInnen wählte er 16 aus. Was er genau mit ihnen schaffen will, bleibt offen. Jede und jeder brächte einen anderen Hintergrund mit. Deshalb wolle er sie zunächst näher kennenlernen, ihre Wesensart respektieren und dann aus ihren Potenzialen schöpfen. Die Auswahlgespräche hat Ai gefilmt. Gegen Ende der Auftaktveranstaltung zeigt Düllo einen Zusammenschnitt, der an einen Sketch erinnert.

Halb auf dem Stuhl liegend

Ai liegt halb auf seinem Stuhl, die Arme verschränkt, die Beine von sich gestreckt, während eine Studentin ihm gegenübersitzt. Er fragt: „Bist du bei Twitter aktiv? Bei Instagram?“ Als die Studentin verneint und zu einer Rechtfertigung ansetzt, zückt Ai sein Handy und macht mit ihr ein Selfie. Die zwei abstraktesten Fragen erreichen ihn schließlich aus dem Publikum. „Was ist der Unterschied zwischen Ästhetik und Ethik?“, fragt eine Zuschauerin. Sowohl die Ästhetik als auch die Ethik seien in der Geschichte der Menschheit Teil von Urteilen gewesen, antwortet Ai. Für einen Künstler stünden Ästhetik und Ethik oft im Konflikt. „Mehr sollte man vielleicht nicht dazu sagen.“ Eine andere Zuschauerin bittet ihn, den Begriff Kunst zu definieren. „Dazu bin ich nicht in der Lage, etwas zu sagen“, lässt er übersetzen. „Es ist ein bisschen wie mit Sex: Man kann viel Erfahrung haben, trotzdem fällt mir eine Definition äußerst schwer.“